Joachim Stamp vor Demos von Kurden in Köln

"Das Wichtigste ist, dass man wieder ins Gespräch kommt“

07:27 Minuten
Ein Mann hat sich eine Fahne um den Kopf gebunden.
Kurden setzen sich gegen die türkische Invasion in Syrien ein. Die Türkei hat eine Offensive gegen die Kurden gestartet, die das syrische Grenzgebiet kontrollieren. © AFP/ ANP/ Remko de Waal
Joachim Stamp im Gespräch mit Shanli Anwar · 19.10.2019
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NRW-Integrationsminister Joachim Stamp appelliert angesichts der anhaltenden Konflikte zwischen Türken und Kurden in Nordsyrien für neue Versöhnungsprozesse. Dies sei wichtig für die Region, und auch für Kurden und Türken in Deutschland.
Shanli Anwar: Seit dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien vor zehn Tagen nehmen auch die Auseinandersetzungen zwischen Menschen mit türkischen und kurdischen Wurzeln hier in Deutschland zu. Bei Demonstrationen von Deutschkurden gab es immer wieder in der vergangenen Woche gewaltvolle Konflikte bis hin zu Messerstechereien. Wir sprechen darüber mit dem nordrhein-westfälischen Integrationsminister Joachim Stamp von der FDP. Guten Morgen!
Joachim Stamp: Guten Morgen, Frau Anwar!
Anwar: Heute sind ja trotz Waffenruhe in Nordsyrien wieder Demonstrationen von kurdischer Seite geplant, die größte in Deutschland hier in Köln mit 15.000 angemeldeten Teilnehmern. Die Polizei überlegte lange, die Versammlung zu verbieten. Noch, heißt es: Sie "findet statt." Haben Sie Sorge, dass es heute wieder eskalieren könnte?
Stamp: Es gibt natürlich erst mal das Demonstrationsrecht, das gilt für alle, und wir wissen auch, dass die überwiegende Mehrheit derjenigen, die zu einer solchen Demonstration gehen, auch friedlich sind. Aber wir müssen natürlich auch sehen, dass es Hinweise gibt, dass es Provokateure geben kann aus den extremistischen Szenen beider Seiten, und das wird die Polizei mit Sicherheit ganz genau beobachten und es davon abhängig machen. Also ich kann nur appellieren an alle, die dort heute nach Köln gehen, von welcher Seite auch immer, sich dort friedlich zu verhalten. Wir können unmöglich das, was an Konflikten im Nahen Osten stattfindet, hier mit Gewalt in Köln auflösen.

Gemeinsam für Frieden in der Region

Anwar: Einen ähnlichen Appell gab es auch schon von der Kölner Polizei. Was kann abseits von Polizeimaßnahmen eigentlich noch getan werden? Gespräche mit türkischen und kurdischen Verbänden, gibt es die auch?
Stamp: Die gibt es, aber die werden wir jetzt sicherlich noch einmal ganz anders intensivieren, denn wir haben ja das Problem, dass dieser ganz vielschichtige Konflikt, der sich dort im Nahen Osten abspielt – ich war gerade selbst in der vergangenen Woche im Irak – auch hier einfach Menschen auseinanderbringt, die sonst im Alltag ganz friedlich und wunderbar miteinander leben. Mir hat ein Junge erzählt in der deutschen Schule in Erbil, wie sehr ihn das belastet, dass er ja noch viele türkische Freunde hat, die aber wie er auch selbst unter dem Konflikt leiden und wo es dann aber eben auch zu Spannungen zwischen ihnen kommt. Und da haben wir, glaube ich, eine große Aufgabe vor uns, zu sehen, dass wir gerade auch hier diejenigen von beiden Seiten auch an einen Tisch bringen. Wenn man eine kraftvolle gemeinsame Demonstration hinbekäme für Frieden in der Region, wäre das, glaube ich, viel mehr wert, als wenn jeder nur für seine eigenen Interessen demonstriert.
Anwar: Da klingt ja schon ein bisschen auch Verständnis raus für vielleicht auch die Wut der Kurden, die sich eben bei dieser Offensive in Nordsyrien nicht nur von den USA, sondern auch von Europa im Stich gelassen fühlen?
Stamp: Ich wundere mich, dass wir nicht viel früher diplomatische Initativen gestartet haben, um auch zu überlegen, wo all die vielen Menschen, die aufgrund dieses furchtbaren Konfliktes in Syrien heimatlos geworden sind, untergebracht werden. Wir haben ja nicht nur diese Flüchtlingsproblematik bei uns in Deutschland, sondern natürlich ist es auch für die Türkei eine ganz große Schwierigkeit, dass dort fast vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien leben. Wir haben in anderen Anrainer-Staaten ähnliche Probleme. Und es kann natürlich keine Lösung sein, dass Erdogan jetzt militärisch durchsetzt, die Flüchtlinge in Kurdistan anzusiedeln, im nördlichen Teil von Syrien, und dann damit die angestammte kurdische Bevölkerung vertreibt. Stattdessen brauchen wir aber jetzt eine diplomatische Initiative, um insgesamt darüber zu sprechen, wie man möglicherweise auch in Kontingenten in der Region Menschen vielleicht auch neu ansiedeln kann, vielleicht wäre es auch sinnvoll, mal eine Initiative zu starten für eine neue Geberkonferenz, die sich dort einbringt. Und hier vermisse ich, ehrlich gesagt, die diplomatische Initiative auch der Bundesrepublik Deutschland.

Nötige Versöhnungsprozesse

Anwar: Blicken wir zurück nach Deutschland, konkret nach Nordrhein-Westfalen. Wenn sich jetzt, auch heute vielleicht wieder, junge, in Deutschland geborene Menschen prügeln, weil sie vielleicht ihren Nationalstolz als Türken oder Kurden glauben verteidigten zu müssen, ist das ein Zeichen von gescheiterter Integration?
Stamp: Na ja, das sind die Extremisten, die haben wir auch bei den autochthon Deutschen - Rechtsextremisten und Linksextremisten, ein Phänomen, was es überall gibt. Aber wir müssen natürlich sehen, dass es auch einfach viele Familien gibt, die noch Verwandtschaft in den Herkunftsländern haben und wo es Tote gegeben hat, und das auf beiden Seiten. Und das macht natürlich die Sache so unversöhnlich. Aber wir brauchen Versöhnungsprozesse, und wenn wir beispielsweise gucken, wie in Ruanda, wo es noch eine ganz andere Form der Gewalt gegeben hat, seit Jahren ein erfolgreicher Versöhnungsprozess läuft, muss das eigentlich auch Ansporn sein für uns hier, nicht nur bei uns hier in Deutschland, sondern vor allem dort in der Region.
Anwar: Aber die deutsch-türkische, deutsch-kurdische Bevölkerungsgruppe ist wirklich um ein Vielfaches größer in Nordrhein-Westfalen als jetzt die aus Ruanda vielleicht. Müsste man nicht – und das könnten Sie als Integrationsminister ja auch anschieben –, was die Bildung angeht, den Kurdenkonflikt der Türkei hier einfach auch in den Lehrplan bringen, hier einfach auch mehr besprechen, damit es nicht einfach eine Sicht ist, die immer wieder von den Heimatländern geprägt ist?
Stamp: Das machen wir ja, aber das werden wir, Sie sprechen das an, jetzt auch noch mal verstärkt machen. Wir werden auch noch mal mit den Migranten-Selbstorganisationen sowohl mit denjenigen, die türkisch, als auch die, die kurdisch geprägt sind, uns noch intensiver zusammensetzen und auch sehen, ob wir hier neue Formen auch des Dialogs schaffen können. Denn das Wichtigste ist, dass man über die Sachen auch wieder ins Gespräch kommt und dass man eben, wie Sie gerade zu Recht sagten, die Propaganda nicht Extremisten überlässt. Wir müssen ja auch sehen, dass auch bei den Veranstaltern heute die Partei Die Linke eben leider auch keine klare Grenze zieht zur PKK, und das macht die Sache auch nicht einfacher.

Der Verdacht, ein Verräter zu sein

Anwar: Aber, Herr Stamp, mich würde wirklich interessieren, wie Sie ganz konkret beide Seiten an einen Tisch bringen wollen, um sich eben gewaltlos zu streiten, also vonseiten türkischer und kurdischer Verbände gab es bisher zumindest bei Interviews Absagen, zu sagen, ja, wir würden auch mal zusammen Interviews geben oder Stellung beziehen.
Stamp: Ja, das ist eben die Frage, inwiefern so was direkt im öffentlichen Raum stattfinden soll, oder inwiefern wir so was vielleicht auch im informellen Raum machen müssen. Und deswegen werden wir zu uns ins Ministerium einladen im nicht-öffentlichen Bereich, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass man dann auch öffentlich was gemeinsam machen kann. Es ist ja dann immer so, dass diejenigen, die als erstes bereit sind, auf die andere Seite zugehen, sehr schnell in Verdacht geraten, Verräter an der eigenen Sache zu sein, und deswegen ist es, glaube ich, erst mal wichtig, gemeinsam die unterschiedlichen Parteien im nicht-öffentlichen Raum an einen Tisch zu holen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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