Chor der Woche

Mit Erfahrung und Nächstenliebe

In einem Gesangbuch aus dem 15. Jahrhundert aus dem Gesangbucharchiv der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz (Rheinland-Pfalz) steht "Jesu Christ" in altdeutscher Schrift.
Der Chor singt vor allem geistliche Musik. © picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Von Hartwig Tegeler · 27.06.2014
Seit seiner Gründung vor 38 Jahren ist der Chor der Kreuzkirche Nenndorf ständig gewachsen. Wegen des ständigen Mangels an Männern werden die Tenorstimmen von Frauen gesungen – und für Auftritte Leih-Bässe angeheuert.
"Brrrrhh, brrrrrha brrrrhha. Ei, ja, ja, ja, ja. Ei, ja, ja, ja."
Vorweg, parallel zu dieser Lautmalerei, Statistisches: Chor-Gründungstag 8. September 1976. Und an diesem Probenabend im Frühsommer 2014 - 38 Jahre später - singen immerhin noch fünf der Gründungsmitglieder von damals mit. Noch ein wenig Statistik: Die älteste Sängerin des Chores 85 Jahre alt. Durchschnittsalter war mal ...
"Das stimmt."
74. Kaum zu glauben. Allerdings die junge Mutter, die seit kurzem dabei und 34 Jahre alt ist, sie hat den Schnitt aktuell verschoben. Chorleiterin Gudrun Scheske grinst:
"Ja, aber ich glaube, der hat sich jetzt etwas gesenkt."
Zwischen 85 und 34 Jahren
Die rund zwanzig Sängerinnen und der eine Sänger legen los mit dem Halleluja-Reggae. Vom Text her geistlich, von der Musik her, meint Gudrun Scheske:
"Ja, eigentlich Pop. Pop-Song."
"Jetzt würde ich gerne, dass wir diesen Text ganz, ganz nüchtern singen: 'Du bist der Herr, der diese Welt' ..."
"Du bist der Herr, der diese Welt."
Nur ein Mann singt mit
Der Chor der Kreuzkirche ist seit seiner Gründung, wie gesagt, vor 38 Jahren, stetig gewachsen, tritt regelmäßig auf bei Gottesdiensten. Hier in der Nenndorfer Kirche, aber auch in Nachbargemeinden. Das Repertoire stellt Gudrun Scheske zusammen, immer darauf bedacht, das große Strukturproblem des Chores geschickt zu umschiffen, denn ach, die Männer, die Männer. Ein Mann singt hier mit. Das Singen des Tenors, traditionell im Chor Männerarbeit, wird hier von Sängerinnen übernommen.
Gudrun Scheske: "Und wir haben auch noch Leih-Bässe. Die wir uns für Auftritte leihen."
Sonhild Reuter: "Die Männer, die Männer, die tun sich so schwer, die kommen nicht hoch."
Meint Sonhild Reuter, Altstimme, eines des Gründungsmitglieder des Chores. Damals, vor knapp vier Jahrzehnten, wollte sie mal an einem Abend in der Woche etwas anderes erleben als nur Familie und Kinder. Aber dieser erste Abend, erinnert sich die heute 74-Jährige: ein Schock. Sie merkte, was es bedeutet, keine Noten lesen zu können:
"Aber das sind ganz viele, die das nicht können. Aber mittlerweile macht mir das kein Problem mehr."
"Nesthäkchen" ist die 34-jährige Mutter Christina Grenzendörfer, die erst seit ein paar Wochen dabei ist und Sopran singt:
"Ich habe in der Schule das letzte Mal Chor gesungen im Abitur. Und seitdem nicht mehr. Und jetzt habe ich zwei ganz kleine Kinder. Und bin auch froh, mich einmal in der Woche wegschleichen zu können und hier mal was Schönes für mich zu machen."
Und die beiden Kleinen, was machen die jetzt?
Christina Grenzendörfer: "Schlafen?!"
Nächstenliebe und soziales Miteinander
Aber die junge Mutter sorgt auch in anderer Hinsicht für Nachwuchs, und zwar für den des Chores:
"Ich habe schon drei Freundinnen in der Warteschlange, die sich noch den Abend freikämpfen müssen. Und dann werden die mich hier dann hoffentlich tatkräftig unterstützen."
"Sopran, Alt, Tenor. Zwei. Und."
"Ich lobe meinen Gott ..."
Gudrun Scheske: "Ja weil wir ja oft in Gottesdiensten auftreten und kirchlichen Veranstaltungen, deswegen haben wir vor allem geistliche Musik. Moderne geistliche Musik und alte geistliche Musik."
Für einige Sängerinnen spielen die geistlich-christlichen Texte eine Rolle, für andere nicht. Aber Nächstenliebe und soziales Miteinander ist für alle Chormitglieder alltäglich Praxis - sagt Urmitglied Liselotte Bräker:
"Unsere Gemeinschaft ist ja einmalig hier. etwas ist, sind wir alle da. Ich meine, wir haben eine kleine Geschichte, wo jemand im Krankenhaus lag. Da hat sich jeder bereit erklärt, einmal hinzufahren. Und zu kochen. Und Suppe zu bringen. Und so weiter."
Und der Gesang mit diesem älteren Chorsängerinnen- und -sänger-Klientel? Gudrun Scheske leitet sechs verschiedene Chöre, vom Gospel- bis zum Landfrauenchor. Ihre Erfahrung:
"Aus meiner Erfahrung ist es leichter, mit Älteren zu singen. Weil die konzentrierter sind. Gelegentlich auch gebildeter, was Musik angeht, weil die ja schon eine lange Strecke hinter sich haben mit Musik."
Musik für "Freud und Leid"
Die älteste Sängerin Liselotte Bräker, 85 Jahre alt, erzählt übrigens gerne von einem Vortrag eines Musikprofessors, der von der enormen Bedeutung von Musik gesprochen habe:
"In Freud und Leid. Bei Leid gibt es einem was und bei Freude erst recht. Und das finde ich, das ist das A und O."
Für diese These von Liselotte Bräker gibt es einen, nun, wissenschaftlich nicht verifizierten Beleg: Geprobt haben die Sängerinnen und der eine Sänger des Nenndorfer Kreuzkirchen-Chores an diesem milden Frühsommer-Abend etwas später dann bei offenen Fenstern. Und während die menschlichen Stimmen ihr Bestes gaben, taten es ihnen im Garten des Gemeindehauses die Vögel lauthals gleich.
Und zwar nicht nur heute, meint die Chorleiterin lächelnd:
"Die mögen das, die mögen Musik. Die kommen immer, wenn gesungen oder gespielt wird. Die Vögel sind immer drum rum."
Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Chorverbands
Deutschlandradio Kultur stellt jeden Freitag Laienchöre aus der ganzen Republik vor. Im "Chor der Woche" stehen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes, jeden Alters, jeder Formation und Größe oder Stilrichtung, seien sie Mitglied eines Chorverbands oder auch nicht.
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