Jenny Wilson: "Exorcism"

Dämonen im Kopf vertreiben

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Die schwedische Sängerin Jenny Wilson © Oskar Omne
Von Kerstin Poppendieck  · 22.03.2018
Die Künstlerin Jenny Wilson hat sich in ihrer Musik schon immer mit sehr persönlichen Themen auseinandergesetzt. Ihr neues Album "Exorcism" ist allerdings das für sie bisher schwierigste, es geht um die Verarbeitung einer Vergewaltigung.
"Ich war 42, hatte zwei Kinder und eine Karriere. Ich hab mich immer als eine starke Frau gesehen. Und dann plötzlich musste ich feststellen, dass das alles egal ist. Es ist egal, wer Du bist, woher Du kommst, ob die intelligent bist oder nicht. Es kann jedem passieren. Klar wusste ich das, und trotzdem hat es mich umgehauen."
Nach einer durchfeierten Nacht in einem Club wird die Schwedin Jenny Wilson vergewaltigt. Lange hat sie überlegt, wie sie mit diesem Trauma umgehen soll. Klar ist sie Musikerin, aber ein Album über eine Vergewaltigung schreiben? Ist das nicht zu intim? Was werden die Leute über sie denken? Jenny Wilson hat sich für das Album entschieden, "Exorcism" heißt es und soll die Dämonen in ihrem Kopf vertreiben, die dort seit der Vergewaltigung leben.
"Ich war gerade fertig mit meinem Album, als die MeToo-Kampagne los ging. Diese Bewegung weltweit Kreise zog. Das war eine Erleichterung für mich. Das Timing hätte für mich nicht besser sein können. Ich wollte niemals so etwas wie Sprachrohr in dieser Sache sein. Ich wollte einfach nur dieses Album machen, meine Kunst machen."

Deutliche Texte, keine Metaphern

Wie schreibt man über ein so unbeschreibliches Thema? Und dann auch noch ein ganzes Album. Jenny Wilson singt nicht nur über die Vergewaltigung allein, sie lässt uns als Hörer auch daran teilhaben, wie sie das Erlebte verarbeitet und versucht, wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Wilson hat sich für sehr deutliche Worte in ihren Texten entschieden, keine Metaphern. Stattdessen Worte so bildlich und direkt, dass man beim Hören fassungslos ist, wenn sie über die Schmerzen während der Vergewaltigung singt, das Schamgefühl, als sie sich anschließend beim Arzt ausziehen musste und die Schwierigkeit, danach wieder einem Mann zu vertrauen.
"Ich muss keine verworrene Poesie schreiben über ein so schweres Thema. Und ich glaube, dass klar verständliche Texte ohne irgendwelche obskuren Metaphern mehr Menschen erreichen. Es war mir wichtig, in den Liedtexten nicht einfach nur wütend zu sein, denn tatsächlich war Wut nur eines meiner Gefühle. Vor allem war ich durcheinander und traurig."
"Exorcism" ist kein leichtes Album. Zu widerwärtig sind die Bilder, die beim Hören im Kopf entstehen. Das kann verstören, kann aber auch für die Schicksale von Menschen sensibilisieren, die Ähnliches wie Jenny Wilson erlebt haben. Und genau diesen Menschen kann das Album auch Mut machen. Hört man allerdings nicht auf die Texte, kann es durchaus passieren, dass man dieses Album als clubtaugliche Musik für ein Partywochenende missversteht. Elektronische Beats, die mal treibend sind, mal verträumt melancholisch.

Konzeptionell, aber konsequent

Die Musik spiegelt den seelischen Zustand von Jenny Wilson. Das ist manchmal eine Herausforderung, konzeptionell aber konsequent. Die Erlebnisse musikalisch in den Club zu verlegen, überzeugt. Denn der Vergewaltigung war ein Abend im Club vorausgegangen. Für Wilson war das aber nicht der einzige Grund:
"Ich hätte dieses Album in fast jedem Musikstil machen können, aber ich mache Musik ja auch ganz egoistisch für mein eigenes Vergnügen. Deshalb wollte ich elektronische Musik, zu der man tanzen kann und seinen Körper bewegen. Ich wollte keine traurige Musik, denn das Thema ist schon traurig genug. Ich wollte Musik, die Spaß macht, die man laut spielen kann, die aber trotzdem eine sehr dunkle Geschichte erzählt."
Musikerinnen, die in einzelnen Songs MeToo gesagt haben, gab es schon lange vor der Kampagne. Tori Amos mit "Me And A Gun", Fiona Apple mit "Sullen Girl", Lady Gaga mit "Til It Happens To You". Indem Jenny Wilson die Vergewaltigung zum zentralen Gegenstand des Albums macht, verleiht sie dem Thema eine neue Dringlichkeit. Und mit der MeToo-Bewegung wächst die Hoffnung, dass Geschichten dieser Art nicht weiter als traurige Einzelfälle betrachtet werden, sondern als Teil eines größeren Problems, das die gesamte Gesellschaft angeht. Auch wenn Jenny Wilson nie MeToo-Aktivistin sein wollte, mit diesem Album ist sie es geworden.
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