Jens Nordalm: „Der schöne Deutsche“

Tennisstar und Antinazi

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Der schöne Deutsche. Das Leben des Gottfried von Cramm" von Jens Nordalm.
Was Jens Nordalm vor allem interessiert ist die tragische Größe des jungen Gottfried von Cramm in seinen aktiven Sportlerjahren, eng verbunden mit der Spätphase der untergehenden Weimarer Republik. © Deutschlandradio / Verlag Rowohlt
Von Catherine Newmark · 09.09.2021
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Der deutsche Tennisspieler Gottfried von Cramm war einer der größten Sportstars der 1930er-Jahre. Und er war auch ein Gegenentwurf zu den Nazis: nobel, weltläufig, fair. Jens Nordalm erinnert in einer sehr schönen Biografie an ihn und seine Zeit.
So populär wie Fußball ist Tennis nie gewesen und wird es wohl auch nie sein. Doch bringt der Sport immer wieder globale Stars hervor, die weit über die Sportszene im engeren Sinne hinausstrahlen. Das ist nicht erst seit Roger Federer oder Serena Williams der Fall.
Auch die Großen früherer Generationen – von Steffi Graf über Martina Navratilova und Björn Borg bis zurück zu Billie Jean King und Rod Laver in den 1960er- und 70er-Jahren – sind als Namen noch in Erinnerung. Weiter zurück allerdings reicht selbst in interessierten Kreisen das Gedächtnis oft nicht.

Die Stars der 20er und 30er

Dabei brachten auch schon die 1920er- und 30er-Jahre in dem Sport global bekannte und global reisende Superstars hervor, allen voran die "göttliche" Suzanne Lenglen aus Frankreich oder die US-Amerikaner Bill Tilden und Don Budge.
Zu diesen frühen, schon halb vergessenen Topspielern gehört auch der deutsche Baron Gottfried von Cramm, dem der Journalist Jens Nordalm eine neue Biografie gewidmet hat.
Das schön gemachte, reich bebilderte und elegant geschriebene Buch ist dabei mehr als nur ein sporthistorisches Werk. Es ist auch eine Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, vor allem der 1920er und 1930er mit ihrem Swing, ihrem Glamour, ihrem Berlin und ihrer abschüssigen Bahn in die NS-Zeit.

Internationale Partyszene

Von Cramm (1909-1976) stammte aus ältestem Adel, hatte beste Verbindungen in alle höheren Kreise und formvollendete Manieren. Außerdem war er besonders hübsch anzuschauen, sportlich fair bis zur Selbstverleugnung und mit dem besten Aufschlag seiner Zeit gesegnet. Ganz Europa bewunderte ihn, in Wimbledon – damals wie heute das traditionsreichste Turnier – feierte er Triumphe, auch wenn er keines seiner Finalspiele dort gewann.
Ende der 1920er-Jahre zog er nach Berlin, wo er sich nicht nur zu einem der international erfolgreichsten Tennisspieler entwickelte, sondern auch – mit seiner ersten Frau Lisa von Dobeneck – Teil der freigeistigen Partyszene wurde, die Jens Nordalm mit viel Liebe zum Detail vor unseren Augen wieder auferstehen lässt.
Und die wir von Nordalm nicht nur als frivolen Jetset vorgeführt bekommen, sondern angesichts der aufziehenden Verdunkelung der Verhältnisse als genuin moderne und befreite Zeit, in der nicht zuletzt alle geschlechtlichen Konstellationen und Experimente möglich und erlaubt waren.

Verurteilung durch den NS-Staat

Mit den Nazis wollte sich von Cramm, der später, wenn auch eher am Rande, dem Stauffenberg-Kreis nahestand, von Anfang an nicht gemeinmachen. Er wurde in den 1930ern geradezu zum Gegenbild der brutalen NS-Kleingeister und repräsentierte offensiv ein anderes Deutschland: nobel, weltläufig, fair.
Während ihn seine sportlichen Erfolge zunächst noch schützten, wurde er 1938 für seine homosexuellen Beziehungen verhaftet und verurteilt. Die internationale Tenniswelt schrieb offene Solidaritätsbriefe, seine Mutter intervenierte, wo sie nur konnte. Nach sieben Monaten kam er schließlich auf Bewährung frei, aber die Verurteilung bedeutete einen Bruch in seiner Biografie.
In viele Länder durfte von Cramm nach dem Krieg als verurteilter Straftäter nicht mehr einreisen. Auch in den meisten anderen westlichen Staaten galten noch harte Gesetze gegen Homosexualität. Die NS-Urteile gegen Homosexuelle wurden erst 2002 im wiedervereinigten Deutschland aufgehoben.

Die Größe der Figur

Es gab dann noch eine Ehe mit der Millionärin Barbara Hutton und eine, wie Nordalm findet, von der Biederkeit der frühen Bundesrepublik überlagerte und mithin vergleichsweise enttäuschende Karriere als braver Geschäftsmann.
Was Nordalm vor allem interessiert, und was sein Buch überzeugend darstellt, ist die tragische Größe des jungen Gottfried von Cramm in seinen aktiven Sportlerjahren, eng verbunden mit der Spätphase der untergehenden Weimarer Republik und dem Epochenbruch von 1933. Damit verknüpft ist die Frage, welche anderen Deutschlands es in den 1930er-Jahren noch gab - und welche anderen, schöneren Deutschen.

Jens Nordalm: "Der schöne Deutsche. Das Leben des Gottfried von Cramm"
Rowohlt, Hamburg 2021
288 Seiten, 24 Euro

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