Josef Joffe über jüdischen Humor

Selbstironie mit einer Prise Lebensweisheit

09:20 Minuten
Groucho Marx und Esther Muir sitzen umschlungen auf einer Couch.
Schneller Wortwitz und Lust am Absurden: Groucho Marx und Esther Muir in einer Szene von „A Day at the Races“. © Gettyimages / Corbis Historical / John Springer Collection
Moderation: Christopher Ricke · 10.01.2021
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Vieles ist den Juden vorgeworfen worden - Humorlosigkeit noch nicht. Jüdischer Humor gilt als fein und scharfsinnig, hat den Geist von Hollywood geprägt und besticht durch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, meint Josef Joffe.
Christopher Ricke: Das Jahr 2021 ist ein Festjahr, gefeiert werden 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Wir kommen jetzt zu einem speziellen Thema: dem jüdischen Humor. Der ist umfassend untersucht worden, unter anderem von Josef Joffe. Der Herausgeber der "Zeit" hat das Buch "Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß!" geschrieben, über den "jüdischen Humor als Weisheit, Witz und Waffe". Herr Joffe, das Wesen des Witzes ist die Pointe, die überraschende Wendung. Das gilt für alle Witze, weltweit. Jetzt wird der jüdische Witz aber als besonders pointiert wahrgenommen. Warum ist das so?
Josef Joffe: Ich hole mal ganz weit aus: Witz ist die Waffe des Schwachen, dem die Macht fehlt. Eine verfolgte Gruppe muss sich also irgendwie wehren, aber weil sie in der Minderheit ist, die eben verfolgt ist, kann sie nicht mit dem Knüppel hantieren. Also ist das Prinzip die Ironie, die Doppelbödigkeit, die Dialektik, die aber zugleich die eigene geistige Überlegenheit zelebriert.
Das Prinzip ist aber das gleiche: Das Wortspiel, die Aggression, die sich in Selbstironie auflöst, die zugespitzte, aber nicht verletzende Pointe, sozusagen der schnelle Stich in die Blase der Selbstgefälligkeit, das Handeln im Absurden, das atemlose Tempo der Gags und vor allen Dingen die Beleidigung, die im Wortwitz verdampft, und sie verfliegt im befreienden Gag, der das Menschliche, allzu Menschliche mit einer kleinen Prise Lebensweisheit serviert.

Juden können sogar Antisemitismus besser

Ricke: Das klingt sehr komplex. Haben Sie einen Lieblingswitz, der das alles erfüllt und den Sie uns vielleicht erzählen würden?
Joffe: Geistige Überlegenheit, das passt auch hier gut zum Radio, ist mein Lieblingswitz über Antisemitismus, dessen Pointe ist: Wir können sogar Antisemitismus besser als ihr. Und das läuft ganz kurz: Ein Mann geht mit seinem Freund zu einem Radiosender, wo er vorsprechen soll als Nachrichtensprecher, und dann kommt er zurück: Na, hast du den Job gekriegt? Sagt der: Ne-ne-ne-ne-nein, a-a-a-alles Antisemiten.
Das ist doppelbödig, das ist ironisch, das ist dialektisch unerwartbar, und er zeigt wieder mal: Guck mal, wie cool wir eigentlich sind, wir können sogar über uns selber lachen. Das hat Freud übrigens schon erkannt in seinem berühmten Buch über den Witz, wo er schrieb: "Kein Volk lacht mehr über sich selber als die Juden."
Ricke: Bei der geistigen Überlegenheit gibt es ja das Problem, dass der Witz dann möglicherweise bei der Kundschaft, beim Publikum nicht verstanden wird, aber nichts killt einen Witz besser als der Versuch, ihn zu erklären.
Joffe: Dann taugt der wirklich nichts, wenn man ihn erklären muss. Aber ich meine, die meisten jüdischen Witze, wenn sie nicht sehr, sehr tief in der Kultur, in der Religion verwurzelt sind, sind schon sehr einsichtig auch für jemand, der mit Judentum sonst nicht viel zu tun hat. Man kann sogar noch weitergehen: Wenn Sie sich heute so die gängigen amerikanischen Serien ansehen, also "Die Nanny" oder "Friends" oder "How I Met Your Mother", so werden Sie immer dieses selbe Prinzip bei der Arbeit sehen:
Wir lachen nicht übereinander, sondern miteinander, wir stechen deine Selbstgefälligkeit, aber wir verletzen dich nicht, das Messer trifft nicht dich. Das, glaube ich, ist auch ein Prinzip des jüdischen Witzes, weil: Wenn du in dieser schwachen Position bist, willst du ja niemand verärgern, und wenn du dich selber kritisierst, dann wirkst du ja irgendwie sympathisch und gewinnst noch mal Punkte.

Hollywood ist eine jüdische Erfindung

Ricke: Im letzten Jahrhundert hat der jüdische Humor ja in den USA, in Hollywood ein Zuhause gefunden, Groucho Marx, Woody Allen, Jerry Seinfeld, Leonard Nimoy, Sacha Baron Cohen, die Liste kann man wirklich beliebig erweitern. Ich habe auch eine Statistik gelesen, wonach gut die Hälfte der Filmproduzenten in Hollywood einen jüdischen Hintergrund hat, bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 2,5 Prozent. Das ist erklärungswürdig.
Joffe: Man kann das sogar noch drastischer ausdrücken: Hollywood ist jüdisch, ist eine jüdische Erfindung. Das waren diese Juden, die nicht in die Banken und Industrie kamen, und dann haben sie einfach diese neue Industrie, die Zelluloid-Industrie erfunden. Und wenn Sie sich die Namen ansehen: Es fängt an mit Carl Laemmle, einen fränkischen Juden, es geht weiter mit Goldwyn, mit Mayer, mit den Warner Brothers, und dann eine endlose Zahl von jüdischen Schauspielern und Humoristen wie Jerry Lewis zum Beispiel.
Sie haben Groucho Marx schon erwähnt, das ist eine jüdische Erfindung, und in dem Maße, wie natürlich jetzt Juden emanzipiert sind und in alle anderen Bereiche eindringen können, ist es weniger geworden, aber sie sind immer noch da. Sie haben selbst erwähnt Sacha Baron Cohen, der kommt nicht aus dem Getto, der ist ein Baron, und dennoch steckt er in dieser Tradition.
Der Journalist Josef Joffe steht auf der Bühne bei den Hamburger Kammerspielen, 2016
Miteinander lachen, nicht übereinander: Josef Joffe.© picture alliance / dpa / Lukas Schulze
Ricke: Na ja, der steckt aber auch in der Tradition der Grenzwanderung, und zwar wandert der an der Grenze, die man dann erkennt, wenn er sie vielleicht gelegentlich überschreitet. Baron Cohen ist in den USA erfolgreich, bei uns kennt man ihn auch, Stichwort Borat: Das tut ja manchmal richtig weh, und das will der ja auch.
Joffe: Sie haben völlig recht. Eigentlich ist das kein jüdischer Witz, ich wiederhole mich noch mal, der jüdische Witz ist Selbstironie, über sich selber lachen, nie den anderen fertig machen, nie Situationen beschreiben, wo der andere vom hohen Ross fällt oder "Dick und Doof", wenn man über den eigenen Schaden stolpert. Sie haben recht, Cohen hat zwar einen jüdischen Namen, aber er gehört eigentlich nicht in die Tradition.
Ricke: Wir können ja mal einen anderen Witz in einem anderen Unterdrückungssystem anschauen, das ist der Honecker-Witz in der DDR. Da hat man sich ja selber tatsächlich sehr in Gefahr gebracht, wenn man so einen erzählt hat. Aber dann, wenn es ein gemeinsames Lachen gab, dann war das unfassbar befreiend. Sehen Sie da Parallelen zum jüdischen Witz?
Joffe: Insofern, als man nicht über, sondern miteinander lacht, passt natürlich der DDR- und der sowjetische Witz in diese jüdische Tradition. Aber mir fallen jetzt keine richtig guten DDR-Witze ein. Mir fallen bloß solche "Radio Eriwan"-Witze ein.

Jüdischer Humor ist schnell und trocken

Ricke: Dann schauen wir auf dieses befreiende Moment. Ich erweitere mal Ihre Alliteration: Sie schreiben ja, Weisheit, Witz und Waffe – brauchen wir auch noch das W-entil?
Joffe: Nee, so läuft das nicht, das wäre mehr so deutscher Humor, wenn der Tusch kommt – aha, jetzt kommt die Pointe. Der jüdische Witz ist sehr knapp meistens, also einer, der das typifiziert, ist "Im Bahnabteil":
Ein sehr vornehmer Mann und ein Jude stecken im selben Abteil, und dieser Adlige stellt sich vor: Ich heiße Ungern-Sternberg. Und der Jude, ganz trocken: Das kann ich mir vorstellen. - Das ist ganz schnell.
Ricke: Das ist schnell, und das ist knapp, und das hat man ja in Deutschland vielleicht durch die importierten amerikanischen Serien in den letzten Jahren auch ein bisschen gelernt. Da gibt es ja in der Globalisierung des Humors tatsächlich eine Transfusion aus dem Amerikanischen, Jüdischen nach Deutschland – wir scheinen aber in Deutschland insgesamt humorbedürftig dann doch noch zu sein.

Deutscher Humor ist voller Schadenfreude

Joffe: Na ja, ich meine, der klassische deutsche Humor ist natürlich der der Schadenfreude und der, über den anderen zu lachen, wenn er von seinem Ross stürzt. Aber Sie haben völlig recht, wir sind uns gar nicht mehr bewusst, wenn wir uns diese Serien, die wir alle kennen, ansehen – "Seinfeld", "Die Nanny" und so weiter –, findet man, dass der amerikanische Witz eben jüdische Ursprünge hat, die man gar nicht unbedingt erkennt.
Ich meine, "How I Met Your Mother", das ist eigentlich nicht jüdisch, aber wenn Sie sich die Struktur ansehen, den Aufbau, der zur knappen Pointe führt, und dann lacht man eben miteinander, das ist, glaube ich, sehr jüdisch.
Aber vielleicht darf ich noch etwas sagen: Witz und Waffe und Weisheit – die Juden haben ja nicht nur ein Problem mit ihrer Umwelt, also der Verfolgung und der Vertreibung und Ausrottung, sie haben ja vor allen Dingen ein Problem mit ihrem Gott, diesem allmächtigen Typen, der so viel von ihnen fordert. Und dass man den mal ein bisschen eine Nummer kleiner macht, erklärt der folgende Witz.

Gott als Ziel von Spott

Rubinstein geht jeden Freitagabend in die Synagoge und betet inbrünstig zu Gott: Bitte, lieber Gott, lass mich wenigstens einmal im Lotto gewinnen. Das geht eine Woche nach der anderen, schließlich die donnernde Stimme Gottes: Rubinstein, tu mir einen Gefallen, kauf dir einen Lottoschein.
Was das sagt, ist: Guck mal, selbst der, der ist nicht so allmächtig, wie er tut, und wir können über ihn Witze reißen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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