Jens Lubbadeh: "Unsterblich"

Beängstigendes Porträt einer technologisierten Gesellschaft

Eine Frau steht neben ihrem eigenen Hologramm auf der Smart City Expo in Ningbo City, China (2012)
In "Unsterblich" leben die Menschen als ihre eigenen Hologramme weiter © Imago / Xinhua
Von Irene Binal  · 12.07.2016
In Jens Lubbadehs "Unsterblich" leben nach dem Tod der Menschen ihre Hologramme weiter. Das funktioniert gut, bis plötzlich eines von ihnen spurlos verschwindet. Ein packender Thriller, der ganz nebenbei die großen Fragen der Menschheit streift.
Was wäre, wenn die Menschheit den Tod digital überwinden könnte? In seinem Romandebüt mit dem Titel "Unsterblich" entwirft der Journalist Jens Lubbadeh ein beklemmendes Zukunfts-Szenario.
John F. Kennedy ist US-Präsident, Helmut Schmidt deutscher Kanzler, Michael Jackson hat gerade ein neues Album herausgebracht und Steve Jobs kündigt das iCar 6 an: Das ist das 2044 in Jens Lubbadehs Roman "Unsterblich". Ein Unternehmen mit dem bezeichnenden Namen Immortal hat den Menschheitstraum vom ewigen Leben scheinbar verwirklicht: mit digitalen Kopien Verstorbener, die genauso agieren wie ihre Vorbilder, allerdings sind sie bewusstseinslos und unsterblich. Geprüft und zertifiziert werden diese so genannten "Ewigen" von der Versicherungsgesellschaft Fidelity. Benjamin Kari ist dort für die Zertifizierung von Filmstars verantwortlich, und so wird er gerufen, als plötzlich das Unmögliche eintritt: Marlene Dietrichs "Ewiger" ist verschwunden.

Mehr als eine actionreiche Fassade

Es ist ein spannender Thriller, mit dem Lubbadeh die literarische Bühne betritt, ein Thriller, der sich nicht mit einer actionreichen Fassade begnügt. Hinter der an Verfolgungsjagden und überraschenden Wendungen reichen Handlung verbirgt sich eine feine Analyse der großen Fragen der Menschheit: Wie weit will man gehen, um Unsterblichkeit zu erlangen? Können Hologramme den lebenden Menschen ersetzen? Wie erstrebenswert ist eine Welt, in der die virtuelle Realität kaum noch von der Wirklichkeit zu unterscheiden ist und Immortal mit dem zynischen Slogan "Wer heute noch trauert, ist selber schuld" für seine Ewigen wirbt? Ein Slogan, der Wirkung zeigt: Für die Immortalisierung nach dem Tod lassen sich Millionen Menschen einen Lebenstracker implantieren, der sämtliche Daten aufzeichnet und sicherstellt, dass die virtuelle Kopie ihrem Vorbild so ähnlich wie möglich ist.

"Diese grenzenlose Hybris!"

Da stört es wenig, dass die Ewigen nur mit Hilfe eines Mikrochips im Gehirn (der Kindern schon mit drei Jahren eingesetzt wird) wahrnehmbar sind, dass man sie nicht berühren kann und sie sich nicht weiterentwickeln. Und auch die Frage, was man eigentlich davon hat, wenn nach dem eigenen physischen Tod ein digitaler Klon weiterexistiert, scheint die Menschen in Lubbadehs dystopischer Zukunftsvision nicht zu interessieren. "Diese grenzenlose Hybris", seufzt Regisseur Lars von Trier, der im Roman als überzeugter Gegner von Lebenstracking und Immortalisierung auftritt: "Wir können nicht akzeptieren, dass wir vergänglich sind."
Mit all diesen Fragen wird Benjamin Kari auf der Suche nach der verschwundenen Marlene Dietrich konfrontiert. Während er in Begleitung der Journalistin Eva einem geheimnisvollen Hacker nachjagt, vorübergehend sogar auf dem Mars landet und die skrupellose Machtpolitik von Immortal und Fidelity zu durchschauen beginnt, gerät sein Weltbild mehr und mehr ins Wanken. Gut möglich, dass Lubbadehs Szenario in ein paar Jahren technisch umsetzbar wäre – und sein Buch ist vor diesem Hintergrund nicht nur ein höchst unterhaltsamer Thriller, sondern das beängstigende Porträt einer Gesellschaft, die sich der Technologie unterwirft, um ihre Angst vor dem Tod erträglich zu machen.

Jens Lubbadeh: "Unsterblich"
Heyne, München 2016
445 Seiten, 14,99 EUR

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