Joseph Cassara: „Das Haus der unfassbar Schönen“

Als New York noch wild war

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Buchcover zu "Das Haus der unfassbar schönen"
Gekonnte Sprache: Joseph Cassara lässt in seinem Roman viele spanische Ausdrücke mit einfließen. © Kiepenheuer & Witsch
Von Dirk Fuhrig · 13.07.2019
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In „Das Haus der unfassbar Schönen“ schreibt Joseph Cassara über die wilde Zeit New Yorks. Dabei rückt er mit großer Geste und Würde Menschen am Rand der Gesellschaft in den Mittelpunkt - was indes manchmal nicht ganz gelingt.
Joseph Cassara ist eine junge Stimme der US-amerikanischen Literatur. Er wurde 1989 in New Jersey geboren. Gleich sein Debütroman wurde in den USA ein Erfolg, für den er zahlreiche Preise bekam.
"Das Haus der unfassbar Schönen" spielt um das Jahr 1980. Damals, auf dem Höhepunkt der Disco-Ära, war New York noch die Stadt der 1000 Möglichkeiten. Ein Sehnsuchtsort für Künstler und Lebenskünstler. Schwule, Lesben, Transen hatten ihre Bars und Clubs – allerdings oft nach Hautfarben und Herkunft getrennt.

Die Stadt der 100 Möglichkeiten

Cassara porträtiert eine Gruppe junger Leute, die versuchen, auf der Tanzfläche ihr Glück zu machen. In Ballroom-Wettbewerben präsentiert jeder und jede ihre schrillsten Fummel und höchsten Stöckel. Aber nicht alles ist Glamour, denn der Alltag ist hart in diesem Milieu: mies bezahlte Jobs, Gewalt, Prostitution, Drogen.
Der international bekannt gewordene Independent-Film "Paris Is Burning" hatte dieser schillernden Szene ein Denkmal gesetzt. Joseph Cassara hat die Inspiration zu seinem Buch aus dieser Dokumentation gezogen, in dem der Transgender-Star Angie Xtravaganza, die "Hausmutter" der queeren Ballroom-Performer, eine der Hauptfiguren ist. Cassara hat mit Freunden dieser legendären Underground-Künstler gesprochen und daraus den Stoff für diesen Roman gewonnen, der ihnen huldigt.

Ein Haus als Fluchtpunkt und Rückzugsort

Das Buch zeigt, wie schwer es für aus - in diesem Fall - Puerto Rico stammende Einwanderer auch im scheinbar so liberalen New York jener Jahre war. In einer Epoche, als die Stadt noch "wild" und noch nicht von der "zero tolerance"-Strategie des Bürgermeister Rudolph Giuliani gezähmt worden war.
Cassara schildert seine Protagonisten, darunter den Transsexuellen Angel, aus der Innenperspektive, in ihren Ängsten und Problemen. Sie leben in prekären Verhältnissen, müssen sich gegen die Ablehnung ihrer Familien behaupten, die kein Verständnis für nonkonformistische Sexualität und Lebensweisen haben. Die gemeinsame Wohnung, "Das Haus der unfassbar Schönen", ist ihr Fluchtpunkt und Rückzugsort.
In jener Zeit wirft auch die AIDS-Epidemie ihre Schatten voraus. Der Pop-Art-Künstler Keith Haring - eines der ersten prominenten Opfer der damals noch oft als "Schwulenkrebs" bezeichneten Krankheit - taucht in dem Roman ebenso auf wie reale Orte der queeren Subkultur, etwa das legendäre "Paradise Garage" oder die Docks im Meatpacking District, damals noch das Gegenteil einer Hipster-Gegend.

Vorlage zu einer leichtgewichtigen Vorabendserie

Joseph Cassara streut in das Englische viele spanische Ausdrücke. Diesen Latino-Sound, das "Spanglish", hat Stephan Kleiner in der deutschen Übersetzung sehr passgenau wiedergegeben. Cassara schafft es jedoch nicht durchgängig, seine Figuren plastisch werden zu lassen. Langwierige Passagen und häufig sehr vordergründige Gefühlsbeschreibungen lassen das Buch an zu vielen Stellen wirken wie die Vorlage zu einer leichtgewichtigen Vorabendserie.
In den besten Momenten weht durch den Text allerdings ein Hauch der berühmten "Stadtgeschichten", in denen Armistead Maupin das schwule und lesbische Leben in einem Haus in San Francisco so meisterhaft und humorvoll beschrieben hat.
"Das Haus der unfassbar Schönen" zeigt Menschen am Rand der Gesellschaft, die sich gegen soziale Ausgrenzung, prekäre Lebensbedingungen, Gewalt und Verachtung wehren - nicht immer erfolgreich, aber stets mit großer Geste und großer Würde.

Joseph Cassara: "Das Haus der unfassbar Schönen"
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
448 Seiten, 24 Euro

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