Jesus: Für Dich gestorben!

Von Andreas Malessa · 30.05.2009
Starb Jesus am Kreuz, um Gott zu besänftigen? - Das passt nicht zu dem, was Jesus selbst predigte, meinen die Theologen Klaus-Peter Jöhrns und Eugen Biser. Sie plädieren dafür, die Annahmen der Sühnetodtheologie zu überdenken.
"Falls zum Beispiel ein spirituell neugieriger Mensch lesen sollte, wie Johannes in seinem Evangelium den Täufer sagen lässt: 'Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt', würde diese Person sich wundern. Wieso Lamm? Wieso tragen? Wenn er nicht den 'Sündenbock' kennt und den Tempelkult, Jesaja 53 und das 'Lamm auf dem Thron', dann können Sie auch 'Pferd auf der Wiese sagen', es wird ihm nichts bedeuten. Wenn er mit dieser Tradition nicht vertraut ist, hat sie keine Trostkraft für ihn. Also: Verzichten wir lieber auf das Kreuz? Verhängen wir es? Ein verlockender Gedanke. Wäre Jesus an einem Herzinfarkt gestorben, ich hätte viele Deko-Ideen!"

Die Essener Theologin und Schriftstellerin Christina Brudereck, Beauftragte der westfälischen evangelischen Kirche für neue Gottesdienste und Gemeindeprojekte, brachte vor 700 Zuhörern humorvoll daher, was unter interessierten Laien eine ebenso schwierige wie schmerzhafte Diskussion ist: Seit der evangelische Theologe Klaus-Peter Jöhrns vor fünf Jahren in seinem Buch "Notwendige Abschiede" und der katholische Theologe Eugen Biser 2008 in seinem Buch "Theologie der Zukunft" dazu aufforderten, den Tod des Jesus von Nazareth nicht länger als "Opfer zur Sühne für die Sünden der Welt" zu interpretieren.

Warum nicht? Der Gedanke, dass Gottes Zorn nur mit einer Ritualschlachtung besänftigt werden könne, stamme aus archaischen Religionen. Der Gedanke eines stellvertretend zu opfernden "Sündenbocks", dessen Blut das Volk mit Gott versöhnt, stamme aus dem Judentum. Und ein Gott, dessen gekränkte Ehre nur durch die größtmögliche Genugtuung wiederhergestellt werden kann, stamme aus römisch-germanischer Rechtstradition. Keins dieser Gottesbilder, aber – so die Sühnetod-Kritiker – entspräche dem, das Jesus von Nazareth gepredigt und vorgelebt habe. Der Schweizer Theologe und Lehrbeauftragte Wolfgang Bittner von der Berliner Humboldt-Universität hielt auf dem Kirchentag heftig dagegen:

"Der Protest gegen die Sühnetodtheologie begleitet das Evangelium vom allerersten Anfang an. Wenn heute Bücher geschrieben werden, dem modernen Menschen könne man das nicht mehr zumuten, dann ist das ein bisschen lächerlich, denn welchem Menschen konnte man das je zumuten! Die Sühnetheologie, die das Neue Testament vertritt - und es vertritt es nicht irgendwo am Rande, sondern in allen Traditionen des NT kommt sie vor! – stellen sie sich vor, wie in der Mitte das Kreuz Jesu ist und alle Zeugen des Neuen Testaments sitzen drum herum und greifen zu dieser Vorstellung, um es zu deuten. Man kann sagen und sagt es auch: Das NT vertritt doch auch andere Deutungen Jesu! Ja, das ist wahr. Aber alle Zeugen vertreten auch diese Deutung. Und meinen nicht darauf verzichten zu können!"

Den Kritikern des landläufig gültigen Erklärungsmusters - Jesus starb für unsere Schuld – geht es ums Gottesbild. Ein Gott, der Liebe ist, will keine Opfer, sagen sie. Die Verteidiger der herkömmlichen Sühnetod- und Kreuzestheologie dagegen vermuten: Da geht es gar nicht ums Gottesbild, sondern ums Menschenbild. Nicht Gott soll vom Vorwurf der Blutrünstigkeit entlastet werden, sondern der Mensch vom Befund der Schuldhaftigkeit. Die "Sünde als Krankheit zum Tode" würde geleugnet, meint Wolfgang Bittner.

"Das Kreuz Jesu und seine Auferstehung machen eine Aussage über Sie und mich, über den Menschen. Das ist eine Diagnose. Und die Diagnose heißt: Schau dort hin, dann weißt Du, wie es um Dich steht. Stellen Sie sich vor: Ein Krankenhaus. Aufstand der Patienten. Grund: Wir sind nicht mehr einverstanden, dass die Ärzte uns so schlechte Diagnosen stellen. Wir wollen andere Ärzte."

Die launige Polemik kann freilich nicht kaschieren, dass eine theologisch plausible Antwort noch aussteht: Warum die geliebten Geschöpfe Gottes immer gleich todeswürdig sündigen und ihr Versagen so unermesslich groß ist, dass nur der Tod Jesu dies kompensieren konnte. Vielleicht kann man das Kreuz ja auch so interpretieren, wie Christina Brudereck das in ihren 24-Stunden-Events unter dem Motto "Die Nacht des Meisters" tut.

"Ein Körper mit Schmerzen. Geschlagen. Durchbohrt. Von Blicken und Waffen. Zerrissen zwischen Himmel und Erde. Ich sage oft: Ich hab` im Christentum keine Antwort gefunden. Ich habe eine Frage gefunden: Warum?! Mein Gott! Hast Du mich verlassen? Ich habe einen gefunden, der es mit mir fragt."