Jim Morrison, LSD und die Ukraine

Rezensiert von Olga Hochweis · 14.10.2005
Der Roman "Kult" von Ljubko Deresch beginnt wie eine amüsante Internatsgeschichte aus der ukrainischen Provinz: der begabte junge Biologie-Student Jurko Banzai aus Lemberg kommt in die kleine Karpatenstadt Midny Buky, wo er an einer Schule als Referendar arbeiten soll.
Regelmäßige Stromsperren im Winter, ein Wandschrank als Arbeitszimmer, ein verrückter Direktor, skurrile Kollegen und Verführungsversuche eifriger Schülerinnen gehören zu seinem neuen Alltag.

Jurkos eigene Interessen gelten vor allem psychedelischer, alter Rockmusik sowie den dazugehörigen Experimenten mit Drogen von der Wasserpfeife bis zum LSD aus selbstgezüchteten Pilzen. Schnell findet Jurko eine Seelenverwandte: Er verliebt sich in die Schülerin Daria Borges, die "stolz darauf ist, alles von King und Vonnegut gelesen zu haben. Und alle Platten von Jimi Hendrix zu besitzen."

Je stärker die Gefühle der beiden füreinander werden, desto stärker geraten sie in den Machtbereich des geheimnisvollen Pförtners Roman Korij, umso stärker wachsen auch ihre Ängste, Alpträume und Obsessionen. Der jugendlich-freche Erzählton vom Anfang kippt in die beklemmende, atemlose Schilderung eines Horrorfinales. Weder kokett noch übertrieben erscheint nach der Lektüre die Warnung des Autors zu Beginn des Buches:

"Kindern, Schwangeren und Herzpatienten wird vom Gebrauch abgeraten."

Nicht nur die Virtuosität und Sprachgewalt, mit der Ljubko Deresch phantastische Elemente mit Popkultur, Esoterik und Weltliteratur vermengt, verblüfft an "Kult". Erstaunlich ist auch, dass der Autor bei Fertigstellung des Buches noch keine 17 Jahre alt war, was ihm den ungeliebten Titel "Wunderkind der ukrainischen Literatur" eintrug.

1984 geboren, ist Deresch Student der Wirtschaftswissenschaften in Lemberg und hat mittlerweile vier Romane veröffentlicht. Er versteht sich als Schüler von Stephen King und H. P. Lovecraft, was sein Werk aber nur teilweise charakterisiert. Hervorzuheben sind vor allem die Bezüge zur ukrainischen und lateinamerikanischen Literatur, vor allem zu Borges und Castaneda, die lustvoll mit den eigenen Erfahrungen in der postsowjetischen Westukraine kombiniert werden.

Eine wesentliche Rolle spielt die Musik. Eine "sanfte Mischung aus Psychedelic der Sechziger Jahre und uraltem Rock'n'Roll" durchdringt das gesamte Buch. Das passt weder zu Geburtsjahr noch Herkunft des Autors und seinen Helden, sondern erinnert vielmehr an die Achtundsechziger: "Ein Hauch von Blumen, Gras(s), Zigaretten, Liebe, Freiheit und Protest liegt in der Luft", schreiben die herausragenden Übersetzer Juri Durkot und Sabine Stöhr in ihrem lesenswerten Nachwort.

"Vielleicht finden die beiden Helden deswegen so wenige verwandte Seelen in Midni Buky; sie fühlen sich oft einsam und verlassen, zugleich aber über Generationen und Grenzen hinweg rebellisch und frei – wenn sie King Crimson hören, Gedichte Jim Morrisons rezitieren oder Motive von Pink Floyd durch ihre immer wilderen Träume wehen."


Ljubko Deresch: Kult
Aus dem Ukrainischen von Juri Durkot und Sabine Stöhr,
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.
262 Seiten,10 Euro