"Jeder Mitgliedsstaat betreibt eine eigene Chinapolitik"

Hanns Walter Maull im Gespräch mit Nana Brink · 14.02.2012
Heute treffen sich Europäer und Chinesen zum Gipfel in Peking. Der Politikwissenschaftler Hanns Walter Maull konstatiert ein "grundsätzliches Missverhältnis" in den wechselseitigen Erwartungen und eine fehlende Geschlossenheit der Europäer.
Nana Brink: Sie sind mehr miteinander verwoben als manche von uns denken, Europa und China. Letzteres wird in diesem Jahr zum größten Exportmarkt der Europäer, und diese sind der größte Abnehmer chinesischer Waren, soweit die Fakten, die eine Rolle spielen sollten beim EU-China-Gipfel im letzten Jahr. Und der platzte, weil die Europäer mit der Rettung ihrer Währung beschäftigt waren. Unverhohlen besorgt blickt und blickt immer noch China auf die Schuldenkrise, und nun stehen Sparpaket und Rettungsmechanismen, und der Gipfel wird heute in Peking nachgeholt. Und die Frage steht natürlich im Raum, ist das ein Treffen auf Augenhöhe?

Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Professor Hanns Walter Maull, der einen Lehrstuhl für Internationale Beziehungen an der Uni Trier hat. Schönen guten Morgen, Herr Maull!

Hanns Walter Maull: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Sie gelten als einer der besten Asienkenner Deutschlands und haben als Senior Fellow an der Transantlantic Academy in Washington, die unter anderem von der Zeit-Stiftung gefördert wird, zusammen mit Ihresgleichen darüber nachgedacht, wie der Westen auf den Aufstieg Chinas antworten soll. Was denken Sie, wie sollen die Europäer in Peking auftreten?

Maull: Also schön wäre es zunächst einmal einfach, wenn sie geschlossen auftreten würden, denn wir haben ja nicht nur eine europäische Chinapolitik, wir haben fast 30. Jeder Mitgliedsstaat betreibt eine eigene Chinapolitik, die Europäische Kommission betreibt eine Chinapolitik und der Europäische Ministerrat betreibt eine eigene Chinapolitik. Also die erste Notwendigkeit wäre eigentlich, geschlossen aufzutreten.

Brink: Gibt es denn überhaupt dann eine europäische Chinapolitik?

Maull: Es gibt viele Papiere, es gibt in der Tat europäische Chinapolitik-Papiere, Strategiepapiere auf nationaler oder auch auf europäischer Ebene. Das Problem ist, wie diese Strategien umgesetzt werden, ja vielleicht sogar, was sie sich überhaupt vorstellen. Ich denke, es gibt ein grundsätzliches Missverhältnis in der Art und Weise, wie China auf Europa schaut und wie Europa auf China schaut. Europa würde China gerne zu einem verantwortlichen Machtfaktor der Weltpolitik machen, die internationale Ordnung zusammen mit Europa stützen helfen. China hat ganz andere Vorstellungen davon, was es von den Europäern wünscht.

Brink: Das klingt doch nach einem großen Wirrwarr. Können Sie denn mal die großen Ströme eigentlich dieser europäischen Chinapolitik oder die unterschiedlichen Politiken beschreiben, die so schwer zu bündeln sind?

Maull: Ja, also ich denke, es gibt zwei große Bereiche. Der eine Bereich ist der der realen wechselseitigen Interessen – Sie haben das ja angesprochen. Die Europäische Union ist der größte Wirtschaftsraum der Welt, China ist die drittgrößte Wirtschaft. Die beiden sind eng miteinander verwoben, und da gibt es natürlich viele wirtschaftliche Interessen, die gemeinsam sind, die zum Teil aber auch im Konflikt stehen und die es zu regeln gilt. Das ist die Substanz, die eigentliche Substanz der Beziehungen, und das wird auch im Wesentlichen im Mittelpunkt stehen jetzt in dem kommenden Gipfeltreffen. Und dann gibt es die Ambitionen, die politischen Ambitionen der Europäischen Union. Die Ambitionen, als weltpolitischer Akteur aufzutreten und China auch in diesem Zusammenhang Auge in Auge gegenüberzustehen. Und da, denke ich, sind die Wunschvorstellungen der Europäischen Union, die Ambitionen wesentlich größer als das, was die Europäische Union tatsächlich stemmen kann.

Brink: Welche Interessen müssten wir Europäer denn in Richtung China haben? Also ich denke auch gerade an diesen Wunsch oder vielleicht dieses Wunschdenken, dass Chinas Devisenreserven ja auch den Euro stützen könnten.

Maull: Ja, wir haben eine ganze Reihe von wirtschaftlichen, ganz konkreten wirtschaftlichen Interessen. Sie haben eines angesprochen: der Wunsch, China einzubinden in die Bemühungen der Europäischen Union, ihre Verschuldungsproblematik in Europa zu lösen. Darüber hinaus gibt es auch Themen wie Zugang zum chinesischen Markt, Behandlung chinesischer Unternehmen in Europa, Behandlung europäischer Unternehmen in China, Investitionsfragen – und ganz aktuell gibt es natürlich auch einen sehr heiklen und großen Streitpunkt um das Emissionshandelssystem der Europäischen Union, das auf Fluglinien ausgedehnt werden soll, und die chinesische Politik hat sich dieser Idee völlig verweigert. Und das zeigt auch, dass es in dem Verhältnis eben dann auch gehen könnte um größere Fragen: um Fragen der internationalen Ordnung. Das ist ja auch das, was im Mittelpunkt unseres Berichtes stand, die Frage, was bedeutet eigentlich der Aufstieg neuer Mächte wie Chinas für die internationale Ordnung und wie sollte der Westen damit umgehen.

Brink: Also Sie haben ja gesagt, zumindest der europäische Teil des Westens hat keine wirkliche Antwort. Blicken wir jetzt noch mal ganz konkret auf dieses Treffen, was ja heute in Peking stattfindet. Ich habe es schon angesprochen, es gibt ein großes Wunschdenken, was Chinas Devisenreserven angeht, also die Hoffnung der Europäer, dass die Chinesen auch den Euro-Rettungsschirm stützen. Werden die Chinesen dafür denn eine Gegenleistung fordern?

Maull: Ich denke zunächst einmal, sie werden sich darauf gar nicht einlassen. Die Signale aus Peking scheinen mir doch ganz eindeutig zu sein. Die Bereitschaft Chinas, den Euro zu stützen durch gezielte Aufkäufe von Staatsanleihen oder Beteiligung am Rettungsschirm, die würde ich sehr begrenzt einschätzen. China ist da vorsichtig, es stellt seine eigenen Interessen in den Mittelpunkt, und es sieht, dass da erhebliche Risiken verbunden werden mit einem solchen Engagement. Also ich glaube, ich bin da skeptisch, ob China sich überhaupt in größerem Umfang einlassen wird auf diese Frage. Die zweite Frage ist dann in der Tat, die Sie angesprochen haben, in dem Maße, in dem China sich engagiert, wird es möglicherweise dann auch politische Gegenleistungen erwarten.

Brink: Welches Interesse haben denn die Chinesen an Europa?

Maull: Ich denke, aus chinesischer Sicht ist Europa vor allen Dingen interessant als weltpolitisches Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten, aber ob Europa – und als Wirtschaftspartner natürlich, das sind die beiden großen Themen aus chinesischer Sicht –, aber die Frage, ob die Europäische Union als weltpolitischer Partner agieren kann, hängt natürlich wieder wesentlich davon ab, ob die Europäische Union überhaupt in der Lage ist, sich selbst zu organisieren, und geschlossen als Akteur aufzutreten. Und da ist die chinesische Erfahrung in den letzten Jahren doch so gewesen, dass aus chinesischer Sicht das Interesse an der Zusammenarbeit mit Europa in diesen Bereichen, in diesen großen politischen Bereichen, ein bisschen an Gewicht verloren hat.

Brink: Ein sehr heikles Thema ist ja auch das Thema der Menschenrechte. Wird dies Ihrer Erfahrung und Meinung nach angesprochen werden oder fällt das völlig hinten weg bezüglich der wirtschaftlichen Fragen, die jetzt auf diesem Gipfel besprochen werden?

Maull: Wird formal angesprochen werden, ganz sicherlich, das hat Herman van Rompuy, der Präsident der Europäischen Union auch schon angekündigt in einem Interview jetzt vor diesem Gipfel, aber diese Thematik, diese Diskussion um Menschenrechtsfragen… es gibt ja auch einen europäisch-chinesischen Menschenrechtsdialog und es gibt eine ganze Reihe von nationalen chinesisch-deutschen etwa Menschenrechtsdialogen. Die Ergebnisse dieser Dialoge sind bislang sehr mager gewesen. Also die Themen werden angesprochen und abgenickt.

Brink: Also eher eine Balkonangelegenheit. Ich habe es am Anfang unseres Gespräches schon erwähnt: Sie arbeiten auch für die Transatlantic Academy in Washington zusammen mit amerikanischen Kollegen, machen sich Gedanken darüber, wie man als Westen auf das erstarkende China antworten soll. Eine der großen Ängste der Europäer ist ja, dass sich die USA, also dass die USA ihren Interessenschwerpunkt von Europa weg nach Asien legen. Ist das eine berechtigte Sorge?

Maull: Ja. Natürlich sind die USA schon seit längerem im Begriff, ihre strategischen Schwerpunkte im pazifischen Raum zu setzen, das ist wie gesagt gar nicht neu, aber hat in den letzten Jahren und Monaten an Gewicht gewonnen. Das ist auch unvermeidlich, ich denke, das reflektiert Veränderungen in der Weltpolitik, und die Europäische Union, die Europäer, sollten sich darauf einstellen.

Brink: Der Politikwissenschaftler Professor Hanns Walter Maull, Lehrstuhl für internationale Beziehungen an der Uni Trier. Schönen Dank, Herr Maull, für das Gespräch!

Maull: Gerne, Frau Brink!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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