Joachim Ringelnatz: "...liner Roma..."

Lebendige Hörspielversion eines Großstadtromans

Der Dichter Joachim Ringelnatz mit dem Ohr an einem altmodischen Telefonapparat, den Zuschauer anlächelnd.
Undatierte Aufnahme des deutschen Schriftstellers, Lyrikers und Kabarettisten Joachim Ringelnatz (eigentlich Hans Bötticher). © dpa/ picture alliance
Von Tobias Lehmkuhl · 04.07.2016
1924 erschien Joachim Ringelnatz' kurzer Großstadtroman "...liner Roma...". Das wenige bekannte Werk lässt sich jetzt als Hörspiel neu entdecken, das sich eng an den Originaltext hält.
"…liner Roma…" - so kurz der Titel, so kurz ist auch Ringelnatz’ Roman, und mehr noch: Das Titelfragment kündigt zugleich die wie zerschossen wirkende Handlung an, die unklare Erzählhaltung, die improvisierten Lebensläufe.
"Ahnt keiner, dass das was in Hauffs Märchen unsere Brust bedrängt und uns Güte ausweinen lässt, dass das heute unter Liftboys leben kann, vielleicht jetzt augenblicklich in der Kakadu-Bar vor der Tafel mit den Renndepeschen zu finden wäre."
Gustav heißt der Held des Romans. Er ist ein mittelloser Dichter, der sich damit über Wasser hält, dass er wohlhabenden und weitaus älteren Damen schöne Augen macht, sie bei ihren Einkäufen begleitet und als eine Art Kunsthund an ihrer Leine läuft. Ihre Ehemänner stört das nicht, sie schütteln über einen wie ihn nur den Kopf:
"Spät kehrt in Pelzmantel Herr Purmann stattlich heim, grüßt Gustaven müde königlich, lässt sich von Effchen ein Bad herrichten und zwei Mitesser aus der Nase drücken, isst wortkarg von der auserlesenen Abendmahlzeit und nickt wenig überzeugt, als Gustav anfängt zu berichten, was er für neue Schritte unternommen habe, um endlich mal eine feste Anstellung, irgendeine geregelte Tätigkeit zu erlangen."

Verwirrend und nicht leicht zu durchschauen

Joachim Ringelnatz spielt in seinem Roman mit unterschiedlichsten Tonlagen, wechselt rasch die Szenen und die Stimmungen. Immer wieder blitzen Spott und Ironie auf. Das ist durchaus verwirrend und auch beim zweiten Hören nicht leicht zu durchschauen. Denn Thomas Gerwins Hörspielversion hält sich eng an den Originaltext, wirkt dabei aber wie eine durchaus freie Bearbeitung, was zweifellos an der sehr originellen musikalischen Gestaltung liegt.
Da hopst etwa die Tuba im Hintergrund so aufgeregt herum wie die Figuren im Vordergrund es ihr vormachen.
"Und drei Stunden lang für ein verschwiegenes Honorar ist er damit beschäftigt, ein vornehmes Haus in der X-Straße dauernd zu verlassen. Jedesmal prallt er mit einem Herrn im Pelz zusammen, der dann ruft: Pardon, die Zeit macht einen nervös. Und jedesmal antwortet Gustav dann: Eine Nase lässt sich immer wieder drehen - Und geleitet die Herren ins Parterre, wo ein Kügelchen über schwarze und rote Felder hüpft."

Ein moderner Großstadtroman

Schnelle Schnitte, städtische Unterschicht, das Leben ein Glücksspiel: Ringelnatz hat schon vor Alfred Döblin und John Dos Passos gezeigt, wie ein moderner Großstadtroman aussehen kann. Eine kleine Poetik liefert er, aus dem Munde Gustavs, der ein Theaterstück geschrieben und es seiner Geliebten zum Lesen gegeben hat, gleich mit:
"Kann man alles verstehen?"
"Nein, aber warum verschüttest du die Schönheiten?"
"Trüffeln stecken immer tief im Dreck."
"Aber Stävle, ich bin doch kein Trüfelschweinchen!"
"Nein, aber ich schreibe ja auch kein Dreckchen. Es sind Fetzen. Aus Zeit und Ort herausgerissen. Nicht die gute alte Zeit, nicht Gulitzsch an der Wipper."

Im Geiste des Autors inszeniert

So ist Thomas Gerwins Version von "… liner Roma …" ganz im Geiste Ringelnatzens inszeniert, und die hervorragenden Sprecher - darunter Florian Lukas als Gustav und Michael Mendl als Erzähler - lassen die Figuren lebendig werden. So lebendig wirken sie, so vom Strom der Zeit ergriffen, dass einem die eigene Zeit oder zumindest das Berlin der Gegenwart dagegen ziemlich lahm vorkommt.
"Sie schwimmen in der hilflosen Weite neuer Straßen, lassen sich von winkligen Felsspalten verschlingen, schauen über Geländer in Tiefen, steigen Stufen, schreiten unter Brücken durch, um Pfeiler und Streben herum. Die Wonne erfaßt sie, mit der Kinder im Wirrwarr eines Baugerüstes klettern."
"Jetzt Nuscha, werden wir uns noch wie Bücherwürmer durch ein für Kinder illustriertes Reallexikon winden, durchs Warenhaus. Du wirst noch alles haben wollen. Wir sind darüber hinweg."
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