Jelinek-Uraufführung in Hamburg

Der Chor der Schweine tanzt die Krankheit

13:30 Minuten
Szene aus dem Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ am Schauspielhaus Hamburg. Eine Menschengruppe steht in OP-Kleidung auf der Bühne.
Keine Angst vor Wiederholungen: Heute Abend feiert die Uraufführung "Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen!" von Elfriede Jelinek in Hamburg Premiere. © Matthias Horn
Karin Beier im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.06.2021
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"Lärm. Blindes Sehen, Blinde sehen!", heißt das neue Stück von Elfriede Jelinek, das in Hamburg Premiere feiert. Regisseurin Karin Beier ist froh, das Theater mit einer "intellektuellen Komödie" wieder zu öffnen, das die Coronazeit thematisiert.
"Ich bin sehr froh darüber, dass wir nach so einer langen Schließzeit mit einem Stück wiedereröffnen können, was sich mit der Situation jetzt auseinandersetzt", sagt die Regisseurin Karin Beier, deren Inszenierung des neuen Stücks von Elfriede Jelinek heute Abend im Hamburger Schauspielhaus Premiere feiert.
"Das ist mir 800 Mal lieber als ein Repertoirestück, was wir in dieser Schließzeit natürlich auch probiert haben." Sie sei sehr dankbar für diese Uraufführung von "Lärm. Blindes Sehen, Blinde sehen!" zum Neustart des Theaters nach der langen Coronapause.
Das Jelinek-Stück sei kein Wutausbruch, die österreichische Schriftstellerin schreibe eher so etwas wie "intellektuelle Komödien", so Beier. Das Stück habe Tiefgang und nicht-komödiantische Töne, aber Jelinek sei eben auch "Meisterin der Ironie".

Assoziativer Wasserfall

Deshalb müssten die Zuschauer nach der langen Pandemie keine Angst haben, das im Theater alles noch mal anhören zu müssen. "Das wird natürlich alles künstlerisch ganz anders aufgearbeitet." Jelinek habe sehr tiefe Metaebenen, die ihre Texte nicht immer leicht verständlich machten, sagt die Regisseurin. "Es ist manchmal auch wie ein Wasserfall, auf den man assoziativ reagiert."
Am Boden kniende Schauspieler auf der Bühne der Aufführung "Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen!".
Das Motiv der Schweine zieht sich durch das ganze Stück. © Matthias Horn
In dem Stück gebe es das Motiv der Schweine, das die Autorin sehr interessiert habe. "Es gibt einen Chor von Schweinen, der die Krankheit tanzt", sagt Beier. Das ziehe sich auf verschiedenen Ebenen durch den ganzen Abend. Eine der Quellen von Jelinek sei der Bildband von Lois Hechenblaiker "Ischgl", der über Jahre das Après-Ski-Treiben in dem österreichischen Bergort dokumentiert habe.

Gier und Fleischeslust

"Diese Halbnackten im Schnee, die sich zwischen Gläsern und Flaschen weiter ins Koma saufen, Männer die Sexpuppen malträtieren", so Beier. "Ich dachte immer, der Kölner Karneval hebt ab, aber dieses Après-Ski ist jenseits von Gut und Böse."
Das Motiv des Schweins stehe im Stück für die Gier und Fleischeslust, aber es gebe auch Zitate des Schlachtunternehmers Clemens Tönnies zur Massentierhaltung. Da gehe es um die Vermessenheit des Menschen der Natur gegenüber.
Porträt von Karin Beier auf der Theaterbühne.
Karin Beier, Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, ist nach der langen Schließung froh, wieder zu starten. © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Der Titel des Stücks "Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!" beziehe sich auf den Wortschwall aus Nachrichten, Politikerreden, Gerüchten und Verschwörungserzählung, so Beier. "Was die aber alle gemeinsam haben, ist, dass alle diese Hybris haben, zu meinen, als einzige Wahrheit und Wirklichkeit zu erkennen, und dadurch letztendlich blind und taub für das Gegenüber sind." Gemeinsam hätten alle das "Blinde und Taube".
(gem)
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