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People of Colour am Theater
Geld, Macht und Hautfarbe

Theater ist oft weiß – und das liegt maßgeblich an kolonialen Strukturen und alten Machtverhältnissen am Theater. Ein Lösungsansatz: Mehr People of Colour sollen bei Theaterstücken über Gelder, über Spielpläne und über Sprache entscheiden und künstlerische Leitungen übernehmen.

Von Michael Laages | 04.01.2020
Eine schwarze Frau in einem gelben Kleid steht an einem Tisch, eine weiße Frau steht im Hintergrund.
Anja Herden steht mit Viktoria Miknevich am Schauspiel Hannover auf der Bühne. (Katrin Ribbe, Schauspiel Hannover)
Das hat Elisa Elwert gelernt, als die Dramaturgin vom Konstanzer Theater für eine Koproduktion nach Togo reiste: "Das Theaterverständnis, das wir haben, ist in Togo ein koloniales Produkt." Nur die Institutionen der einstigen Kolonialmächte Deutschland und Frankreich zeigen im kleinen westafrikanischen Staat Theater, wie wir es kennen.
Die Bühne des Alltags aber ist die Straße – und sie bringt Künstler wie den Regisseur Ramses Alfa hervor. "Ich komme schon von einem Theater, wo wir keine vierte Wand haben – wir sind direkt beim Publikum. Man macht ein großes Feuer, und Theater sind die Erzählungen, die wir rund um das Feuer machen."
"Wer bestimmt die Strukturen?"
Seit über zehn Jahren hat Ramses Alfa am Konstanzer Haus von Christoph Nix gearbeitet, dem scheidenden Intendanten und lautstarken Propagandisten der Begegnung mit kolonialen Vergangenheiten. Zum Abschied hat der Mann aus Togo in Konstanz "Ngunza – Der Prophet" inszeniert; ein Stück, das vom schwarzen Widerstand im belgischen Kongo vor 100 Jahren erzählt.
Für die aktuelle Debatte um Schwarz und Weiß im Theater ist das "Ngunza"-Stück in Konstanz nicht ohne Probleme – der weiße Luxemburger Dramatiker Rafael David Kohn hat das Stück geschrieben, sich also einen ihm biographisch fremden Konflikt angeeignet. Das haben Autorinnen und Autoren im Theater zwar immer getan – heute aber wird das kritisch hinterfragt.
Eine Szene aus Konstantin Küsperts neuem Stück "Sklaven leben" am Schauspiel Frankfurt, Januar 2019. Vier europäisch aussehende Menschen sitzen in Schwimmwesten in einem Schlauchboot. Im Vordergrund steht ein Schwarzer mit Rastalocken und hält einen Stab in den Händen.
Theaterstück "Sklaven leben" / Hier beuten Schwarze weiße Europäer aus
Sklaverei, Kolonialismus, Rassismus: Diese Themen hat Konstantin Küspert für sein Stück "Sklaven leben" bearbeitet. Herausgekommen ist dabei brave, politisch korrekte Aufklärung.
Und erst im Miteinander afrikanischer und hiesiger Schauspieler sowie solchen "persons of colour", die schon lange in Europa arbeiten, gewann die Aufführung das nötige partnerschaftliche Profil. Die Frage aber bleibt immer, auch bei Elisa Elwert: "Wer bestimmt die Strukturen, wer entscheidet über das Konzept? Wer entscheidet über die Sprache, und damit meine ich nicht nur den Dialekt, sondern auch die Darstellungsweise. Wer entscheidet über die Gelder?"
"Wer profitiert davon, dass das auf die Bühne kommt: finanziell, von der Reputation her, vom Image, das daraus gewonnen wird... Das reproduziert genau die Kolonial-Verhältnisse, die wir im Grunde kritisieren." Das ist Laila Ercan, sie ist "Diversitätsbeauftragte" am Schauspiel Hannover.
Sehgewohnheiten neu definieren
Mit am Tisch sitzt als Teil einer Debatte über schwarzweiße Perspektiven die Schauspielerin Anja Herden. Sie gehört - wie Thelma Buabeng oder Falilou Seck und Pierre Sanoussi-Bliss - zu den "persons of colour" in der deutschen Theaterszene; Anja Herden spricht stellvertretend über eigene Erfahrungen.
"Ich merke jetzt auch gerade hier, dass ich, fast 50-jährig, im Vergleich zu den ganz jungen dunkelhäutigen Kollegen mich mit ganz viel abgefunden habe; aber das empfinde ich nicht nur als schlimm oder als 'Oh Gott, ich hab‘ überhaupt nichts mitgekriegt'. Nicht privilegiert aufgewachsen zu sein, nicht aus einem akademischen Zusammenhang kommend sich diesen Beruf zu erobern, aus einem sozial schwachen Zusammenhang kommend - das war für mich immer viel mehr Thema als die Hautfarbe."
Kolleginnen und Kollegen mit ähnlich dunkler Hautfarbe, in Hannover etwa Mark Tumba, Sabrina Ceesay und Ruby Commey, würden noch immer mehr Chancen benötigen - und weniger bekommen - als andere: "Wir müssen unheimlich viel vorkommen, es muss erstmal aufgestockt werden – ja, damit wir uns entwickeln können. Da hängt ja so viel dran, so viel Sehgewohnheiten, so viele Assoziationen, und die müssen erst mal alle aufploppen und gesetzt werden."
Sonja Anders, die neue Chefin am Hause und streitbar im feministischen wie antirassistischen Diskurs, sehnt sich im Grunde nach dem Moment, wo neue, gemeinschaftliche Sprache möglich wird und nicht mehr ständig über Differenzen gesprochen werden muss: "Dass man lernt, miteinander so umzugehen, dass man die Tatsache vergisst..." - "Nein! Wenn ich hier als schwarze Frau die und die Sätze sage, dann hat das eine Bedeutung. Und dass dann alle immer so tun: 'Nee, das ist eine Kiste, die wollen wir gar nicht aufmachen, wir sind doch alle gleich...' Nein!"
Machtverteilung als Lösungsansatz
Was also wird zu tun sein, damit auch Künstlerinnen und Künstler mit ungewohntem biographischem oder sozialen Hintergrund den eigenen Platz behaupten können im Theater, mit starken Texten, Themen und Projekten?
Noch einmal meldet sich aus Konstanz Elisa Elwert: "Spielpläne entwerfen, in denen Raum ist für verschiedene Perspektiven; künstlerische Leitung und finanzielle Verantwortung übergeben an Menschen, die nicht nur aus dem weißen Bürgertum kommen. Da findet inzwischen viel Diskussion statt, aber die ist meines Erachtens immer noch oberflächlich, wenn wir nicht hauptverantwortlich Personen einsetzen, die verschiedene Perspektiven mitbringen."
Und das Schlusswort gehört Anja Herden: "Das ist mein Hauptthema: Wie wird man mündig? Als Mensch, als Frau, als Hautfarbe, als whatever; wie arbeiten wir auf Augenhöhe miteinander, wie funktioniert Hierarchie trotz allem. Ich geh jetzt mal davon aus, dass wir auf dem Weg sind, besonders hier, mündig miteinander umzugehen und mündig zu sein."