Jo Lendles Roman "Eine Art Familie"

Ein Gegner der Nazis und doch ins System verstrickt

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Der Verleger und Autor Jo Lendle posiert auf Treppenstufen sitzend.
"Dass er als Wissenschaftler, der sich mit Vergiftungen auskennt, in der Zeit der Nazis gearbeitet hat, hat ihn nicht untouchiert gelassen", sagt Jo Lendle über seinen Großonkel. © Jasper Bühler
Moderation: Frank Meyer · 20.10.2021
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Der Verleger und Autor Jo Lendle hat mit "Eine Art Familie" einen Roman über seinen Großonkel verfasst. Der Pharmakologe Ludwig Lendle war gegen das Regime, arbeitete zugleich aber für das Heereswaffenamt.
Viele Jahre lang lagerten die persönlichen Aufzeichnungen des Großonkels auf dem Dachboden der Familie Lendle. Er habe quasi jahrelang neben den Koffern und Kisten, in denen die Papiere des verstorbenen Pharmakologen Ludwig Lendle (1899 - 1969) aufbewahrt wurden, gespielt, erinnert sich Jo Lendle, Verleger des Carl Hanser Verlags.
Weil Lendle auch Romanautor ist, reizte es ihn, die Geschichte seines Großonkels, genannt Lud, schriftstellerisch zu verarbeiten. Und so blickt in er in seinem neuen Roman "Eine Art Familie" auf die eigene Verwandschaft und ihre Verstrickungen mit dem NS-System.

Moderner Lebensentwurf

Im Gegensatz zu seinem Bruder Wilhelm lehnt Lud, ein renommierter Forscher, das nationalsozialistische Regime ab und wendet sich bald auch von seiner Familie ab. Er bildet mit seiner "Lebensfreundin" Alma – so nennt Jo Lendle sie – und einer Haushälterin eine neue Wahl- und Ersatzfamilie.
Aus heutiger Sicht ist das ein ziemlich moderner Lebensentwurf. Lendle zeichnet Alma denn auch als selbstbestimmte und freizügige Frau. Als Figur ist sie allerdings frei erfunden. "Lud hätte ich nicht allein lassen wollen", begründet der Autor diesen Kunstgriff. "In Wirklichkeit hat er mit seiner Haushälterin sein Leben verbracht."
Doch Lud sei ein "in sich immer wieder gefangener, auch um sich selbst kreisender Charakter. Der braucht jemanden an seiner Seite. Eigentlich ist Alma diejenige, die ich ihm gewünscht hätte in seinem Leben. Und im Roman ist sie bei ihm und rüttelt ihn manchmal wieder wach und aus seinen komischen Alleingängen heraus."

Der Mensch hinter dem Pharmakologen

Der Roman sei für ihn aber auch eine Möglichkeit gewesen, über die Figur seines Großonkels "die Tatsächlichkeit einer Diktatur" nachzuvollziehen, betont Lendle. Über diese Seite des Großonkels habe er nur wenig gewusst, sagt Lendle: Obwohl ein Gegner des NS-Regimes, sei Lud als Pharmakologe durch seine Arbeit für das Heereswaffenamt doch in das System verstrickt gewesen. "Dass er als Wissenschaftler, der sich mit Vergiftungen auskennt, in der Zeit der Nazis gearbeitet hat, hat auch ihn nicht untouchiert gelassen."
Keinesfalls habe er sich den Großonkel "in einer Art Wunscherfüllung" als Romanfigur so bauen wollen, "wie ich ihn mir ausgemalt hätte".

Luds Papiere bekam die Uni Leipzig

Eigentlich hatte Ludwig Lendle verfügt, dass nach seinem Tod seine persönlichen Aufzeichnungen und Briefe, in denen sich einiges über seine kritische Haltung und auch über seine Homosexualität herauslesen lässt, zu vernichten seien. Doch die Familie habe darüber beraten und sich dagegen entschieden.
Die Papiere wurden der Universität Leipzig gestiftet, wo Lendle zuletzt als Hochschullehrer tätig war, "sodass dieses ganze Material jetzt der Wissenschaft zugutekommt".
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