Jon Fosse: "Der andere Name. Heptalogie I-II"

In die Tiefe statt vorwärts

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Das Buchcover zeigt eine Fjord-Landschaft in Norwegen vor einem aquarellierten Hintergrund.
Der Schriftsteller Jon Fosse verweigert sich in seinem Roman "Der andere Name" herkömmlichen Spannungsbögen und Dramaturgie. © Rowohlt / Deutschlandradio
Von Michael Opitz · 07.10.2019
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Der Norweger Jon Fosse erzählt in "Der andere Name" vom Sterben, von Gott, dem Alleinsein und vom Glauben. Sein Stil ist ein radikaler Bruch mit üblichen Spannungsbögen. Dennoch entwickelt der Roman um den Maler Asle eine eigene Sogwirkung.
Als "langsame Prosa" hat der 1959 in der Nähe der norwegischen Stadt Bergen geborene Jon Fosse die beiden ersten seines auf insgesamt sieben Teile angelegten Opus magnum bezeichnet. Allerdings ist die Beschreibung seiner Erzählweise eine Untertreibung. Denn Fosse entschleunigt in seinem neuen Roman "Der andere Name" das Handlungsgeschehen nicht nur radikal, er dreht es immer wieder auch zurück, als wolle er auf diese Weise dem, was im Vergehen begriffen ist, wenigstens für einen Moment Dauer verleihen. Fosses Prosa will nicht voran, sie will in die Tiefe, weshalb er ihr verweigert, "Fahrt" aufzunehmen. Reduktion ist für den 2015 mit dem Preis des Nordischen Rates Ausgezeichneten zum Kennzeichen geworden.
Die Konsequenz, mit der Fosse dieses Erzählen in seinem neuen Roman auf mehr als vierhundert Seiten praktiziert, ist ungewohnt und verstörend zugleich. In "Der andere Name" wird die Geschichte des Malers Asle erzählt, der in einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Bjørgvin wohnt. Während einer Autofahrt macht sich Asle Vorwürfe, dass er an der Wohnung seines alkoholkranken befreundeten Malers und Namensvetters vorbeigefahren ist. Er fährt schließlich noch einmal zurück, findet den Freund im Schnee liegend, kehrt mit ihm in ein Wirtshaus ein und muss ihn dann in ein Krankenhaus bringen.

Realität und Fiktion, ununterscheidbar

Deutlich mehr als für die Handlung interessiert sich Fosse für Asles Gedanken. Dessen Überlegungen werden immer wieder von Traumsequenzen unterbrochen, etwa wenn er glaubt, seiner verstorbenen Frau zu begegnen. Längst Vergangenes sieht er häufig so deutlich vor sich, als würde es gerade eben passiert sein. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Realität und Fiktion ununterscheidbar geworden sind.
Erst allmählich kommen einem Zweifel, ob es sich bei den beiden Malern tatsächlich um zwei verschiedene Personen handelt. Es sind zunächst nur Kleinigkeiten, die auffallen: Beide Männer tragen ein schwarzen Mantel und sie binden sich auf die gleiche Weise das Haar. Ihre Biografien scheinen sich zu kreuzen wie die beiden Linien, die auf dem letzten Bild von Asle zu sehen sind. Entscheidend ist der Kreuzungspunkt, für den sich auch Fosse interessiert, wenn er die Bereiche zwischen Wachen und Träumen, Leben und Tod so vermisst, dass sich scharfe Trennungslinien aufzulösen beginnen und stattdessen Schwellenbereiche entstehen.

Sogwirkung der Foss'schen Erzählkunst

Asle – dafür gibt es im Verlaufe des Handlungsgeschehens immer deutlicher werdende Hinweise – sieht offensichtlich kurz, bevor er stirbt, noch einmal, wie sein Leben verlaufen ist. Allerdings werden dabei reale Erinnerungen immer wieder von Wunschbildern überlagert. Wie Fosse dies sprachlich umsetzt, wie er vom Sterben, von Gott, dem Alleinsein und vom Glauben erzählt, vermag einen unglaublichen Sog auszulösen.
Mit seiner minimalistischen Sprache verzaubert dieser archaische Erzähler auf das Wunderbarste. Sein sich auf den alles stillstellenden Punkt zubewegendes Erzählen entwickelt eine beklemmende Dynamik. Die Endgültigkeit des Lebens wird in diesem behutsam angelegten Erzähltext stets in Erinnerung gerufen. Auch wer die an wenigen Stellen zu stark aufgetragenen religiösen Einlassungen nicht teilt, wird sich von der strahlenden Aura, die diesen kühnen Erzähltext umgibt, "erhellt" fühlen.

Jon Fosse: "Der andere Name. Heptalogie I-II"
Roman. Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Rowohlt Verlag, Hamburg 2019
475 Seiten, 30 Euro

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