Jörg Schindler: "Panikmache"

Die Lust an der Angst

Elektroschocker
In Deutschland ist der Verkauf von Elektroschockern und Kleinwaffen gestiegen. © picture alliance/dpa/Foto: Boris Roessler
Von Christian Rabhansl · 29.09.2016
Aus Angst vor Gewalt und Terror decken sich Menschen mit Waffen ein und fliegen nicht mehr ins Ausland, schreibt Jörg Schindler in "Panikmache". Völlig irrational wird es, wenn es um die eigenen Kinder geht, heißt es in dem Sachbuch, das in den Bestsellerlisten steht.
Dieses Buch ist ein wilder Ritt durch die kollektiven Ängste unserer Gesellschaft: vor Terror, vor Krankheiten, vor dem sozialen Abstieg, vor Einbrüchen. Wir kaufen Pfefferspray und Elektroschocker, canceln den Flug nach Thailand (weil ein Anschlag drohen könnte), nehmen grundsätzlich lieber das Auto als das Flugzeug und schließen verunsichert die nächste Versicherung ab.
Die Folge ist laut Schindler, dass mehr Menschen auf den Straßen sterben (weil Autofahren nun einmal unsicherer sei als Fliegen), dass inzwischen selbst der Branchenverband der Versicherungsunternehmen vor unsinniger Überversicherung warne, und dass sich im Jahr 2015 der Absatz von Schusswaffen verdoppelt habe. Dabei zeigt der Blick in die USA, dass mehr Waffen eine Gesellschaft nicht friedlicher machen.
Schindler geht konsequent die verschiedenen Lebensbereiche durch. Beispiel Krankheiten, was gab es da nicht alles: SARS, Ehec, BSE, Schweine- und Vogelgrippe in mehrfacher Ausführung. Seit den 90er-Jahren haben immer neue angeblich pandemische Killererreger Konjunktur. Gleichzeitig haben aber auch immer mehr Menschen Angst vor Impfungen und verweigern sich der Schulmedizin.

Die Rolle der Medien

Mit diesen – und vielen, vielen weiteren – Beispielen illustriert Schindler überzeugend, mit welcher Begeisterung wir Angst haben. Und trifft damit den Nerv der Zeit. Ängste bestimmen oft die Nachrichtenlage. Deshalb darf auch das Kapitel zur Rolle der Medien nicht fehlen – schließlich schreibt Schindler beim Spiegel über Terror. Gleichzeitig hilft das Buch beim Realitätscheck für das eigene Leben. Wenn wir laut Stiftung Warentest "fast jede Zusatzversicherung für Kinder getrost vergessen" können – warum schließen so viele Eltern dann trotzdem eine Police nach der anderen ab? Nur um sagen zu können, alles für die Kinder getan zu haben?
Ohnehin scheint beim Thema "Kinder" die Rationalität zu enden. Schindler schreibt über internetfähige Kinderzimmerkameras, die besorgte Eltern installieren, um jederzeit einen Blick ins Kinderbett werfen zu können. Dann aber verwenden viele Eltern derart simple Passwörter, dass sie kinderleicht zu hacken seien. Inzwischen, schreibt Schindler, existierten Internetseiten, die den Live-Blick in fremde Kinderbetten zeigen – gestreamt von Kameras, die die Eltern nichts ahnend angebracht haben.
Das alles gipfelt im stärksten Kapitel: dem zu Terrorängsten und zur so genannten Sicherheitspolitik. Da ist es vorbei mit der Possierlichkeit der amüsanten Beispiele. Denn da befördert die Angst eine gesellschaftliche Enthemmung, eine politische Radikalisierung und schlicht den Aufstieg demokratiefeindlicher Ideen und Politiker, die unserer Gesellschaft dann tatsächlich ernsthaften Schaden zufügen können.

Jörg Schindler: "Panikmache. Wie wir vor lauter Angst unser Leben verpassen"
Fischer Taschenbuch, 2016
286 Seiten, 14,99 Euro

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