Jens Hacke: "Existenzkrise der Demokratie"

Wertschätzung des Sozialen

Berlin-Mitte um 1920
Berlin-Mitte um 1920 © Imago / United Archives International; Suhrkamp
Von Marko Martin · 30.04.2018
Das Buch liest sich in weiten Teilen wie ein Menetekel für die Gegenwart. Es geht um den Untergang des politischen Liberalismus in der Weimarer Republik. Jens Hacke macht in "Existenzkrise der Demokratie" deutlich, wie dieser unter die Räder geriet.
Die gängige Geschichtserzählung geht so: Im Zeitalter der ideologischen Extreme, die vor allem die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, habe allein der Liberalismus standgehalten und eine "Politik der Mitte" verfolgt. Weshalb aber war es dann äußerst populär, von "Scheißliberalen" zu sprechen, während man heute wohl eher Formulierungen wie "wischiwaschi" oder "weder Fisch noch Fleisch" bevorzugen würde?
Der an der Berliner Humboldt-Universtädt lehrende Politikwissenschaftler Jens Hacke hat unter dem Titel "Existenzkrise der Demokratie" dem Liberalismus der Weimarer Republik eine profunde, umfang- und fußnotenreiche und dennoch eminent lesbare Studie gewidmet, die sich zu weiten Teilen wie ein Menetekel für die Gegenwart liest. Und das obwohl – oder gerade weil – der stets ausgewogen argumentierende Verfasser auf aktualisierende Einschübe verzichtet und es dem mündigen Leser überlässt, Parallelitäten zu erahnen.

Die Jüngeren setzten lieber auf einfache Lösungen

Bereits nach Weltkriegsende 1918 hatte es nämlich eine kurzzeitige Euphorie gegeben – die Hoffnung auf Etablierung des Rechts im internationalen Maßstab, auf ein versöhntes, prosperierendes Europa und eine stabile deutsche Demokratie. Tragischerweise waren es jedoch oft ältere Intellektuelle, die solche Präferenzen hatten, während sich Jüngere bereits vom (rechts-linken) Geist vermeintlich einfacherer Lösungen beeinflusst zeigten.
Der Liberalismus der Weimarer Republik, politisch gespalten, funktionierte aber größtenteils noch als Honoratiorenverein, der mit der als zu plump empfundenen neuen Demokratie fremdelte – oder gar eine Schwäche für charismatische Führer hegte. Faszinierend, welche der damaligen Debatten von Jens Hacke hier rekapituliert werden. Viele von ihnen muten auf geradezu beklemmende Weise aktuell an. So war es etwa der späterhin emigrierte Nationalökonom Götz Briefs, der dem Liberalismus seiner Zeit bescheinigte, "zu einer Anzahl von Faustregeln für Börsenjober" heruntergekommen zu sein.

Stichwortgeber einer "wehrhaften Demokratie"

Vor allem aber waren es deutsch-jüdische Sozialliberale, die schon frühzeitig vor thematischer Verengung gewarnt hatten und für eine Wertschätzung des Sozialen warben. Nahezu unmöglich, nicht berührt zu sein von der moralischen Integrität von Denkern wie Hermann Heller, Hans Kelsen, Moritz Julius Bonn oder Hugo Preuß, die dann ausnahmslos von den Nazis vertrieben wurden und deren zutiefst achtbare Biographien Jens Hacke dem Vergessen entreißt. Kein Zufall, dass nach dem Krieg dann viele von ihnen zu intellektuellen Stichwortgebern einer sozialen Marktwirtschaft und einer "wehrhaften Demokratie" wurden, welche aus den Fehlern von Weimar Entscheidendes gelernt hatte.
Ein augenöffnendes Buch, das Jens Hacke als einen der wichtigsten Ideenhistoriker der Republik etabliert.

Jens Hacke: Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
455 Seiten, 26 Euro

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