Jenseits von Kitsch und Routine

10.12.2007
Der Journalist Andreas Altmann begibt sich bei seiner "Reise durch einen einsamen Kontinent" durch Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile. Korruption und Improvisationsvermögen sowie Traditionsgläubigkeit und Sexuallust sind in seinem Buch keine wichtigtuerisch hingestellten Substantive, sondern werden zu Geschichten von zufälligen Busbekanntschaften bei seinem Streifzug durch Südamerika.
Kulturelle Diskrepanzen: Zwar lässt sich der angelsächsische Genre-Begriff travel prose auf deutsch übersetzen, doch markiert hierzulande - trotz Goethes "Italienischer Reise", trotz Heines "Harzreise" - die Kategorie "Reiseprosa" eher etwas Randständiges, quasi nebenbei Geschriebenes, dass in gesammelten Werken am besten unter "Vermischte Schriften" fällt. Wäre es anders zu erklären, dass Alfred Andersch´ wunderbare Norwegen-Prosa oder Wolfgang Koeppens Russland-, Frankreich- und Venedig-Texte nie die Aufmerksamkeit auf sich zogen, die den Romanen der beiden Autoren gezollt wurde?

Nein, travel prose hat in Deutschland keine wirkliche Heimstatt – schon gar nicht in jener "Reiseliteratur", die höchstens für Touristen interessant ist und in oftmals recht betulichem Stil darüber aufklärt, was alles so geschehen kann, wenn man Indien per Fahrrad oder Grönland auf Stelzen durchquert.

Um genau diesen Hintergrund sollte man vielleicht wissen, um die Bücher des weltreisenden Solitärs Andreas Altmann nicht nur zu schätzen, sondern sie vor allem als Literatur wahrzunehmen, für welche wiederum - sorry, liebe Traditionsfreunde – ein englisches Wort zur Verfügung steht: Non fiction prose, in ihrer beschreibungsfrohen Subjektivität keineswegs zu verwechseln mit einem "Sachbuch".

Altmann, unter anderem ausgezeichnet mit dem Kisch- und Seume-Literaturpreis, begibt sich diesmal auf eine "Reise durch einen einsamen Kontinent - Unterwegs in Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile", und auch wer noch nicht in jenen Ländern gewesen sein sollte, wird sich an Sätzen wie diesen erfreuen:

"Um acht Uhr früh sieht das Zentrum von Lima aus, als hätte man seit Jahrhunderten die Straßen und Bürgersteige mit schwarzer Schmierseife abgerieben."

Was Andreas Altmann – ehemaliger "Geo"-, "Stern" und "Merian"-Autor, aber nicht infiziert von journalistischer Routine-Rhetorik – in Südamerika sieht, hört, riecht und schmeckt, wird ihm nämlich zu einer Sprache, die sinnlich und reflektiert zugleich ist. Armut und Lebenslust, Korruption und Improvisationsvermögen, Traditionsgläubigkeit und Sexuallust bleiben in seiner Prosa keine wichtigtuerisch hingestellten Substantive, sondern werden zu Geschichten von zufälligen Busbekanntschaften, tristen, semi-kriminellen Hermaphroditen, wütenden Demonstranten und einer Unzahl anderer Menschen, die jedoch vom Autor nicht etwa ausgewählt wurden, um irgendeine These zu beweisen – es sei denn jene Binsenweisheit, die in Wirklichkeit pure, unprätentiöse Weisheit ist:

"Ist das eine dunkle Geschichte? Oder eine, die schillert? Wohl beides. Widersprüchliche Welt."

Welt von Chile, die sich nicht allein auf die Namen Allende oder Pinochet buchstabieren lässt; Welt von Peru, in welcher der Machu Picchu nicht vorkommt (Altmann, der erklärte Nicht-Tourist); Welt von Bolivien, die weder mit folkloristischer Süßlichkeit noch einer Fortschreibung von politischen Zeitungsschlagzeilen über Evo Morales aufwartet.

Ja, es ist ein Genuss, die Prosa dieses abenteuerlustigen Menschenfischers zu lesen, eine Prosa, die in nahezu jeder Zeile an Albert Camus’ Lebens-Resümee denken lässt: "Das Elend hinderte mich zu glauben, dass alles unter der Sonne und in der Geschichte gut sei, doch die Sonne lehrte mich, dass die Geschichte nicht alles ist."

Rezensiert von Marko Martin

Andreas Altmann: Reise durch einen einsamen Kontinent. Unterwegs in Kolumbien, Ecuador, Peru, Bolivien und Chile
DuMont Verlag Köln 2007, 271 Seiten, 17,90 Euro