Joseph Stiglitz: "Der Preis des Profits"

Neue Spielregeln gegen die "Trumponomics"

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Das Buchcover von "Der Preis des Profits"
Der US-amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz kritisiert Trumps Steuerreform als Dammbruch der US-Wirtschaftspolitik. © Siedler Verlag /Deutschlandradio
Von Hannah Bethke · 22.02.2020
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Ein "moralisch verkommener Kapitalismus" gefährdet in den USA die Demokratie, davon ist der Wirtschaftsexperte Joseph Stiglitz überzeugt. Er fordert deshalb eine fortschrittliche Agenda und einen neuen Gesellschaftsvertrag.
Wer die Schriften des US-amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz kennt, weiß: Jetzt geht es dem Kapitalismus an den Kragen. Zumindest in seiner entfesselten Form, die keine sozialpolitische Begrenzung mehr kennt und nur noch den niederen Trieben des Menschen dient: Habgier, Profitsucht, Egoismus. Auch in seinem neuen Buch "Der Preis des Profits" spricht Stiglitz von einer "moralischen Verkommenheit" des US-Wirtschaftssystems, die "unsere individuelle und nationale Identität" auf negative Weise präge. Wir hätten den Kompass verloren, schreibt er, und die Aussichten seien düster:
Zentrale Institutionen der Demokratie sähen sich ständigen Angriffen ausgesetzt. Die Reichen würden immer reicher, die Armen immer ärmer. 40 Prozent der Amerikaner könnten keine 400 Dollar für Notfälle wie ärztliche Behandlungen ausgeben. Das Gesamtvermögen der drei reichsten US-Amerikaner übersteige das der unteren 50 Prozent der restlichen Bevölkerung zusammengenommen. "Der amerikanische Traum von der Chancengleichheit", so Sitglitz, "ist ein Mythos."

Ungleichheit als Gefahr für die Demokratie

Trumps Steuerreform von 2017 beschreibt Stiglitz als Dammbruch. Sie habe zu einer noch größeren Ungleichheit geführt, Spitzenverdiener entlastet und die Krankenversicherungspflicht abgeschafft, um die Obama so mühsam gekämpft hatte. Diese Reform in Zeiten der "Trumponomics" zeige, wie weit sich die USA vom Idealismus ihrer Gründungszeit entfernt habe. Im Ineinanderwirken von Politik und Wirtschaft entstehe ein wahrer Teufelskreis, "in dem ökonomische Ungleichheit zu politischer Ungleichheit führt, die ihrerseits ökonomische Ungleichheit aufrechterhält, festigt und sogar noch erhöht". Dadurch gerate auch die Demokratie in Gefahr.
Stiglitz will mit einer "progressiven Agenda" dagegen halten. Ein neuer Gesellschaftsvertrag soll her, weg von der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik hin zu einer staatlichen Begrenzung der entfesselten Märkte. Stiglitz setzt auf "die öffentliche Option": Der Staat soll zentrale Aufgaben der Daseinsvorsorge übernehmen können, die bislang überwiegend in den privaten Sektor fallen. Dazu gehören die Gesundheitsversorgung, Sozial- und Arbeitslosenversicherung und Bildungseinrichtungen. Die Bürger haben die Wahl: Sie können, müssen aber nicht den staatlichen Weg wählen.

Falscher Umgang mit Folgen der Globalisierung

Stiglitz plädiert nicht wie Trump für Protektionismus, wenn er kritisiert, die internationalen Handelsabkommen seien unfair gewesen, weil sie die Entwicklungsländer benachteiligten. Nicht die Globalisierung sei falsch gewesen, sondern unser Umgang mit den Folgen. Stiglitz will keine Grenzen zurück, sondern einen regelbasierten Ordnungsrahmen für den internationalen Handel, der die Macht multinationaler Großkonzerne eindämmt. Sein allgemeinverständlich geschriebenes Buch wiederholt viele seiner alten Thesen, spiegelt aber eindrücklich, wie sehr sich die Vereinigten Staaten systemisch und auch in der Denkungsart von Deutschland unterscheiden. Worum Stiglitz sozialpolitisch kämpft, ist bei uns eine Selbstverständlichkeit.
Seine immer wieder aufflammende Kapitalismuskritik ist dagegen ermüdend, nicht unbedingt, weil sie in jeder Hinsicht falsch wäre, sondern weil man sie schon so oft gehört hat. Täuschung, Entmündigung, Entmachtung: So oft schon wurde dem Kapitalismus eine systemimmanente Neigung zur Manipulation zugeschrieben, dass man sich fragt, ob sich seine Kritiker nicht mal etwas Neues einfallen lassen können.

Joseph E. Stiglitz: Der Preis des Profits. Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten!
Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt
Siedler Verlag 2020, 368 Seiten, 25 Euro

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