Freitag, 29. März 2024

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Kooperation von NSA und BND
"Das ist ein riesiger Skandal"

Linken-Faktionschef Gregor Gysi fordert eine umfassende Aufklärung der Zusammenarbeit des BND mit der NSA beim Abhören europäischer Politiker und Unternehmen. "Das ist Wirtschaftsspionage und eine Straftat," sagte er im DLF. Der Generalbundesanwalt müsse einschreiten.

Gregor Gysi im Gespräch mit Christoph Heinemann | 24.04.2015
    Gregor Gysis Akte beim Verfassungsschutz muss gelöscht werden
    Gregor Gysi (afp / Clemens Bilan)
    Schon gestern hätte der Generalbundesanwalt Unterlagen beschlagnahmen müssen, so Gysi. Es gebe kein Szenario, in dem der BND oder das Kanzleramt sich der Verantwortung entziehen könnten: Entweder habe man von den Vorgängen nichts gewusst, dann habe der BND eine schlechte Leitung und das Kanzleramt erfülle seine Aufgabe der Kontrolle nicht - oder beide hätten rechtswidrig gehandelt.
    Gysi forderte eine Umstrukturierung des BND, um solche Vorgänge in Zukunft zu verhindern. Schließlich ginge es um Landesverrat. Auch müsse die parlamentarische Kontrolle des BND erleichtert werden, beispielsweise durch unangekündigte Besuche in der Behörde.
    Die Spionagetätigkeiten der NSA hält er für nicht mehr nachvollziehbar. "Wenn es um Terrorismusbekämpfung geht, warum muss ich dann französische Behörden oder deutsche Unternehmen abhören?" Die Bundesregierung müsse den USA in dieser Angelegenheit endlich auf Augenhöhe begegnen und ihre "Hasenfüßigkeit" ablegen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Wenn Behörden international zusammenarbeiten, dann kann das durchaus segensreich sein, denn der eine Laden kann das Wissen des anderen nutzen und umgekehrt. Das ist üblich auch bei Nachrichtendiensten. Das was allerdings zwischen dem US-Riesen NSA und dem deutschen Zwerg BND zuletzt ausgetauscht wurde, das sorgt in Berlin nicht für ungeteilte Freude.
    Eine entscheidende Information aus diesem Gespräch war: Wir wissen gar nicht genau, wie viel überhaupt zum Einsatz gekommen ist. Am Telefon ist jetzt Gregor Gysi, der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
    Gregor Gysi: Einen schönen guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Gysi, alles halb so wild?
    Gysi; Ne, ne, ne, ne! Das ist wirklich ein riesiger Skandal, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens geht es um eine Vielzahl von Firmen, zum Teil mit deutscher Beteiligung, mit französischer Beteiligung. Das ist, mal ganz klar ausgesprochen, Wirtschaftsspionage. Das ist eine Straftat. Und wieso hilft eigentlich der BND einem amerikanischen Geheimdienst dabei, Wirtschaftsspionage in Europa zu betreiben?
    Das Zweite: Es ist ja bisher nur allgemein von Politikern die Rede. Da müssen wir jetzt mal genauer forschen, welche Politiker da eigentlich abgehört worden sind. Das kann ja noch ein viel größerer Skandal werden, wenn das bekannt wird.
    Wenn das Verbündete waren - und davon muss man ausgehen, weil es sich zum Beispiel um Frankreich und andere Länder handelt -, frage ich mal, hat sich eigentlich das Kanzleramt und die Bundeskanzlerin dort schon entschuldigt. Wenn wir dort Politiker abgehört haben, vielleicht sogar regierende Politiker abgehört haben, das alles auf Wunsch der NSA, hat unser BND mitgemacht? Ich muss Ihnen wirklich sagen, wissen Sie noch, wie wir uns alle aufgeregt haben, als wir festgestellt haben, dass NSA die Bundeskanzlerin abgehört hat. Wenn jetzt der BND dabei geholfen hat, das in anderen europäischen Ländern zu machen, ich finde das alles wirklich skandalös! Über 40.000 Sachen werden von der Regierung selbst als rechtswidrig eingeschätzt.
    "Ich bin ganz sicher, es kommt noch mehr heraus"
    Heinemann: Aber wir sind doch bisher im Stadium "hätte, hätte, Fahrradkette". Es gilt der alte Satz von Herbert Wehner, Sie wissen nichts und ich weiß nichts.
    Gysi: Nein, nicht ganz. Die Regierung hat mich ja informiert. Aber natürlich kann ich das auch nicht alles sagen, das ist jetzt auch nicht wichtig. Dann gab es die Meldung von "Spiegel Online", da stand einiges drin, nicht alles. Ich bin ganz sicher, es kommt noch mehr heraus. Und das Problem ist natürlich folgendes: Entweder hat der BND-Chef davon nichts gewusst, dann ist er ein schlechter Leiter, oder er hat es gewusst, dann hat er rechtswidrig gehandelt. Und das Kanzleramt ist natürlich auch in einer schwierigen Situation. Das Kanzleramt ist das Kontrollgremium. Entweder sie haben nichts gewusst, dann funktioniert die Kontrolle nicht, das muss sich dann auch wiederum das Kanzleramt anrechnen lassen, oder sie haben es gewusst, dann hätten sie sich an rechtswidrigen Handlungen beteiligt. Verstehen Sie, es gibt nie einen Ausweg, wo du sagst, hier ist keine Verantwortung gegeben.
    Das bedarf jetzt wirklich dringend in dem ja schon arbeitenden Untersuchungsausschuss der Aufklärung, und zwar der vollständigen. Ich finde sogar, dass der Generalbundesanwalt hätte einschreiten müssen. Er hätte gestern die Sachen beschlagnahmen müssen.
    "All das muss aufgeklärt werden"
    Heinemann: Aber, Herr Gysi, als der BND anhand der Suchbegriffe gemerkt hat, dass die NSA da regelwidrig herumgeschnüffelt hat, hat offenbar ein Abteilungsleiter des Nachrichtendienstes die US-Seite gebeten, solche Vorstöße zu unterlassen. Das wurde zumindest gestern gemeldet. Also die Reflexe funktionieren offenbar?
    Gysi: Ja und wem hat er das gemeldet? Wem hat er gemeldet, dass sie über 40.000 Mal rechtswidrig gehandelt haben?
    Heinemann: Wichtiger ist doch erst mal, dass die NSA aufgefordert wird, dass sie das sein zu lassen hat.
    Gysi: Ja, ja, das kann schon wichtig sein. Aber unabhängig davon ist er doch dann verpflichtet, seinen Präsidenten zu unterrichten. Der ist verpflichtet, den Kanzleramtschef zu unterrichten. Sie sind verpflichtet, den Untersuchungsausschuss zu unterrichten etc.
    Sie dürfen nicht vergessen, ein Abteilungsleiter ist nicht der Leiter der Behörde. Wenn der etwas Rechtswidriges feststellt, kann er nicht einfach sagen, ich ruf da mal an und klär das, und damit ist das erledigt.
    Wissen Sie, das klingt auch nicht sehr glaubwürdig, weil Abteilungsleiter nicht dazu neigen, die Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die sie eigentlich nicht haben. Aber wie dem auch sei: All das, da haben Sie Recht, muss aufgeklärt werden. Ich möchte jetzt wissen, wer wusste es seit wann und was wurde dann unternommen. Zweitens: Gibt es schon Entschuldigungen an die Partnerländer?
    Drittens: Wie wird der BND umstrukturiert, um das künftig zu verhindern? Und viertens erwarte ich, dass der Generalbundesanwalt jetzt tätig wird, und zwar wirklich tätig wird. Ich sage es noch mal: Es geht um Landesverrat. Es geht um geheimdienstliche Tätigkeit, möglicherweise gegen deutsche Interessen, gegen deutsche Unternehmen, zumindest Unternehmen mit deutscher Beteiligung, gegen befreundete Politikerinnen und Politiker. Wenn das alles wahr ist und vieles spricht dafür, muss der Generalbundesanwalt einschreiten. Er hätte gestern schon eine Hausdurchsuchung machen müssen, hätte die Dinge beschlagnahmen müssen, um Beweismittel zu sichern, denn Geheimdienste, das wissen wir, können auch vernichten.
    "Kontrolle des BND muss verbessert werden"
    Heinemann: Muss grundsätzlich die Kontrolle des BND verändert oder verbessert werden?
    Gysi: Ja auf jeden Fall, die parlamentarische Kontrolle. Es geht ja nicht so, dass man immer im Nachhinein nach Jahren erfährt, was da anders war. Das ist übrigens bei jedem Geheimdienst schwierig, weil die sich natürlich immer abblocken.
    Wahrscheinlich müsste man zum Beispiel dem Ausschuss unangemeldete Besuche erlauben bei jeder Abteilung. Das sind ja ausgesuchte Leute, die werden ja gewählt im Bundestag, das ist ja nur eine kleine Gruppe. Die müssten eigentlich immer hingehen können und sagen, wir wollen uns das ansehen, wir wollen uns jenes ansehen, wir wollen mit dem sprechen, und zwar nicht mit acht Wochen vorher anmelden, sondern einfach so.
    Ich sage das jetzt nur so schnell, ich muss da länger drüber nachdenken. Man muss sich lauter Dinge überlegen, um zu sagen, so kann man wenigstens einigermaßen eine Kontrolle gewährleisten.
    Heinemann: Herr Gysi, um den - Sie haben ihn ja eben angesprochen - tatsächlichen oder vorgeblichen NSA-Skandal ist es ziemlich still geworden, seit Russland in der Ukraine Krieg führt und Gebiete annektiert. Wie erklären Sie sich das?
    Gysi: Na ja, erstens ist es so, dass es natürlich, was den Krieg in der Ukraine betrifft, wirklich gegenseitige Fehler nach Minsk gibt. Die russische Seite hält sich nicht daran, die ukrainische Regierung aber auch nicht.
    "Hasenfüßigkeit der Bundesregierung gegenüber den USA geht mir auf die Nerven"
    Heinemann: Das hatte ich aber nicht gefragt.
    Gysi: Ja, ich weiß. Abgesehen davon gibt es eine Hasenfüßigkeit meiner Bundes- und auch Ihrer Bundesregierung gegenüber der US-Administration. Seit Jahrzehnten trauen sie sich nicht, da auf gleicher Augenhöhe zu sprechen. Das geht mir, ehrlich gesagt, auf die Nerven. Ich bin überhaupt nicht antiamerikanisch. Ich weiß, dass es solche Linken gibt. Ich gehöre überhaupt nicht dazu. Ich bin da gerne. Ich diskutiere auch gerne mit denen. Aber ich würde immer verlangen die gleiche Augenhöhe. Und wissen Sie, NSA spielt doch eine Rolle. Man hat den Eindruck, die fragen auch nicht ihren Präsidenten nach allem, was sie machen, sondern entscheiden die Dinge selbst, und zwar nach bestimmten Kriterien.
    Geheimdienste haben immer die Angewohnheit zu glauben, sie müssen sich neue Feinde suchen und schaffen. Und was hat das überhaupt miteinander zu tun? Wenn sie Spionage betreiben in der Ukraine und in Russland, wieso dann bei uns? Wieso werden hier Millionen Bürger abgehört? Ich frage Sie mal: Wenn es nur um Terrorismusbekämpfung geht, angeblich bei NSA, wieso müssen dann französische Behörden abgehört werden? Stehen die unter Terrorismusverdacht? Oder stehen die deutsch-französischen Firmen unter Terrorismusverdacht
    Verstehen Sie, das ist doch nicht mehr nachvollziehbar. Jetzt ist doch belegt: Es geht um Wirtschaftsspionage, und ich erwarte von meiner Regierung, dass sie gegenüber der US-Regierung mal die Hasenfüßigkeit ablegt, dieses Duckmäusertum ablegt und sagt, nein, so lassen wir uns nicht mehr behandeln. Wir führen zusammen Krieg in Afghanistan, in Jugoslawien, und gleichzeitig werden wir wie ein Feind behandelt? Ich bitte Sie!
    "Auch mit Partnern kann man auf Augenhöhe reden"
    Heinemann: Vielleicht hat die Regierung oder haben vielleicht auch viele Menschen hier verstanden, dass trotz der Verfehlungen der Geheimdienste, die Sie zurecht erwähnt haben, die USA ein Partner sind, während Russland sich ganz schnell wieder zum Gegner entwickeln kann.
    Gysi: Das mag ja sein. Dagegen habe ich auch nichts. Ich habe ja nichts dagegen, dass man die USA als Partner empfindet. Aber auch mit Partnern kann man auf Augenhöhe reden und muss nicht immer den Schwanz einziehen, bloß wenn der mal hustet. Das geht mir auf die Nerven.
    Gerade wenn man eine partnerschaftliche Beziehung hat, gerade wenn es eine Freundschaft ist, kann man doch offen reden und sagen, hört mal zu, so was lassen wir uns hier nicht bieten. Wir sind jetzt euer Partner und ihr behandelt uns wie einen alten Kriegsgegner? Das geht nicht mehr. Wissen Sie, ich habe ja für das Jahr 1949 völliges Verständnis. Da haben die uns keinen Millimeter über den Weg getraut. Aber wir sind jetzt im Jahr 2015. Ich bitte Sie! Das ist doch ein gewaltiger Unterschied.
    Heinemann: Gregor Gysi, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Gysi: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.