Journalismus

Wenn alle die Ersten sein müssen

Auf der Website eines E-Mail-Providers wird am 20.12.2012 in Frankfurt am Main (Hessen) auf den "Weltuntergang im Live-Ticker" hingewiesen, der mit einem Klick zu erreichen ist.
Online-Newsticker gibt es inzwischen zu fast allen Themen. © dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst
Von Jakob Schmidt · 01.06.2015
Journalismus im Jahr 2015: Weil Klicks Werbeeinnahmen bedeuten, jagt eine Eilmeldung die nächste – auch wenn gar nichts passiert. Es wird also wirklich Zeit, über alternative journalistische Ansätze zu berichten.
Neulich bei der Sonnenfinsternis. Auf meinem Handy: Eilmeldungen. "Es ist jetzt übrigens dunkel draußen". Vier Tage später: die Germanwings-Katastrophe. Pop-Up-Nachrichten auf meinem Smartphone teilen mit: "Wir haben eigentlich nichts zu berichten".
Verlage und Sender wollen die Ersten sein. Klicks bedeuten Werbeeinnahmen oder bescheinigen Relevanz. Journalismus 2015. Ich mache mich auf die Suche nach Alternativen. Drei Ideen, Journalismus anders zu denken. Idee eins: Das Prinzip Langsamkeit: Slow Journalism.
Unsere Eilmeldung kommt zuletzt
Vielleicht als erste Frage: Woran arbeitet ihr jetzt im Moment?

Rob Orchard: "Zur Zeit arbeiten wir an der 18. Ausgabe unseres Magazins, in dem wir uns mit den Monaten Januar, Februar und März 2015 beschäftigen. Und Anfang Juni wird es dann gedruckt."
Rob Orchard ist Mitbegründer von "Delayed Gratification", einem Printmagazin, das nur vier Mal im Jahr erscheint:
"Unser Slogan ist, dass wir die Letzten sind, von denen eine Eilmeldung kommt. Wir kommen an den Ort des Geschehens, wenn alle anderen wieder weg sind. Und fragen, wie die Geschichte sich danach entwickelt hat."
Ihren Ansatz nennen Sie Slow Journalism. Ich habe von Slow Food oder Slow Travelling gehört. Wie aber würden Sie Slow Journalism erklären?
"Die Idee ist, keine direkte Reaktion abzugeben, nicht auf ein Nachrichtenereignis sofort eingehen müssen, sobald es passiert. Sondern sich stattdessen Zeit zu nehmen für eine Analyse, um mit Experten zu sprechen, um am Ende eine umfassendere, vielleicht wahrere Geschichte erzählen zu können."
Man sieht das permanent in den Nachrichtenkanälen: Es wird zum Reporter geschnitten, der im Geschehen steht und der erzählt mehr oder weniger, was er in seinem Blickfeld wahrnehmen kann. Was jetzt gerade passiert. Es bleibt keine Zeit, zu sagen, was das im großen Zusammenhang bedeutet. Weil alles für ihn genau so neu ist, wie für uns Zuschauer.
Noch ist die Auflage von "Delayed Gratification" verschwindend gering, liegt bei wenigen tausend Stück.
Der Journalist ist Teil der Erzählung
Ganz anders als bei "Vice", das zu den am stärksten wachsenden Medienunternehmen der Welt gehört. Berlin. Die deutsche Zentrale. Barbara Dabrowska ist Redaktionsleiterin der Onlineplattform. Womit wir bei der zweiten Ideen wären. Das Prinzip Subjektivität: Der Journalismus von "Vice".
Was ist der Vorteil von Subjektivität gegenüber Objektivität?
Barbara Dabrowska: "Kann ich jetzt vor allem sehr subjektiv beantworten: Für mich gibt es in dem Sinne Objektivität nicht. Weil jemand, der schreibt oder filmt oder irgendwas schneidet – oder auch du später dieses Interview schneidest: Man entwickelt immer einen gewissen Narrativ, auch wenn man sich jetzt selber nicht bewusst zum Teil der Geschichte macht. Und deswegen finde ich diese Subjektivität, die dadurch entsteht, dass man quasi selber auch Teil der Geschichte ist, eigentlich eine ehrlichere Form des Journalismus."
Barbara zeigt mir eine ihrer Video-Reportagen. 2011 besucht sie ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem viele Rechtsradikale leben. Die anderen Bewohner aber fühlen sich durch die Medien pauschal vorverurteilt.
"Wenn man mit den Leuten redet, merkt man: Es gibt ein großes Misstrauen den Medien gegenüber. Und ich glaube, das hat ganz stark damit zu tun, dass Reporter, Journalisten, Moderatoren einfach sehr oft so extrem anders sind, als man selber. Also alleine schon durch ihr Auftreten, durch ihre Sprache. Und ich glaube, was uns ausmacht ist, dass wir einfach so eine gewisse Nähe haben auch zu unserem Publikum."
Natürlich führt das Konzept auch zu Kritik. Als im letzten Jahr zum Beispiel ein amerikanischer Reporter von "Vice"-News im Islamischen Staat drehte, musste er sich auch den Vorwurf gefallen lassen, den Fundamentalisten eine Propagandaplattform zu bieten.
"Natürlich wird es immer Menschen geben, die Dinge in den falschen Hals bekommen oder nicht richtig einschätzen können, aber unsere Erfahrung ist eben, dass es wirklich sehr viele Menschen gibt, die eben mit diesen Dingen umgehen können und die nicht alles vorgekaut bekommen müssen."
Von Werbung unabhängig sein
Die dritte Idee: Das Prinzip Unabhängigkeit: Krautreporter.
Krautreporter-Geschäftsführer Sebastian Esser, aufgenommen am 17.09.2014 in Berlin
Sebastian Esser, Geschäftsführer der Krautreporter© dpa / Britta Pedersen
"Du hast aber ein sehr großes Mikrofon ... "
Sebastian Esser ist der Geschäftsführer von Krautreporter, einem Internetnachrichtenmagazin:
"Die Idee von Krautreporter ist, dass wir ein Magazin machen, was nur abhängig ist von seinen Lesern."
Weit über 18.000 Mitglieder bezahlen seit 2014 einen Jahresbeitrag, damit die Redaktion vollständig auf Werbeeinnahmen verzichten kann.
"Es ist nicht nur Idealismus, sondern das ist für mich auch als ein strategisch denkender Journalist, weil ich einfach gemerkt habe, dass da so viel den Bach runtergeht, ich habe bei zwei Magazinen gearbeitet, die eingestellt worden sind, weil es nicht genug Anzeigen gab. Ich glaube einfach, dass auf lange Sicht Werbung und Journalismus im Internet nicht funktioniert. Und deswegen sind wir lieber die Ersten, die es ganz ohne probieren und lernen dadurch viel schneller, als alle anderen, die es irgendwann auf die harte Tour lernen müssen. Und dazu gehört natürlich auch dieser ganze 'Lügenpresse'-Schnickschnack. Es ist das erste Anzeichen dafür, dass da schleichend etwas verloren geht. Dass die Leute einfach das Vertrauen verlieren. Wir müssen es zurückerobern!"
Die Krautreporter führen jetzt unter ihren Mitgliedern eine Umfrage durch. Sie wollen wissen, wer auch im zweiten Jahr bleiben wird. Erst dann bekommen die Macher eine Ahnung davon, ob das Konzept "Unabhängig sein von Werbung" langfristig funktionieren kann.
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