Jonathan Franzen: "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?"

Vorbereitung auf ein Leben mit der Klimakatastrophe

05:33 Minuten
Cover von Jonathan Franzen "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" vor Aquarell-Hintergrund
Jonathan Franzen meint, die drakonischen Maßnahmen, die notwendig wären, die Klimakatastrophe zu verhindern, seien gesellschaftlich nicht durchsetzbar. © Cover: Rowohlt / Collage: Deutschlandradio
Von Günther Wessel  · 28.01.2020
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Der amerikanische Autor Jonathan Franzen ist passionierter Ornithologe und beobachtet sensibel die Veränderung unserer Naturräume. Sein neuer Essay ist eine Abrechnung mit allen, die glauben, eine Klimakatastrophe sei noch zu verhindern.
Ob Franzens These, dass eine Klimakatastrophe nicht mehr zu verhindern ist, stimmt? Der Autor reklamiert Realismus für sich: Die drakonischen Maßnahmen, die notwendig wären, die Klimakatastrophe zu verhindern, seien gesellschaftlich nicht durchsetzbar. Sie würden die Menschen überfordern. Deshalb sei der Zeitpunkt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu beschränken, leider vorbei: Die Menschheit habe zu lange geschlafen.
Das Spiel ist aus, wer das leugne, sei entweder ein uninformierter, unrettbarer Optimist oder er sei als Klimaforscher Aktivist mit einer politischen oder wirtschaftlichen Agenda. Es ist ein leicht perfides Argument, mit dem Franzen sich gegen anderslautende Aussagen von Wissenschaftlern immunisiert, denn es unterstellt ihnen interessengeleitet zu sein.

Klimawandel aufhalten? Ein verlorenes Ziel!

Franzen sagt aber nicht, dass es egal ist, wie wir uns zukünftig verhalten. Jede Tonne CO2, die im Boden verbleibe, sei natürlich ein Gewinn für die Menschheit, jede Umweltschutzmaßnahme eine weitere.
Jonathan Franzen trägt einen blauen Pullover und steht mit ernstem Blick vor einer weißgrauen Wand.
Plädoyer für mehr Arten- und Naturschutz: der US-Schriftsteller Jonathan Franzen.© imago/ZUMA Press
Doch führe die Fokussierung auf ein falsches, weil verlorenes Ziel – den Klimawandel aufzuhalten – dazu, dass wir die falschen Dinge täten: Uns an einem unlösbaren Problem abzuarbeiten während es andere Umweltprobleme gäbe, die tatsächlich bereinigt werden könnten, von uns aber vernachlässigt würden. Nicht nur die Klimafrage sehen, sondern auch den Arten- und Naturschutz ernst nehmen. Sich nur auf den Klimawandel zu konzentrieren – Franzen spricht davon, ihm den totalen Krieg zu erklären – war nur so lange sinnvoll, wie man gewinnen konnte.

Franzen will vor allem klassischen Umweltschutz

Unsere Ressourcen seien schließlich nicht unendlich. Jeder Dollar, der in neue Verkehrsmittel wie Hochgeschwindigkeitszüge investiert werde, fehle bei der Katastrophenvorsorge oder in Umweltschutzprojekten, jede große Solaranlage zerstöre Naturraum. Das stimmt vielleicht, aber will Franzen keine Alternative zum Flugverkehr, keine fossilfreie Energie?
Die Antwort bleibt er schuldig. Franzen will zwar Klimaschutz, aber vor allem klassischen Umweltschutz, dazu die Stärkung der Demokratie, letzteres auch in kleinteiligen, solidarischen, nachbarschaftlichen Strukturen, um so mit der kommenden Katastrophe möglichst gut umzugehen.

Resignation als radikale Rationalität getarnt

Das alles ist elegant geschrieben und schön formuliert, und vielleicht hat Franzen Recht mit seiner Sicht, dass die Klimakrise unaufhaltbar ist. Doch es ist auch ernüchternd wie wenig Mut, Verantwortung und Gestaltungskraft er von Politikern verlangt, wie er auch auf gewisse Weise politische und gesellschaftliche Resignation als radikale Rationalität tarnt.
Wie wenig er Klima- und Naturschutz zusammen denkt, also das eine tun und das andere nicht lassen. Jugendliche Klimaaktivisten würden vielleicht mit Nelson Mandela antworten: "It always seems impossible until it is done".

Jonathan Franzen: "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können"
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell
Rowohlt, Hamburg 2020
64 Seiten, 8 Euro

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