Jörg-Uwe Albig: "Eine Liebe in der Steppe"

Von der Liebe zu einer Betonkapelle

Buchcover Jörg Albig "Eine Liebe in der Steppe", ehemaliger Braunkohletagebau Cottbus-Nord.
Das Buchcover von Jörg-Uwe Albigs "Eine Liebe in der Steppe" und im Hintergrund der ehemalige Braunkohletagebau Cottbus Nord © dpa/Klett-Cotta
Von Verena Auffermann · 11.07.2017
Eine der merkwürdigsten Liebesgeschichten in Zeiten heranrückender Roboter: In Jörg-Uwe Albigs neuem Roman verliebt sich ein Paläontologe in eine Kapelle in wüster Landschaft. Es entfaltet sich eine reizvoll abstoßende Zukunftsvision.
Jörg-Uwe Albig ist 57 Jahre alt, gebürtiger Bremer, erfahrener Journalist und seit 1993 Buchautor. Vier Romane sind von ihm in den vergangenen Jahren erschienen. Mit Auszügen aus der Novelle "Eine Liebe in der Steppe" präsentierte er sich vor wenigen Tagen der verblüfften Jury des 41. Klagenfurter Ingeborg Bachmann-Wettbewerbs. Die Jury sprach von Albigs dick aufgetragenem schrägem Pathos, von einem Beispiel für "Objektliebe" in der Literatur, und nannte den Textauszug insgesamt "gewöhnungsbedürftig".
Was war geschehen? Hatte sich die Jury verrannt oder der Autor? Der Fehler lag beim Autor. Er hatte die 175 Seiten-Novelle zu einem 30-Minuten Lese-Text zusammengeschnitten und ihr viel zu viel abverlangt und aufgebürdet.

Weltabschiedstableau in der Sprache aus einer früheren Zeit

Was wird in dieser pathetischen Liebesgeschichte verhandelt? Wenn man es kurz macht: Der Bruch des Paläontologen Gregor Stenitz mit den gewöhnlichen Formen der Liebe. Seine Liebe entwickelt sich, nachdem seine Kollegin Judith sich von ihm ab- und seinem Chef zugewandt hat. Das neue Objekt der Liebe ist eine Kapelle irgendwo im ostdeutschen Braunkohleabbaugebiet in der Nähe von Cottbus. Die Ödnis der vom Tagebau zerstörten Landschaft hat sich auf die umliegenden Ortschaften ausgebreitet, die Bewohner sind weggezogen, Versteppung tritt ein. Einzige Überlebende: "die Kapelle".
Jörg-Uwe Albig entwickelt ein Weltabschiedstableau und nähert sich seiner Hauptfigur mit einer Sprache aus einer früheren Zeit. Ernst Jünger könnte ein möglicher Pate sein. Was ist die Idee hinter der verrückten Verhaltensweise dieses Gregors? Der Versuch, die Formen der Liebe aus der Tradition der fleischlichen Verbindung zu lösen und in der Manier des Wissenschaftlers für sie ein neues Objekt zu finden. Oliver Sacks hat uns mit dem Mann, der sich in seinen Hut verliebte, bekanntgemacht. Und denken wir an die Liebe, die Kühlschränke in einsamen Nächten auf sich ziehen. Albigs Paläontologe geht einen entschiedenen Schritt weiter. Er verliebt sich in eine mit "bäuerlicher Grazie" in der "Steppe" stehende Betonkapelle. Gregor ist kein Glaubensfanatiker. Im Gegenteil: Er ist Atheist.

"Dinge sind schlauer als wir denken"

Weil die letzten Gläubigen wegsterben oder fortziehen, wird der sonntägliche Gottesdient mit Pfarrer eingestellt. Gregor wird zum heimlichen Besitzer, öffnet die Tür mit einer Scheckkarte, verbringt die Nächte im Innern der Kapelle, die Maria Magdalena gewidmet ist und in seinem Kopf zur "Magdalena" wird. "Dinge sind schlauer als wir denken", lässt Albig eine Figur sagen, oder "Mensch und Dinge sind gut füreinander". In einer nahen Zukunft, prognostiziert der Autor, werden die Menschen die Dinge verstehen. Albigs vor Pathos, vor allem bei der Beschreibung der wüsten und verwüsteten Landschaft glühender Text leuchtet traurig grell wie eine Science-Fiction-Vision vom Menschen, der sich auf der Suche nach Reinheit von seiner eigenen Spezies abwendet.
Dies ist eine der merkwürdigsten Liebesgeschichten in Zeiten heranrückender Roboter. Die aufgeladene Sprache verdeutlicht die sinnliche Liebe und wird zum Ersatz für das menschliche Gegenüber. Eine schillernd fremde, reizvoll abstoßende Zukunftsvision.

Jörg-Uwe Albig: "Eine Liebe in der Steppe"
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017
175 Seiten, 20 Euro

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