Józef Szajnas Environment "Reminiszenzen"

Letzte Zeichen von Menschen

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Das Environment "Reminiszenzen" von Józef Szajna ist in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald ausgestellt. © Henry Bernhard
Von Henry Bernhard · 23.06.2018
Gerade in diesen Zeiten ist die Geschichte um das Kunstwerk „Reminiszenzen“ von Józef Szajna aus den 70er-Jahren beeindruckend und ermutigend. Es erinnert an Krakauer Kunstprofessoren und -studenten, die von der SS verhaftet und in Auschwitz ermordet wurden.
Der Eindruck ist überwältigend: Ein Raum von über 100 Quadratmetern ist gefüllt mit Staffeleien ohne Bilder, ohne Maler, mit Fotos von Menschen in Häftlingskleidung, mit zerbrechlich wirkenden, gesichtslosen Figuren aus Draht und Holzresten. An der Wand hängt eine Liste mit über 100 polnischen Namen. Eine Todesliste aus Auschwitz. Der polnische Künstler Józef Szajna hat das Environment "Reminiszenzen" 1969 geschaffen – in Erinnerung an 169 Professoren und Studenten der Krakauer Kunstakademie, die im April 1942 von der SS verhaftet und fünf Wochen später in Auschwitz ermordet wurden.

"Wir können nicht mehr Auschwitz abmalen"

In der Kunstsammlung der KZ-Gedenkstätte Buchenwald steht das Werk seit 20 Jahren – auch Dank dessen Direktors Volkhard Knigge: "Man sieht ein Zentralmotiv: Diese ausgeschnittenen menschlichen Silhouetten, die rekurrieren auf die entmenschlichenden Fahndungsfotos, die für Auschwitz typisch geworden sind. Man sieht Paletten, an denen eigentlich Kunst hätte gemacht werden sollen. Und man sieht sozusagen einen letzten Abdruck des Menschen, der hier weggemordet worden ist, so etwas wie letzte Zeichen von Menschen; es sind nicht mal Marionetten, es sind Angedeutete, Verschwundene."
Józef Szajna hat "Reminiszenzen" 1998 in Buchenwald noch selbst eingerichtet. Volkhard Knigge: "Für Szajna ist klar: Wir können nicht mehr Auschwitz abmalen; wir müssen neue Formen dafür finden."

Józef Szajna wird 1922 in Ostpolen geboren, geht schon mit 17 in den Widerstand gegen die deutschen Besatzer, kommt nach Auschwitz, überlebt Typhus, einen Fluchtversuch, die Strafkompanie, ein Todesurteil, kommt 1944 nach Buchenwald, in ein Außenlager nach Schönebeck bei Magdeburg, überlebt alliierte Bombenangriffe und am Ende den Nationalsozialismus. 1970 zeigt er "Reminiszensen" auf der Biennale in Venedig.
Der polnische Künstler Jozef Szajna steht am 20.02.1998 vor seinem Bild, das er als Häftling des KZ Buchenwald in einer Baracke auf Putz gemalt hatte.
Der polnische Künstler Jozef Szajna steht am 20.02.1998 vor seinem Bild, das er als Häftling des KZ Buchenwald in einer Baracke auf Putz gemalt hatte. Nach der Befreiung des KZ am 11. April 1945 wurde es entdeckt und abgenommen.© dpa / picture alliance / Heinz Hirndorf
Und Gertrud Johnssen, eine Kunstsammlerin aus dem Ruhrgebiet, sieht und kauft das Werk, um es nach Deutschland zu bringen und dort öffentlich zu zeigen. Ihr Sohn, Wolf Johnssen, hat damals beobachtet, "dass meine Mutter das mit ihrem künstlerischen Sammlerauge als gute Kunst zunächst mal entdeckt hat. Und die haben es gekauft; und jetzt war es aber so, dass in Deutschland gar nichts passierte. Man hat viel versucht, um es irgendwo unterzubringen. 'No interest!' Das hat natürlich keiner laut gesagt. Aber sie haben sich so verhalten."

20 Jahre lagert das Kunstwerk in einem Depot

Auf den Ruhrfestspielen Recklinghausen wird "Reminiszenzen" 1971 gezeigt, dann verschwindet es für 20 Jahre im Depot. Noch zweimal ist es in den 90ern kurzzeitig zu sehen, in Venedig und Frankfurt. 1998 dann kann es Volkhard Knigge als Leihgabe nach Buchenwald holen: "Gerade in diesen Zeiten, in denen die 'erinnerungspolitische Wende um 180 Grad' gefordert wird, finde ich diese Geschichte aus dem Jahr 1970 so beeindruckend und ermutigend. Es gibt dort eine Westdeutsche, die sich diese Geschichte und diese Kunst was angehen lässt in einer Zeit, in der die meisten noch schön gemalte Sonnenblumen haben möchten, in dickem Öl. Und mit Auschwitz und Buchenwald möchten sie nichts zu tun haben."

"Reminiszenzen" soll dauerhaft in Buchenwald bleiben

Wolf Johnssen ist 20 Jahre nach der Installation des Werks in Buchenwald nach Buchenwald gereist. Er will in diesem Jahr eine Stiftung gründen und die Sammlung seiner Mutter einbringen. "Reminiszenzen" soll dauerhaft in Buchenwald bleiben. Und er überrascht Knigge damit, dass in Bochum noch ein weiterer Teil des Werks im Depot lagert. Er verspricht, "dass ich mich jetzt darum kümmere, dass der Teil, der jetzt in Bochum mehr oder weniger provisorisch untergebracht ist, dass der hier sozusagen 'nach Hause' kommt. Und dann wird man auch dem Józef gerecht."

Alle dabei entstehenden Kosten werde er übernehmen. Volkhard Knigge, der selten Superlative verwendet, ist über die Verstetigung der Leihgabe hoch erfreut. Johnssen ist es wichtig, die Zusammenführung des Werks noch in diesem Jahr zu erledigen, weil er Szajnas Arbeit für hochaktuell hält:

"Dass also die Gründe für die Entstehung dieses Kunstwerkes mit der politischen Aussage ja in der ungeheuerlichen Übertretung liegt, eine Unmenschlichkeit, die hochgradig organisiert ist usw. usf. Ja, das kann sich wiederholen! Ansätze sind da! Gucken sie sich mal an, was gerade so in Mode kommt auf der rechten Seite! Wenn sie das extrapolieren, sind wir in den 20er-Jahren. Und das läuft alles so ab, als wenn das eine kleine Entgleisung ist. Ich glaub das nicht!"
Der Eingang zur Gedenkstätte Buchenwald
Der Eingang zur Gedenkstätte Buchenwald© imago stock&people
Mehr zum Thema