Joe Bidens Politik

"Für Amerikaner ist das fast revolutionär"

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Präsident Joe Biden stößt die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, nach ihrer Rede im Kongress, freundschaftlich mit dem Ellenbogen an.
US-Präsident Joe Biden begeistert derzeit nicht nur seine demokratischen Parteifreundinnen Nancy Pelosi und Kamala Harris. © picture alliance / AP Photo / Andrew Harnik
Susan Neiman im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 28.04.2021
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100 Tage ist Joe Biden US-Präsident. Bis jetzt schaffe es der 79-Jährige, das Leben vieler Amerikanerinnen und Amerikaner zu verbessern und die politischen Lager in der angespannten Atmosphäre zu befrieden, sagt die Philosophin Susan Neiman.
Seitdem Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, sind 100 Tage vergangen. Ins Weiße Haus ist mit dem 78-Jährigen ein neuer Politikstil eingezogen. Die Zeit ist vorbei, in denen der ehemalige Präsident Donald Trump seine politischen Gegner auf dem Kurznachrichtendienst Twitter beleidigte. Oder der Stabschef die morgendlichen Beratungsgespräche möglichst leicht verdaulich halten musste, weil Trump sich nicht konzentrieren konnte.
Biden hingegen zeigte schon bei seiner Siegesrede zum Wahl des Präsidenten, wie er regieren will. Anfang November 2020 sagte er: "Um Fortschritte zu erzielen, müssen wir aufhören, unsere Gegner als unsere Feinde zu behandeln." Und weiter: "Wir sind keine Feinde. Wir sind Amerikaner." Trotz seiner versöhnlichen Reden ist die Atmosphäre in den USA angespannt. Millionen von Amerikanern haben in der Coronakrise ihre Jobs verloren. Schwarze Bürgerinnen und Bürger fordern eine Polizeireform, nachdem immer mehr Fälle von Polizeigewalt bekannt werden. Und der Klimawandel macht auch keine Pause.
Die Philosophin Susan Neiman lebt seit vielen Jahren in Berlin, in Potsdam leitet sie das Einstein Forum. Neiman sagt, sie sei von Biden freudig überrascht worden. Auch andere Linksliberale in den USA empfänden ähnlich. Sie hätten gewusst, dass er traditionelle Bündnisse schließen werde. "Was wir nicht wussten, dass er tatsächlich in seiner Innenpolitik für amerikanische Verhältnisse allerdings einen ziemlich linken Kurs einschlägt", sagt Neiman. So wolle er Krankentage und Elternurlaub einführen, der bezahlt wird. "Für Amerikaner ist das fast revolutionär." Und vielen Amerikaner mit mehr als einem Job, um überleben zu können, komme das wie eine Rettung vor.
Außerdem sei es dem Präsidenten nach seiner Wahl gelungen, die angespannten Bürgerinnen und Bürgern mit seinem Politikstil zu beruhigen. Viele seien ihm dankbar, dass er nicht weiter in die Hysterie der letzten fast fünf Jahre verfallen sei. Außerdem gelte: "Die Tatsache, dass er ein älterer weißer Mann ist, der als zentristisch gilt, ist natürlich hilfreich."

Ein Präsident der Mitte, der verbindet

Wie verhalten sich Republikanerinnen und Republikaner zu Biden?
Die republikanischen Politiker bewegten sich weiterhin kein Stück auf ihn zu, sagt Neiman. Aus seiner Zeit als Obamas Vize habe Biden gelernt, wie wenig kompromissbereit sie seien. Bei den republikanischen Wählerinnen und Wählern sehe das aber anders aus: Auch unter Konservativen seien Bidens Zustimmungswerte momentan sehr gut. Seine Politik käme vielen Menschen in den USA zugute, meint Neiman. Kein Republikaner habe vorher für Krankengeld oder Elternurlaub gestimmt, selbst in einer Pandemie nicht. Das würde die Bevölkerung sehr genau wahrnehmen, sagt Neiman.
Auch bei der Debatte um Rassismus verhalte sich Biden klug: "Er ist der erste amerikanische Präsident, der schon ganz am Anfang von systematischem Rassismus gesprochen hat." Viele seiner Programme hätten vor allem das Ziel, die Lebensrealität von schwarzen Studierenden und Kindern zu verbessern.
(sbd)
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