Jenseits der Betroffenheitsliteratur

Moderation: Stephan Karkowsky · 11.09.2012
In seinem neuen Buch schildert US-Bestsellerautor John Green die Liebe zweier krebskranker Teenager, die ihren sarkastischen Humor nicht verloren haben. "Es ist ja nicht so, dass Menschen nicht mehr witzig sind, wenn sie etwas Schreckliches durchleben müssen", sagt Green.
Stephan Karkowsky: Zwei Teenager verlieben sich, verbringen ein paar Tage miteinander und trennen sich wieder: Das ist im Prinzip die ganze Story von "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", dem neuen Buch von John Green, 35-jähriger US-Autor von Jugendbuchbestsellern. Nur dass in diesem Fall beide Kinder Krebs haben und eines von beiden am Ende gestorben ist. John Green hat sich diesem schweren Thema mit viel Humor und ohne rührseligen Kitsch genähert, jetzt ist er bei uns zu Gast. Mr. Green, schön, dass Sie bei uns sind!

John Green: Thanks for having me!

Karkowsky: Das erste, was einem sozusagen entgegen schreit, bevor dieser Roman los geht, ist eine Vorbemerkung des Autors: Da verbitten Sie sich die Frage, ob diese Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, weil diese Frage die Bedeutung erfundener Geschichten schmälern würde. Warum war es Ihnen so wichtig, mit dieser Bemerkung zu beginnen?

Green: Nun, ich komme aus einem Land, aus den USA, wo die Macht von Reality-TV oder auch von sogenannten realen Geschichten, wahren Geschichten, Geschichten, die auf wahren Geschichten basieren, unglaublich groß ist. Und man würdigt überhaupt nicht mehr Geschichten, die sich Autoren ausgedacht haben. Man denkt nicht mehr darüber nach, dass Tausende von Jahren wir Geschichten gelesen haben, die man sich ausgedacht hat, die erfunden sind. Und ich wollte einfach, dass das wieder gewürdigt wird, und dass man auch diese Form der Unterhaltung wieder feiert.

Karkowsky: Aber zumindest die Frage nach Inspirationsquellen darf erlaubt sein. Sie widmen das Buch der realen Esther Earl, die wie die Hauptfigur Hazel den Mittelnamen Grace trägt, die die gleiche Krankheit hat –Schilddrüsenkrebs mit Metastasen in der Lunge – und die 2010, einen Tag nach Ihrem Geburtstag, Mr. Green, gestorben ist. Wie gut kannten Sie Esther?

Green: Nun, Esther war eine Freundin von mir, sie war ein großer Fan meiner Bücher, und ich hatte bereits schon mal ein Buch über kranke Kinder geschrieben, allerdings spielte das in einem Krankenhaus, und Esther, dadurch, dass ich sie kannte, wurde diese Geschichte hier doch unglaublich lebendig und ich konnte sie sehr roh, sehr aufrichtig aufschreiben. Und natürlich war sie eine Inspiration.

Nun möchte ich aber dennoch betonen, dass Hazel, die Figur in dem Buch, und Esther, trotzdem nicht ein und die gleiche Person sind. Zum Beispiel möchte ich Esther, die sich nicht mehr dagegen wehren kann, überhaupt nicht unterstellen, dass sie "American Top Model" gesehen hat. Aber ich hätte dieses Buch ohne Esther nicht schreiben können.

Karkowsky: Zurück zur Frage, die man Ihnen nicht stellen sollte: ob Ihr Roman auf wahren Begebenheiten beruht. Sie wollten ursprünglich mal Pfarrer werden, durfte ich lesen, haben das aber aufgegeben, weil Sie in einem Kinderkrankenhaus einschneidende Erlebnisse hatten. Wollen Sie darüber reden?

Green: Ja, sicher können Sie mich das fragen. Ich habe sechs Monate nach dem College in so einem Krankenhaus für Kinder auch gearbeitet, und ich habe dort eben, ja, kranke Kinder kennengelernt, aber die waren eben so anders als die Figuren, die man sonst in den typischen Krebsbüchern findet, wo die Kranken dann mit einer unglaublichen Weisheit noch ausgestattet sind oder unglaubliche Geheimnisse mit sich tragen. Nein, das waren ganz einfache Menschen. Die waren witzig, die waren ganz normal. Und wahrscheinlich hätte die Geschichte, die ich jetzt geschrieben habe, ohne diese Erfahrung nicht entstehen können.

Karkowsky: Das Schöne ist ja, dass Sie diese Erfahrung offenbar haben einfließen lassen auch in die Sprache, die Sie diesen krebskranken Teenagern im Buch verleihen. Also das ganz lakonische, sarkastische Gemaule, das Teenager eben so auszeichnet. Da haben Sie dann offenbar krebskranke Kinder erlebt, die wirklich so umgehen mit ihrer Krankheit. Oder haben Sie Hazel und Gus, die beiden Hauptfiguren, so stark gezeichnet, wie Kinder gern sein würden, wenn sie Krebs haben?

Green: Nein. Es ist schon so, dass die Kids und die Teenager, die ich kennengelernt habe, die Krebs hatten, die waren wirklich sehr witzig. Die hatten diesen sarkastischen Humor. Und das ist die natürliche, menschliche Antwort, die wir dann finden. Es ist ja nicht so, dass wir nicht mehr witzig sind, dass Menschen nicht mehr witzig sind oder aufhören, witzig zu sein, wenn sie etwas Schreckliches durchleben müssen. Und das war mir auch wichtig, das beizubehalten.

Karkowsky: Man hat den Eindruck, dass die Heldin Hazel sich am meisten Sorgen macht nicht um ihre Gesundheit oder dass sie stirbt, sondern um ihre Eltern. Sie lebe weiter, heißt es an einer Stelle, weil sie die Eltern nicht enttäuschen wolle.

Green: Ich denke, dass nicht nur die Hazel so reagiert oder dass nicht nur Teenager so reagieren, sondern so geht es uns allen. Dass wir den Kummer, den wir unseren Nächsten bereiten, dass uns das auch sehr, sehr stark beschäftigt, wenn wir krank sind oder wenn man eine tödliche Krankheit hat. Und Hazel ist einfach jemand, der sehr viel Empathie empfindet, aber es ist ganz klar, dass wenn man mit so einer Krankheit konfrontiert ist, kommt man immer zu dem Punkt, wo es klar wird, dass die Krankheit auch sehr viele negative Auswirkungen auf die Nahestehenden, auf die Nächsten haben wird. Und ich wollte einfach nur so ehrlich wie möglich damit umgehen.

Karkowsky: Und die Teenager im Buch, die machen sich permanent lustig über den "Krebsbonus", wie sie das nennen, den man als Kind hat. Man kriegt ständig Geschenke, freie Reisen, Champagner, die Eltern erlauben einem mehr. Ist es eigentlich nach Ihrer Erfahrung nur die Oberfläche, also steckt hinter den lustigen Sprüchen auch ganz viel Traurigkeit und Angst vor dem Sterben?

Green: Ja, sicher. Diese Form des Humors, diese Witze, die sie da machen – natürlich wollen sie damit ihre Ängste und auch ihre Wut in irgendeiner Weise überbrücken. Und das machen ja auch nicht nur Kinder so. Und bei mir ist es halt auch so, dass mir persönlich auch eine Art von Humor am besten gefällt, der so ein bisschen krank ist. Deswegen: Das hat nicht unbedingt immer etwas mit Krankheit an sich zu tun, aber ich mag das auch im Fernsehen am liebsten, und Mark Twain ist eigentlich mein Lieblingsschriftsteller. Und wahrscheinlich habe ich diese Art und diese Form des Humors auch ein bisschen von ihm.

Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton John Green über sein Buch "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", das er heute in Berlin vorstellt, morgen dann in Hamburg, übermorgen in Frankfurt. Mr. Green, Ihr Bruder Hank und Sie sind bei Youtube bekannt als Vlog Brothers, mit eigenen Filmen und insgesamt bereits 243 Millionen Zuschauern.

Weil, dass Sie überhaupt diesen Zugang zu Ihren Fans haben, hat natürlich auch mit diesem Video Blog zu tun. Sie haben da neulich in einem Video eine Liste aufgestellt mit – ich übersetze das jetzt wörtlich – "den fünf schlimmsten Orten, an denen man möglichst nicht kotzen sollte", "The five worst places to vomit". Die Frage hat Ihnen einer Ihrer Nerd Fighters gestellt. Was ist denn ein Nerd Fighter?

Green: Nun, ein Nerd Fighter, das ist jemand, der für die Nerds sozusagen kämpft, der sich für sie einsetzt, weil ein Nerd steht ja auch für eine gewisse Intellektualität. Und sehr oft unterstellt man, Nerds hätten Charakterschwäche. Und ich würde genau das Gegenteil behaupten: Weil die so enthusiastisch sind, weil sie sich für gewisse Dinge so begeistern können, ist das nicht eine Charakterschwäche, sondern eher eine Charakterstärke. Also ich finde, Nerds haben auch etwas Positives.

Karkowsky: Und diese Nerd Fighter sind so große Fans der Vlog Brothers, dass sie tatsächlich jetzt im Netz diskutieren darüber, ob sie den fiktiven Roman, der in Ihrem neuen Roman eine große Rolle spielt, tatsächlich zu Ende schreiben wollen, denn die Hauptfigur Ihres Romans liest diesen fiktiven Roman eines fiktiven Autors immer wieder und wieder, und es geht darin um ein krebskrankes Mädchen namens Anna. Annas Geschichte aber endet mitten im Satz, und Hazel will unbedingt herausfinden, was mit Anna passiert ist. Glauben Sie, dass dieses Buch, was Sie ja nur angedacht haben, jemals wirklich erscheinen könnte?

Green: Das hätte ich niemals voraussagen können, dass das mal passieren könnte und dass diese fiktive Geschichte, die innerhalb meines eigenen Romans passiert, plötzlich von anderen Leuten weitergeführt wird. Und das passiert wirklich. Also diese Geschichte wird weitergeschrieben. Natürlich wird es niemals eine autorisierte oder eine definitive Fassung davon geben, aber allein, dass das passiert, ist etwas, was ich mir nie vorgestellt hätte. Aber das ist eben auch das Tolle am Internet. Das ist wie so ein riesiger Sandkasten, wo wir alle versuchen, irgendetwas zu bauen, irgendetwas herzustellen. Und dann sind das eben Dinge, die man alleine sich nie hätte ausdenken können.

Karkowsky: Wer es nach der Lektüre Ihres Buches so macht wie Hazel, und trotz Ihrer Warnung am Anfang nach dem wahren Kern Ihres Romans sucht, der stößt auf die Webseite "This star won't go hot" – "Dieser Stern wird nicht erlöschen". Mit der Geschichte von Esther Earl. Und kann dort direkt Spenden an ihr Hilfsprojekt für krebskranke Kinder schicken. Wissen Sie, was dieses Projekt macht?

Green: Ja, sicher weiß ich das. Das ist die Familie von Esther, die das ins Leben gerufen hat. Und das ist eine Organisation, die sich an krebskranke Kinder und auch an deren Familien, an deren Eltern richtet, weil, wie Sie ja wahrscheinlich wissen, bei uns in den USA gibt es eben nicht so eine allumfassende Krankenversicherung, wie Sie das hier kennen. Und das Schreckliche an der Diagnose, wenn man Krebs hat, ist nicht nur die Krankheit als solches, sondern es ist auch finanziell meistens ein großes Desaster. Und da versucht diese Organisation zu helfen.

Karkowsky: Ich möchte das Ende Ihres Romans gar nicht verraten. Nur sagen, dass man das Ende besser allein liest, wenn man sich seiner Tränen schämt. Wenn Sie mit diesem Buch auf Lesereise sind, wie gehen Sie eigentlich damit um, wenn Ihr Publikum in Tränen ausbricht?

Green: Nun, es mag erst einmal seltsam erscheinen, wenn Leute einen plötzlich umarmen, anfangen zu weinen, mit mir weinen und ich dann auch mit ihnen weine, wenn sie mir ihre Geschichten erzählen oder was das Buch in ihnen ausgelöst hat oder in ihnen wachgerufen hat. Aber letztendlich denke ich, ist das ein großes Privileg, wenn so etwas passiert.

Karkowsky: Heute kann man John Green live erleben auf dem Literaturfestival Berlin im Haus der Berliner Festspiele, und zwar gleich zu mehreren Terminen. Morgen in Hamburg, übermorgen in Frankfurt. Der amerikanische Schriftsteller mit seinem neuen Jugendroman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter", erschienen im Hanser Verlag und sehr zu empfehlen. Herr Green, danke für das Gespräch!

Green: Thank you so much!

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Bücher für junge Leser - Tabulos, unangestrengt und amüsant
Der amerikanische Schriftsteller John Green