Jedem Kind ein Instrument

Moderation: Katrin Heise · 16.06.2008
Viele Grundschulkinder hören nach dem Musikunterricht mit dem Musizieren auf - weil beispielsweise das Geld für ein Instrument fehlt, oder es keine weiterführenden kostengünstigen Angebote in ihrem Umkreis gibt. Das Musikförderungsprojekt Jeki ("Jedem Kind ein Instrument") hat das geändert - zunächst im Ruhrgebiet, schon bald in ganz Nordrhein-Westfalen. Doch Musikschulen, die am Projekt teilnehmen sollen, klagen über fehlende Mittel.
Katrin Heise: Jedem Kind ein Instrument. "Jeki", so heißt das Vorzeigeprojekt, mit dem 2010 die europäische Kulturregion Ruhrgebiet hunderttausende von Kindern mit musikalischen Erfahrungen beglückt haben will, egal, welcher Schicht oder Herkunft sie auch angehören. Wir haben über Jeki hier im Deutschlandradio schon häufig berichtet, es läuft seit Dezember 2006. Es arbeiten dabei eng Schulen mit Musikschulen zusammen. Und ich bin jetzt telefonisch verbunden mit dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Musikschulen, Winfried Richter. Schönen guten Morgen, Herr Richter!

Winfried Richter: Guten Morgen, Frau Heise!

Katrin Heise: Und außerdem mit dem Kulturstaatssekretär in Nordrhein-Westfalen Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, der im Stiftungsrat für Jeki sitzt. Ich grüße Sie!

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Guten Morgen, Frau Heise!

Katrin Heise: Die erste Frage geht auch gleich an Sie, Herr Grosse-Brockhoff. Wie weit ist denn eigentlich das Projekt Jeki schon fortgeschritten?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nun, wir haben in diesem Schuljahr 7000 Kinder im ersten Schuljahr, und von denen gehen fast 90 Prozent, exakt 89,1 Prozent, über in das zweite Jahr, was wir für eine Riesenerfolgsquote haben. Und es kommen dann 20.000 neu hinzu, sodass wir dann insgesamt etwa 26.300 bis vielleicht 27.000 Kinder im nächsten Schuljahr dabei haben.

Katrin Heise: Was bedeutet das jetzt auf die Kommunen betroffen? Wie viel Kommunen beteiligen sich inzwischen schon? Denn das ganze Ruhrgebiet soll ja abgedeckt werden.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nun, es beteiligen sich inzwischen weit über 30 Kommunen. Es sind fast 40 Musikschulen, die sich schon beteiligen. Und wir werden insgesamt 53 Ruhrgebietskommunen mit etwa 1000 Grundschulen erreichen. Im Moment erreichen wir 350 Grundschulen.

Katrin Heise: Es klingt doch eine gewisse Zufriedenheit aus Ihrem Munde. Herr Richter, Sie freuen sich vonseiten der Musikschulen sicherlich auch, dass so viele, die sonst nicht in Berührung kämen mit Musik, nun die Chance haben. Sie haben aber auch Bedenken. Welche?

Winfried Richter: Na ja, wir freuen uns. Das ist eine unglaublich spannende Phase und Entwicklung zu einem aktiven Kulturleben, in der die Musikschulen eine ganz große Bedeutung haben, kulturelle Bildung zu vermitteln. Und wir erleben, dass wir vom Vorschulbereich bis zum Grundschulbereich, im Jeki-Bereich, bis zum dritten Lebensabschnitt gefordert sind. Andererseits sehen wir, dass dafür nicht unbedingt überall die Infrastrukturen der Musikschulen sichergestellt sind. Diese ganzen neuen Aufgabenstellungen, die auf uns zukommen, erfordern natürlich auch von den Musikschulen und von den Kommunen und Ländern Sicherheit, und die gilt es noch zu entwickeln.

Katrin Heise: Gehen wir da mal Stück für Stück vor, Herr Richter. Sie haben jetzt gerade angesprochen die Kooperation zwischen den Musikschulen und den Schulen. Da muss man das ganze Jahr auch in einen Rahmen gießen. Was soll die Politik da tun? Was fordern Sie?

Winfried Richter: Na ja, wir fordern, dass die Qualität sichergestellt werden muss, dass es eine Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit und Zugangsoffenheit geben muss für alle, die diese Angebote wahrnehmen sollen, und es sollen ja möglichst viele sein. Dann brauchen wir natürlich ausgebildete Lehrkräfte, die auch einen sicheren Arbeitsplatz finden müssen in dem Bereich. Das heißt, wir brauchen Fortbildung, wir brauchen eine Entwicklung der Hochschulausbildung, die diesen ganzen Anforderungen genügt. Und das ist noch einzubringen von den Ländern und Kommunen.

Katrin Heise: Herr Grosse-Brockhoff, was antworten Sie darauf?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nun, selbstverständlich ist das für alle Musikschulen eine Riesenherausforderung. Aber ich glaube, dass wir den Herausforderungen in Nordrhein-Westfalen gerecht werden, sowohl was die Qualitätsstandards angeht als auch die Nachhaltigkeit. Wir haben als Land erklärt, dass wir das Projekt fortsetzen wollen, auch wenn es 2010/11 als Modellprojekt im Ruhrgebiet beendet ist. Im Gegenteil, wir wollen sogar es dann schrittweise auf das ganze Land Nordrhein-Westfalen ausweiten. Und selbstverständlich ist das auch eine Riesenjobmaschine. Hier werden viele zusätzliche Musikschullehrer benötigt. Wir reden darüber auch schon mit den nordrhein-westfälischen und auch außerhalb unseres Landes den Musikhochschulen, was die Werbung auch für diesen Studiengang angeht.

Katrin Heise: Und wie weit ist man da bereits, auch in der Einrichtung?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nun, wir haben bereits zu verzeichnen ein Anwachsen entsprechender Beteiligungen. Und was das Allerwichtigste im Moment ist, ist daneben parallel auch die Fortbildung der vorhandenen Musikschullehrer. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

Katrin Heise: Ich kann mich noch erinnern, Sie haben 2006 ja ein Interview gegeben im "Radiofeuilleton", Herr Grosse-Brockhoff, da ging es genau auch um diese Weiterbildung der Musikschullehrer, sind an Musikschulen meistens mit kleinen Gruppen betraut gewesen. Jetzt sollen sie sich in Grundschulen großen Kindergruppen widmen und jeden Einzelnen auch individuell an einem Instrument anlernen, gerade Weiterbildung war gefordert. Sie haben das eingeräumt als einen ganz wichtigen Punkt. Wie weit ist man denn da?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Nun, immerhin haben wir jetzt schon 600 Musikschulpädagogen in Fortbildungen gehabt. Und das wird sich noch vervielfachen in den kommenden Jahren. Aber ich denke, dass sich das schon sehen lassen kann, sodass wir im Moment davon ausgehen, dass kaum ein Musikschullehrer nicht fortgebildet ist, der im Moment eingesetzt wird.

Katrin Heise: Herr Richter, das stellt Sie nicht zufrieden?

Winfried Richter: Na, ich finde da schon großartig, was da passiert. Ich will nicht Dinge, die gut sind, in Abrede stellen. Nur wir müssen sehen, der VdM leistet natürlich auch die entsprechende Fortbildung, und wir müssen sehen, dass das über das Ruhrgebiet, über Nordrhein-Westfalen, über ganz Deutschland sich erstreckt. Und das ist natürlich eine gewaltige Anstrengung. Und wir müssen noch etwas bedenken. Wenn wir die jungen Menschen im Grundschulalter ausbilden, dann hört die musikalische Ausbildung damit nicht auf, sondern sie ist im Grunde genommen ein Einstiegsangebot, muss es weitergehen. Und die werden eines Tages vor der Tür bei den Musikschulen stehen, und dann können wir nicht sagen, nein, jetzt ist Schluss, ihr habt in der Grundschule alles gehabt, der Rest ist eure Privatangelegenheit.

Katrin Heise: Wunderbare Projekte wie "Jedes Kind ein Instrument" werden immer beliebter. Miteinander im Gespräch hier im "Radiofeuilleton" sind der Kulturstaatssekretär Nordrhein-Westfalen Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und Winfried Richter. Er ist Vorsitzender des Verbandes deutscher Musikschulen. Herr Grosse-Brockhoff, Herr Richter hat eben gerade etwas angesprochen, nämlich das Weiterführen nach dem Grundschulalter. Wird darüber nachgedacht?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ja, selbstverständlich wird auch darüber nachgedacht. Aber zunächst einmal an die Adresse von Herrn Richter, es gibt doch wohl kaum eine schönere Herausforderung als diese. Und wir sind uns darüber im Klaren, dass erstens auf die Musikschulen auch in den weiterbildenden Schulgängen neue Herausforderungen zukommen, als auch auf die Schulen, die in ganz anderer Weise Ensembles der dann schon Instrumente spielenden Schülerinnen und Schüler bilden müssen und die ebenfalls betreut werden müssen. Auch hier wird es eine Umstellung vielleicht geben, mehr vom Einzelunterricht weg zum Ensembleunterricht. Aber das sind doch wunderbare Auspizien. Und darüber sollte man sich nicht beklagen. Ich denke natürlich, wir müssen hier auch langfristig strategisch denken, und im Lande Nordrhein-Westfalen haben wir zum Beispiel auch mit den Hochschulen hierzu eine Arbeitsgruppe gebildet.

Winfried Richter: Wir finden diese Herausforderung natürlich großartig. Wir haben ja immer mit dem Verband der Musikschulen seit Beginn des Musikschulwesens überhaupt daraufhin gearbeitet, dass das Ensemblespiel eine große Rolle spielt, dass der Gruppenunterricht eine große Rolle spielt. Und wir sind begeistert davon, dass solche Dinge jetzt so flächengreifend angenommen werden und dass die Politik uns da auch unterstützt, aber dass auch noch etwas zu leisten ist von politischer Seite, was die Ausbildung anbelangt, was die Sicherheit der Lehrkräfte anbelangt. Sie müssen wissen, dass einem Musikschullehrer an einer allgemeinbildenden Schule, wenn er dann diese Aufgabe übernimmt, nur ein Bruchteil von den finanziellen Mitteln zur Verfügung steht, die ein Musiklehrer an einer allgemeinbildenden Schule erhält. Ich denke, da ist noch eine gewisse Gleichheit sicherzustellen. Und es ist natürlich auch sicherzustellen, dass diese Arbeitsplatz längerfristig hält. Denn wenn junge Menschen heute überlegen, Musikschullehrer zu werden, ein Studium aufzunehmen, dann fragen sie sich natürlich auch, welche Sicherheit habe ich denn hinterher, wenn man nicht sagen kann, gut, du übernimmst diese Aufgabe und kannst damit deine Existenz bestreiten. Dann ist es nicht unbedingt sehr attraktiv. Und diese Situation haben wir leider noch.

Katrin Heise: Herr Grosse-Brockhoff, was können Sie dafür noch in Aussicht stellen?

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Zunächst einmal kann ich verstehen, dass natürlich die Musikschullehrer Sicherheit haben wollen. Im Moment haben einige Kommunen sie noch zögerlich befristet eingestellt. Aber ich bin ganz sicher, dass dies mittel- bis langfristig zu Festanstellungen führen wird, weil es gar kein Vorbei daran gibt, dass wir diese Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer brauchen. Und da wird auch ein gewisser Wettbewerb entstehen. Tarifverhandlungen wollte ich jetzt an dieser Stelle nicht führen über die Honorare und Bezahlung der Musikschullehrer im Vergleich zu den Musiklehrern an den Schulen. Ansonsten, glaube ich, ist bei uns sehr wohl die Augenhöhe da. Im Gegenteil, ich habe manchmal das Gefühl, dass die Musiklehrer sich in die Defensive gedrängt fühlen von den Musikschullehrern. Insofern sind da beide Seiten gefordert. Aber langfristig ist doch hier für das Musikschulwesen eine unglaublich positive Zukunft zu sehen und selbstverständlich wird Politik auch hieraus Konsequenzen ziehen müssen. Das, was wir jetzt in Nordrhein-Westfalen in großem Stil angestoßen haben, wird sich mit der Zeit flächendeckend auf die Bundesrepublik ausweiten und ein riesenneuen auch Markt bescheren. Das ist mir völlig klar.

Katrin Heise: Ein Markt, Herr Richter, wo Sie sich immer wieder einschalten müssen auf jeden Fall, um die Dinge der Musikschulen zu vertreten?

Winfried Richter: Na ja, um vor allen Dingen eine gute Ausbildung der jungen Menschen sicherzustellen. Das ist ja unser Anliegen. Und dieser Wettbewerb ist sehr richtig genannt worden von Herrn Grosse-Brockhoff. Dazu sollte man dann natürlich auch die Hochschulausbildung sehen. Auch da müsste eigentlich ein Wettbewerb entstehen, der Hochschulen möglichst ein kompaktes, ein gutes, ein tragbares, belastbares, pädagogisches Angebot den Studenten zu vermitteln. Da steht leider immer noch die künstlerische Ausbildung sehr im Mittelpunkt. Und vielleicht ist auch Politik gefragt.

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Ja, da gebe ich Ihnen recht. Da müssen auch Musikschulrektoren, Musikhochschulrektoren und Lehrkörper umdenken, denke ich.

Katrin Heise: Viel ist noch zu tun, aber alles zum Wohle der musikalischen Bildung für alle. Das waren der Vorsitzende des Verbandes deutscher Musikschulen Winfried Richter und Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Kulturstaatssekretär in Nordrhein-Westfalen. Meine Herren, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Winfried Richter: Vielen Dank!

Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff: Bitte schön!