John F. Kennedy

"Eine Kraft der Unmittelbarkeit"

Charlotte Klonk im Gespräch mit Britta Bürger · 22.11.2013
Im Moment von Katastrophen müssen Bilder gemacht werden, sagt die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk. Nur dann könne man das Gefühl von Sicherheit wiedergewinnen. Die Aufnahmen von Abraham Zarpuder seien auch deshalb so berühmt geworden, weil der Filmer die beste Kamera zur damaligen Zeit verwendete.
Britta Bürger: Es gibt Ereignisse der Weltgeschichte, die wir unwillkürlich in Bildern erinnern. Häufig sind es Bilder von Katastrophen oder Attentaten: das zerbombte Dresden, das Foto eines nackt rennenden, schreienden Mädchens aus dem Vietnamkrieg, die Flugzeuge, die ins World Trade Center hineinrasen – und die Erschießung von John F. Kennedy, heute vor genau 50 Jahren.
Die unscharfen Bilder einer amateurhaften Super-8-Aufnahme zeigen den amerikanischen Präsidenten in seiner offenen Limousine in dem Moment, in dem ihn die tödlichen Schüsse trafen. Noch heute, ein halbes Jahrhundert danach, gehören diese Aufnahmen zum kollektiven Bildgedächtnis. Doch wie wurden diese Bilder zu einer regelrechten Medienikone? Darüber wollen wir mit Charlotte Klonk sprechen, sie ist Professorin für Kunst und neue Medien am Institut für Bildgeschichte der Humboldt-Universität in Berlin. Ich grüße Sie, Frau Klonk!
Charlotte Klonk: Guten Tag!
Bürger: War die Super-8-Aufnahme des Amateurfilmers Abraham Zapruder eigentlich das einzige Bilddokument des Kennedy-Attentats oder warum sind ausgerechnet diese verwackelten und unscharfen Bilder in unser kollektives Bildgedächtnis eingegangen?
Klonk: Sie waren überhaupt nicht die einzigen. In seiner Nähe und zum selben Zeitpunkt sind, ich glaube, noch sieben andere Filme gedreht worden, und insofern stellt sich natürlich die Frage, warum es gerade diese Bilder sind, die so berühmt geworden sind. Und ich glaube, Zapruder muss gewusst haben, er muss gewusst haben, als er sich auf einen Betonsockel ganz in die Nähe der Fahrbahn gestellt hat, dass er historische Aufnahmen machen würde – nicht in dem Ausmaß, in dem es dann passiert ist, aber er muss sich bewusst gewesen sein, dass er zwei Vorteile hatte: Er hatte diesen wirklich guten Standort gefunden, leicht erhöht, sodass eben Bilder entstanden sind, die sowohl die Limousine aus der Nähe filmen konnten und mit leichter Ein- und Aufsicht, sodass man wirklich dieses junge, attraktive Paar gut sehen konnte.
Und er hatte einen zweiten Vorteil: Er besaß – und das ist wirklich was, was die anderen Filmer nicht hatten –, er besaß eine Kamera, eine Filmkamera, die gerade erst auf den Markt gekommen war für Amateure, mit der man das erste Mal in Farbe relativ hohe Qualität filmen konnte. Und insofern sind das zwar für uns verwackelte und wenn man die Bilder sich in Farbe auch anguckt, wirken die merkwürdig, dieser Kodak-Colorfilm, den er benutzt hat, merkwürdig surreale Farben heutzutage, aber es war für die Zeit wirklich das beste Material, was ein Amateur haben konnte.
Bürger: Das heißt, dieses Kennedy-Attentat war ja das erste Ereignis, in dem jetzt nicht mehr Einzelfotos, sondern eine ganze Filmsequenz in unser Bildergedächtnis gerückt ist. Also es folgten später natürlich viele weitere, von der Mondlandung 1969 bis eben zum Anflug der Flugzeuge am 11. September auf die Twin Towers. Was für eine neue Qualität steckte in dieser Dauer-, in dieser Eins-zu-eins-Abbildung eines Attentats?
„Das Gefühl, man sieht es live“
Klonk: Dazu muss man sagen, dass natürlich zum Zeitpunkt des Attentates und kurz danach die Filme selber nicht gezeigt wurden. Das Interessante an diesen Bildern ist: Ich glaube, in Amerika haben ganz, ganz viele Leute ganz lange immer behauptet, sie hätten das live im Fernsehen gesehen. Das liegt in der Qualität der Bilder selber. Also die Filme – ganz kurz zur Geschichte –, die Filme hat Zapruder am Abend entwickelt, drei Kopien, zwei davon sind an die Warren Commission gegangen, die von der Regierung beauftragt wurde, den Tathergang zu ermitteln, und eine Kopie hat er an das Life Magazine verkauft, mit der Auflage allerdings – das finde ich sehr interessant –, dass diese Szene, wo wirklich der Kopf getroffen wird von JFK, dass die nicht gezeigt würde.
Und das Life Magazine hat dann Einzelbilder, aber auch eine Serie von Bildern in die Welt geschickt, und das sind die Bilder, die man kannte und die man gesehen hat. Und das Interessanteste sind ja wirklich Stillbilder, aber weil sie das erste Mal in der Geschichte als Serie kamen und auch so gefilmt sind, … und ich glaube, das macht auch ihren ikonischen Charakter aus. Ich meine, die ganze Zeit fährt das Auto und man sieht das auch, das hört ja nie auf, das hält ja nie an, und man sieht es auch in den Bildern, also das permanente Fahren. Man hat sozusagen in der Sequenz das Gefühl, man sieht es live, man ist unmittelbar dabei.
Bürger: Man ist dabei.
Klonk: Und das hat es wirklich vorher so nicht gegeben. Also im späten 19. Jahrhundert haben bei Attentaten auf den Zar zum Beispiel Illustratoren das immer imaginiert, das Dabeisein, aber das war natürlich nach Augenzeugenberichten rekonstruiert. Als dann die Fotografie auf den Markt kam und die Fotografie in die illustrierten Zeitungen gedrängt hat, da war es ja … Also die Fotografen waren eigentlich immer zu spät bei solchen Attentaten und konnten immer nur noch die Trümmer und die Überreste abfotografieren. Und hier gab es nun halt dieses Szenario, was live mitgeschnitten wurde, aber eben, wie gesagt, zunächst mal nur als Fotografien um die Welt ging.
Bürger: Und suggerierte eben dennoch dieses Moment des Miterlebens, des Authentischen, und doch geht diese Bildsequenz ja über das rein Dokumentarische weit hinaus. Womit wurden diese Bilder der Kennedy-Ermordung im Laufe der Jahre aufgeladen?
Bilder haben JFK in die Nähe früh verstorbener Helden gebracht
Klonk: Also was ja passiert ist, schon kurz nach der Ermordung, ist, dass mehrere Verschwörungstheorien in Umlauf kamen, immer wieder ermittelt wurde, und immer wieder wurde auf diese Filme zurückgegriffen, um irgendwie etwas belegen zu können, gab es wirklich einen vierten Schuss, den manche gehört haben wollten und so weiter. Und natürlich konnten diese Filme das nie belegen. Das ist so wie in dem Film von Michelangelo Antonioni: Wenn man es immer weiter vergrößert und weiter vergrößert – irgendwann sieht man vielleicht die Leiche, aber es wird immer unschärfer und unschärfer.
Und nachdem diese dokumentarische Suche in den Bildern zu Ende war, fing eigentlich die Hochzeit der Rezeption in der Popkultur an. In Romanen wurde immer wieder von dieser Geschichte erzählt, und dann kam eben die Popkultur, in Musikvideos, und dann ganz berühmterweise noch einmal wieder in Oliver Stones‘ JFK-Filmen, wo die Filme auch wieder eine Rolle spielen. Und da ist es offensichtlich, dass dann ein Bedeutungswandel einsetzt, dass von dem eigentlichen Attentat und das Nicht-fassen-Wollen, was da passiert ist, und Die-Bilder-Brauchen, um zu glauben, was da passiert ist, also so unfassbar und unerklärlich war ja der Vorgang.
Und nachdem das abgeschlossen war, dann setzt, glaube ich, so eine Phase ein, dass die zum einen einfach als Zeitdokumente zitiert werden, so wie man dann die Mondlandung zitiert oder den Mauerfall, und im weiteren Verlauf dann, glaube ich, steht das auch weil dieser Schock, dieses jungen, dynamischen Präsidenten, der nur 1000 Tage im Amt war und dann umgebracht wurde, das brachte ihn natürlich in die Nähe von diesen früh verstorbenen jungen Helden wie James Dean oder Buddy Holly oder andere. Und ich glaube, das ist die zweite Bedeutungsebene, für die die Bilder jetzt einfach stehen.
Bürger: 50 Jahre nach der Ermordung von John F. Kennedy können die meisten von uns die Bilder von diesem Attentat unwillkürlich aus dem Gedächtnis abrufen, Ikonen der Mediengeschichte sind unser Thema hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Charlotte Klonk.
Sie haben jetzt eben schon darüber gesprochen, wie Künstler die Kennedy-Bilder aufgegriffen haben und benutzt haben, wie das in die Popkultur eingegangen ist, aber im Fall der Kennedy-Ermordung, da war das ja eben eine zufällige Amateuraufnahme, ähnlich wie die Videos, die heute mit dem Smartphone via Internet in die ganze Welt geschickt werden. Dem gegenüber stehen dann Profifotos von Katastrophen, bei denen es ja auch um mehr geht als um die pure Dokumentation, auch um so was wie Schaulust – hier fotografiert dann jemand mit geschultem Blick, mit dem Wissen über die Macht von Bildern. Wie war das – jetzt nehmen wir ein anderes Beispiel – zum Beispiel 9/11 mit diesen Bildern? Gab es dort Aufnahmen, die herausragten?
"Das Informationsbedürfnis, das Bildmachen ist ein wichtiger Faktor"
Klonk: Das ist wirklich eine interessante Geschichte. Am Tag nach den Anschlägen ist eigentlich ein Foto auf unglaublich vielen internationalen, auf den Titelblättern internationaler Zeitungen abgebildet worden, ein Foto von Stephen Platt, was den Moment des zweiten Einschlags des zweiten Flugzeugs in den South Tower, ist das glaube ich, zeigt, vor strahlendem, blauen Himmel, Sonnenschein, und der erste Turm steht schon in Rauchwolken, der zweite brennt gerade. Also es ist ein dramatisches Farbbild, was ich interessant finde, weil es die Stadt unten überhaupt nicht zeigt und man hoch oben noch schwebt, als wäre die ganze Katastrophe, die noch kommen mag, nur erst mal der Denkraum.
Es hält im Grunde diesen größtmöglichen Moment der Bedrohung, wo aber die ganze Katastrophe sich noch nicht entwickelt hat, fest. Und das ist interessanterweise das Bild, das am häufigsten publiziert ist. Es ist eigentlich ein sehr, sehr perfektes, ästhetisch gutes Bild. Und das ist, glaube ich, typisch für manche Katastrophen, dass es bestimmte Bilder gibt, die formal, ästhetisch – so schrecklich das klingt – so perfekt sind, dass die immer wieder ausgewählt werden von den Bildredakteuren und wir uns auch an diese Bilder immer besonders gut erinnern.
Bürger: Haben solche Bilder wie die vom Kennedy-Attentat eigentlich ein Verfallsdatum oder gilt das kollektive Bildgedächtnis immer nur für eine bestimmte Generation, die das noch miterlebt hat?
Klonk: Also die Bilder von John F. Kennedys Ermordung kann man ja jetzt erst mal konstatieren, dass es erstaunlich ist, dass sie 50 Jahre danach noch so präsent sind, auch in der jüngeren Generation. Und das kann man in diesem Fall nicht aus den Bildern selbst heraus erklären, da gibt es in dem Sinne diese ästhetische Perfektion, von der ich eben gerade gesprochen habe, so natürlich nicht. Aber sie haben halt eine Kraft der Unmittelbarkeit.
Bürger: Ja, auch so einen bestimmten Thrill.
Klonk: Ja, gut, also das ist die Frage nach der Schaulust. Ich glaube, das stimmt natürlich, es gibt so etwas wie eine Schaulust an dem Leid anderer. Aber ich bin absolut der Überzeugung, dass im Moment von Anschlägen, Katastrophen es neben der Schaulust eine große Notwendigkeit gibt, Bilder zu sehen, denn nur, wenn man sich ein Bild von etwas machen kann, hat man die Möglichkeit, … Das ist ja ein Distanzprozess, in dem Augenblick distanziert man das Geschehen, weil man sich ein Bild davon machen kann, und das ist absolut notwendig in Momenten von Katastrophen, damit man das eigene Sicherheitsgefühl wiedergewinnen kann. Also insofern, glaube ich, ist dieses Informationsbedürfnis, das Bildmachen jenseits der Schaulust doch schon ein wichtiger und grundlegender Faktor.
Bürger: Die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk über unser kollektives Bildgedächtnis, zu dem gehört auch jene Sequenz von Bildern, die entstanden sind, als John F. Kennedy ermordet wurde, heute vor 50 Jahren. Frau Klonk, herzlichen Dank fürs Gespräch!
Klonk: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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