Jenseits der Fernsehbilder

29.07.2008
Es ist ein Tagebuch der ungewöhnlichen Art, das jetzt unter dem Titel "Bagdad - Friedhof der Bücher" auf Deutsch erschienen ist. Der Direktor der Irakischen Nationalbibliothek Saad Eskander beschreibt seinen Arbeitsalltag zwischen privaten Tragödien und dem Kampf für die Wiederherstellung einer Zivilgesellschaft im Irak.
Zu Zeiten Saddam Husseins waren - wie in Diktaturen üblich - auch im Irak Kultur und Bildung ideologischen Interessen des herrschenden Regimes untergeordnet. In der Irakischen Nationalbibliothek wurden den Nutzern Publikationen vorenthalten und die Aktivitäten der Gelehrten und Studenten von der Geheimpolizei überwacht. Der damalige Kulturminister bezeichnete Nationalarchiv und -bibliothek seines Landes abfällig als "Bücherfriedhof".

Als im Jahr 2004 Saad Eskander, in London promovierter Historiker und ehemaliger Widerstandskämpfer, Direktor der INLA (Iraq National Library and Archive) wurde, war die zynische Charakterisierung dieser kulturellen Institution tatsächlich ein Faktum. Es gab kaum moderne Arbeitsgeräte, in der Entwicklung seiner Bestände lag das Haus 30 Jahre zurück. Klima -und Ventilationssysteme waren entfernt worden, die Sammlungen verkamen, die Belegschaft litt unter Staub und Erschöpfung.

Doch auch nach dem Einmarsch der Amerikaner litt die Institution, die Bildung ermöglichen und das kulturelle Gedächtnis Iraks bewahren sollte, weiterhin: Das Nationalarchiv verlor 60 Prozent seiner Bestände durch Brände, Plünderungen und gezielte Diebstähle. Fast alle historischen Fotografien und Karten wurden vernichtet, Mobiliar, Drucker und Fotokopierer gestohlen. Die verbliebenen Materialien begruben Ruß und Staub.

Das Foto einer Mitarbeiterin, die mit Mundschutz, Kopftuch und Handschuhen ausgestattet, Dokumente sichtet, ist auf dem Umschlag des Buches von Saad Eskander zu sehen. "Bagdad - Friedhof der Bücher" heißt sein Tagebuch, das den Zeitraum zwischen November 2006 und Juli 2007 beschreibt. Mit Unterstützung der British Library ist es zuerst als Blog im Internet erschienen - nun liegt es gedruckt und ins Deutsche übersetzt vor.

Eskander beschreibt ohne Pathos und sehr plastisch seinen Arbeitsalltag in Bagdad. Er ist nicht zu trennen von privaten Tragödien seiner Mitarbeiter und den politischen Entwicklungen im Land. Fast alle Einträge beginnen so: "Wieder ein angespannter Tag." "Heftige Schusswechsel waren zu hören." "Wir haben weiter weder Strom noch Wasser." "Gegen 11:15 Uhr erschütterte eine heftige Explosion unser Gebäude."
Eskander, der einige Jahre dem militanten kurdischen Widerstand gegen Saddam Hussein angehörte, im Iran und Syrien gelebt und in Großbritannien politisches Asyl erhalten hatte, ist Intellektueller und Kämpfer zugleich. Seine Tagebuchnotizen berichten davon, dass er nun einen Kampf zur Wiederherstellung der Zivilgesellschaft führt - an vielen Fronten.

Die Stärkung der Kultur im Irak ist für ihn unabdingbare Versicherung gegen religiösen und politischen Fundamentalismus. Er propagiert in seinem Haus Gleichberechtigung ethnischer und religiöser Gruppen, in besonderem Maße auch die der Frauen. Eskander versucht, das kulturelle Gedächtnis des Irak wieder verfügbar zu machen - und setzt dabei auf Modernisierung der Strukturen, Fortbildung und Teamarbeit.

Terroranschläge und Kriegshandlungen erschweren jedoch kontinuierliche Fortschritte. Mitarbeiter werden entführt oder getötet. Infrastruktur und finanzielle Mittel fehlen, häufig auch der Wille der Politiker. Wiederholt beklagt der Autor die weit verbreitete Korruption.

Das uneitel beschriebene Engagement Eskanders, die Würdigung seiner Mitstreiter und die Hilfe europäischer NGOs, lassen hoffen, dass zumindest im kleinen Rahmen die Verhältnisse zu verbessern sind. Das Tagebuch verdeutlicht, dass der Kampf um die Zukunft Iraks jenseits der Fernsehbilder stattfindet.

Rezensiert von Carsten Hueck

Saad Eskander: Bagdad - Friedhof der Bücher
Aus dem Englischen von Heike Smets
Edition Köln, Köln 2008
221 Seiten, 13,90 Euro