Jewish Chamber Orchestra Munich

Kein Klangkörper des Gedenkens, sondern einer des Lebens

Ein Bild von einem Konzert des Jewish Chamber Orchestra Munich
Das Jewish Chamber Orchestra Munich: Musik in den Kontext jüdischer Kultur setzen © Jewish Chamber Orchestra Munich / Thomas Dashuber
Daniel Grossmann im Gespräch mit Mascha Drost · 07.08.2018
Im "Tatort" am Sonntag spielte das Jewish Chamber Orchestra Munich mit. Benefizkonzerte im Andenken an die Holocaust-Opfer wie im Film sind aber nicht der Schwerpunkt des Ensembles – Dirigent Daniel Grossmann will lieber jüdisches Leben zeigen.
Mascha Drost: Dass der "Tatort" vom letzten Sonntag in einem Take durchgedreht wurde, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, und auch, dass die Handlung quasi in Echtzeit vor und während eines Konzerts stattfindet, in einem der besten Konzerthäuser der Welt, dem Kultur- und Kongresszentrum Luzern: "Dort, wo die Schweiz noch nach Schweiz riecht, echt und teuer" – so einer der ersten Sätze des Films.
An dieser Stelle soll es nun um das Orchester gehen. Im Film das Jewish Chamber Orchestra, in echt das Jewish Chamber Orchestra Munich, das früher Orchester Jakobsplatz München hieß. Vor der Sendung hatte ich Gelegenheit, mit Daniel Grossmann, dem Dirigenten des Orchesters, zu sprechen.
Wer den Film gesehen hat: Dort stand nicht er am Pult, er war Schlagzeuger und hatte eine kleine Sprechrolle. Ja, Daniel Grossmann, ein Konzert mit Werken von den von den Nazis ermordeten Komponisten, ein voll besetztes Benefizkonzert, für das man 10.000 Franken für eine Karte verlangt – haben Sie so etwas schon einmal erlebt?

Ein Konzert wie im "Tatort" würde nicht funktionieren

Daniel Grossmann: Nein, das hab ich noch nicht erlebt. Das wäre, glaube ich, auch extrem. Ich glaube auch nicht, dass das funktionieren würde, so ein Konzert.
Drost: Die Protagonisten, die haben ja nicht so eine ganz weiße Weste, wie man denken könnte im Film. Der Ehrengast hat in der Nazizeit Juden gegen viel Geld zur Flucht verholfen und manchmal eben auch nur das Geld genommen, ohne zu helfen. Kennen Sie diese Situation des "Tatorts", dass Sie als politisch natürlich über jeden Zweifel erhabener Künstler zu Galas und Benefizveranstaltungen eingeladen werden, die vielleicht nicht über jeden Zweifel erhaben sind?
Grossmann: Selten. Sagen wir mal so: Es gibt schon Momente, wo ich mich frage: Lassen wir uns jetzt politisch instrumentalisieren für etwas, aber das Jewish Chamber Orchestra Munich, also mein Orchester, ist ja weniger ein Orchester, bei dem es um Gedenken geht, sondern es geht um jüdisches Leben heute. Insofern fällt es mir leichter, mit dieser Verantwortung umzugehen, weil ich eigentlich grundsätzlich der Meinung bin, wenn wir auftreten, dann repräsentieren wir heutiges jüdisches Leben, und dann fühle ich mich nicht bestochen.
Daniel Grossmann, Dirigent des Orchesters
Dirigent Daniel Grossmann: "Ich bin nicht das West-Eastern Divan Orchestra"© Jewish Chamber Orchestra Munich / Thomas Dashuber
Drost: Ich möchte trotzdem noch mal darauf zurückkommen, weil ein Journalist in der FAZ, Jan Brachmann, einen ziemlich starken Vorwurf doch formuliert hat, und zwar, Zitat, "dass die gegenwärtige Gedenkkulturindustrie den Holocaust zur Cashcow sozialer Kapitalbildung gemacht hat, um am Ende doppelt abzusahnen". Das hieße, es geht nicht mehr um das Gedenken an sich, sondern darum, mit dem Gedenken Geld zu machen. Ist das jetzt starker Tobak oder Realität?
Grossmann: Das finde ich sehr starken Tobak, das kann ich so nicht bestätigen. Wenn er Bezug nimmt auf den Film, dann kann man nur sagen, im Film wird ja die Schweizer Gesellschaft im Rahmen dieses Filmes auch kritisiert, wobei ich weiß nicht, ob Dani Levy jetzt wirklich eine Kassierkultur im Rahmen des Holocaust-Gedenkens gemeint hat.
Ich glaube eher, dass er die Gesellschaft kritisieren möchte, die halt eben bereit ist, 10.000 Franken für eine Konzertkarte zu bezahlen, auch wenn es im Rahmen eines Benefizkonzertes ist. Aber auf Deutschland bezogen kann ich das so nicht nachvollziehen, warum in diesem Artikel das so geschrieben steht.
Drost: Seit Kurzem ist ja Ihr Orchester nicht mehr das vom Jakobsplatz München, sondern das Jewish Chamber Orchestra Munich. Hat sich nur der Name geändert oder auch das Repertoire, und warum haben Sie es überhaupt geändert – wollten Sie ein Signal setzen?

Offensiv mit den eigenen Inhalten umgehen

Grossmann: Es hat sich ausschließlich der Name tatsächlich geändert. Das war eine Überlegung, die ich schon länger hatte. Als wir dieses Orchester gegründet haben, da war die Idee, dass dieser Jakobsplatz irgendwann auch außerhalb von München für jüdisches Leben oder neu erstarktes jüdisches Leben in Deutschland stehen wird, und die Erfahrung, die ich aber in den letzten Jahren machen musste, ist, dass außerhalb von München den wenigsten der Jakobsplatz bekannt ist.
Tatsächlich ist es schon auch so, dass ich das Gefühl habe, dass es in heutiger Zeit nicht verkehrt ist zu sagen, wir gehen sehr offensiv mit unseren Inhalten um, wir verstecken uns nicht hinter einer Codierung, sondern wir sprechen aus, was wir tun, nämlich jüdische Kultur, und deshalb kommt dieses Wort jüdisch auch im Namen des Orchesters vor.
Drost: Im Film waren ja Werke von Erwin Schulhoff, von Viktor Ullmann, Marcel Tyberg und Gideon Klein zu hören, sind das Werke aus Ihrem Repertoire?
Grossmann: Die Werke aus dem Film speziell weniger, weil die meisten dieser Stücke für großes Orchester komponiert sind und wir ein Kammerorchester sind, aber die Komponisten sind natürlich schon Komponisten, die in unserem Repertoire vorkommen, wobei grundsätzlich wir eine ganz andere Herangehensweise an diese Musik haben, weil in dem Film es natürlich schon so ist, dass dieses Orchester, ja, in der Art, zu gedenken, schon auch, um es vielleicht ein bisschen krass auszudrücken, auch anklagen will. Und das ist etwas, was ich überhaupt nicht machen möchte.
Mich interessiert nicht, dem noch mal etwas draufzusetzen, dass man in Deutschland an den Holocaust erinnert, sondern mich interessiert, zu sagen, es gibt in Deutschland Juden, wenn auch nicht besonders viele, aber von jüdischer Kultur, von jüdischem Leben ist überhaupt nichts zu sehen. Und wenn ich diese Komponisten aufführe, dann ist mir wichtig, das in einen Kontext mit jüdischer Kultur zu setzen und weniger in einen Kontext, dass diese Komponisten ermordet wurden.
Drost: Und inwiefern setzen Sie das in einen Kontext mit jüdischer Kultur?

Im Orchester spielen Musiker aus 20 Nationen

Grossmann: Ach, das ist ganz, ganz unterschiedlich. Zum Beispiel habe ich mal ein Konzert über Erwin Schulhoff gemacht, das hieß "Erwin Schulhoff bis 120", das wurde mir als geschmacklos vorgeworfen. 120, das ist so ein Spruch im Judentum, den man zum Geburtstag sagt, "Du mögest leben bis 120", weil Moses angeblich auf den Tag genau 120 Jahre alt wurde. Mir ging es in dem Konzert darum, zum 120. Geburtstag von Erwin Schulhoff seine Person lebendig werden zu lassen.
Das war ein moderiertes Konzert, ich hab ganz viel aus seinen Tagebüchern vorgelesen, wo hervorkam, dass er ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse war, und erst ganz am Schluss des Konzertes hab ich beiläufig erwähnt, dass er im Lager Würzburg starb. Ja, ich hatte so das Gefühl, es geht vielmehr darum, wer war dieser Mensch, was für ein Verhältnis hatte er überhaupt zum Judentum, und weniger darum, dass er ein Opfer des Holocaust war. Und das ist ein Beispiel dafür, wie ich diese Komponisten, in was für einen Kontext ich die setze.
Drost: Während des Konzerts spielen einige der Musiker mit Kippa, ich weiß jetzt nicht, inwiefern das dem Film geschuldet war, oder ob die Musiker privat auch Kippa tragen, wovor ja einige jüdische Gemeinden oder Verbände warnen. Haben Sie schon antijüdische Anfeindungen erlebt als Ensemble oder als Musiker?
Grossmann: Als Ensemble haben wir das in ganz, ganz seltenen Fällen erlebt, dass E-Mails kamen, wo wir gesagt haben, gut, also das hätt's jetzt nicht gebraucht, aber es war auch nie so, dass wir uns jetzt wirklich bedroht gefühlt haben.
Es kommt auch hinzu, dass im Orchester – das ist mir immer wichtig zu betonen –, es spielen zwar jüdische Musiker selbstverständlich auch mit, aber das ist nichts, was für mich ein Kriterium ist. Es spielen Musiker aus über 20 Ländern mit, aller Religionen, auch das ist kein Thema für mich, ich bin nicht das West-Eastern Divan Orchestra.
Es ist ein offenes Orchester, das ist schon mal ein Punkt, und der andere Punkt mit der Kippa: Ich hab keine Anfeindungen erlebt, wenn ich in Deutschland mit Kippa über die Straße gelaufen bin, aber ich trage natürlich auch nicht jeden Tag eine Kippa, aber in Ungarn zum Beispiel hab ich es erlebt.
Drost: Sagt Daniel Grossmann, Dirigent des Jewish Chamber Orchestra Munich. Und das nächste Konzert dieses Orchesters findet am 21. Oktober im Prinz-Regenten-Theater München statt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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