Jetzt aber zack, zack - Mama!

24.05.2009
Viele Kinder führen sich auf wie kleine Prinzen oder Prinzessinnen. Und die Eltern müssen nach ihrer Pfeife tanzen. - Für den Psychologen und Pädagogen Holger Schlageter ist das eine Folge von Überversorgung. Mit seinem Buch "Das Geheimnis gelassener Erziehung" hat er einen praktischen Ratgeber für gestresste Eltern vorgelegt.
"Das Geheimnis gelassener Erziehung" ist ein erstaunliches Buch. Es sagt den Eltern: "Atmen sie mal durch. Sie müssen nicht die Über-Mutter oder der Über-Vater sein." Fast 50 Prozent der Eltern fühlen sich heute in der Erziehung ihrer Kinder belastet oder überfordert. Mit seinem locker geschriebenen und fachlich fundierten Sachbuch schreibt Holger Schlageter ihnen keine Lobeshymne. Aber er klopft ihnen freundlich auf die Schulter und sagt: "Sie sind gut, wie Sie sind. Erinnern Sie sich, auch Sie sind das Kind unperfekter Eltern und wurden ein ganz trefflicher Mensch. Stehen Sie zu sich und finden Sie Ihr Mass." Was der Psychologe und Pädagoge allerdings dem Lesern gleichzeitig abverlangt: Ihr Erziehungsverhalten zu hinterfragen und sich die Folgen vor Augen zu führen. Das scheint ihm dringend geboten, wenn er sich anschaut, wodurch heute gerade Kinder aus Mittelschichtfamilien falsch behandelt werden - durch anstrengende, kraftraubende Überversorgung.

Überversorgung - so die Position des Autors – kommt von zu viel Sorge. Offensichtlich fehlt Eltern heute das rechte Maß in der Beziehung zu ihren Kindern. Sie stehen von klein auf mit Flasche, Brei und Pizza ständig als "rund um die Uhr Catering-Service" parat und verbieten es sich, dem nervenden Nachwuchs mit einem Nein gegenüber zu treten. Sie erfüllen den Kindern ohne Wenn und Aber jeden Wunsch und wagen es sich nicht, sie zu frustrieren oder ihnen eine Anstrengung abzuverlangen. Die Folgen sind im Alltag spürbar – überall trifft man Prinzen und Prinzessinnen, die sich daheim wie im öffentlichen Leben als Maß aller Dinge betrachten, ohne sich zu anderen in Beziehung setzen und deren Bedürfnisse zu sehen. Dabei verderben Eltern niemals absichtlich ihre Kinder. Sie selbst sind unsicher und verängstigt.

Auch wenn wir die Kinder in Watte packen, das Leben ist nicht nur ein Zuckerschlecken, so die Botschaft des Autors. Das müssen die Sprösslinge von Anfang an lernen. Für die fünf Lebensphasen der Kindheit und Jugend dekliniert Schlageter deshalb durch, was Überversorgung jeweils heißt und vor allem, wie sie zu verhindern ist. Zugleich bietet er den Lesern eine Reihe von Tabellen und Fragebögen. Schnell kann man überblicken, welches Verhalten wozu führen kann und welche Alternativen es dazu gibt.

In den Chor der Therapeuten und Autoren, die sich in jüngster Zeit mahnend oder ermutigend an Eltern wandten kann Holger Schlageter gut mitsingen und findet dabei zwischen Klage und Zuspruch seine eigene Stimme. Dabei bringt er noch ein Plus mit. Jahrgang 73 gehört er der Generation der Eltern an, die sich tagtäglich mit ihren Töchtern und Söhnen auseinandersetzen müssen. Die spricht er direkt, pointiert und ohne abgeklärte Therapeutenhaltung an. Das macht das Buch zu einer frischen und zugleich nachdenklichen Lektüre, auch wenn sich über manche Aufforderungen zur Wertungen oder Grenzsetzungen mit dem Schlageter streiten ließe.
"Das Geheimnis gelassener Erziehung" ist auf jeden Fall ein Buch für verunsicherte Eltern, jene, die von Selbstzweifel getrieben sind, meinen, nicht gut genug zu sein oder sich durch den ständigen Vergleich mit anderen Eltern unter Druck setzen. Denen sollte der Paperbackband per Rezept verordnet werden, mit der Empfehlung, die Beine hoch zu legen und den Kindern derweil das Spiel allein oder einen Dienst im Haushalt zuzumuten. Vielleicht könnten sie bereits beim Lesen spüren, dass diese Gelassenheit ihrer Familie gut tut und zugleich mehr Nähe zueinander bringt.

Besprochen von Barbara Leitner

Holger Schlageter: Das Geheimnis gelassener Erziehung. Wie Eltern das rechte Maß finden
Krüger Verlag, März 2009
246 Seiten, 14,95 Euro