"Jede Subkultur sucht sich die passende Droge"

Jeannie Moser im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 16.04.2013
Im Vergleich zu anderen Drogen habe LSD wenige Nebenwirkungen und sei gut zu kontrollieren, sagt die Berliner Literaturwissenschaftlerin Jeannie Moser. Trotzdem wurde es später von anderen Drogen abgelöst. Mit der Musik änderten sich eben auch die Substanzen, die dazu passen.
Stephan Karkowsky: 70 Jahre nach der Entdeckung seiner Wirkung ist das LSD als Partydroge noch immer verbreitet – aber seine Bedeutung hat abgenommen gegenüber anderen illegalen Drogen wie Ecstasy, Ketamin und zuletzt Crystal. Ob auch die Drogenszene Moden unterliegt, ob also jede Generation ihre eigenen Drogen hat, das kann uns womöglich Dr. Jeannie Moser verraten. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin ist Autorin des Buches "Psychotropen. Eine LSD-Biographie". Guten Tag, Frau Moser?

Jeannie Moser: Ja, hallo!

Karkowsky: Fasziniert hat sie die Frage, wie wird in Worte gefasst, was jeder nur durch die Selbsterfahrung wirklich erleben kann, nämlich die Rauscherfahrung nach der Einnahme durch LSD. Gibt es eigentlich in den Erfahrungsberichten der Nutzer gemeinsame Nenner oder erlebt da jeder was anderes?

Moser: Beides. Also es gibt gemeinsame Nenner und gleichzeitig ein ganz breites Erfahrungsspektrum. Was interessant ist, ist, dass immer wieder drauf bestanden wird, dass es eben ganz, ganz einzigartige Erfahrungen sind. Letztlich, wenn man sich die Drogenbeschreibungen oder Berichte anguckt, dann merkt man, die sehen sehr oft dasselbe. Es gibt da so bestimmte Präfigurationen, es sind bestimmte Tapetenmuster, die man aus den 50er-Jahren kennt, also das sind sozusagen die Muster, die sie sehen. Was auch immer wieder auftaucht, dann im Negativen, sind die Dämonen, die Hexen …

Karkowsky: Hexen … Echsen auch …

Moser: Ja, genau, die Tiere. Es ist dann immer nur die Frage, wie wird das dann bewertet, also wird das eben dann als was Besonderes oder ist das eher zu verachten. Aber auf jeden Fall gibt es schon so eine sozusagen … Es gibt Voreinstellungen, und man kennt das ja, es wird einem auch erzählt, was in so einem Rausch dann eben auch passiert – man wird vorbereitet vielleicht auch. Und dann wie gesagt sind diese Dinge sehr, sehr ähnlich letztlich.

Karkowsky: Also, wenn jemand so einen Trip nimmt, dann entspricht seine Vorstellung dann auch bestimmten Erwartungen von dem, was er vorher darüber gehört hat?

Moser: Ja, es gibt eine Erwartungshaltung, und Timothy Leary hat auch mit Kollegen, also mit Richard Alpert und Metzner zusammen, dafür dann auch einen Begriff geprägt, und das ist das Set. Das ist sozusagen die Vorstellung, die ich davon habe, was passieren wird, wenn ich jetzt genau diese Droge nehme. Und die beeinflusst natürlich das, was dann eben auch passiert. Und das sind dann eben … Man kann das dann eben auf gemeinsame … Also man kann das auf einen Nenner bringen, dass man dann sagt, ja, es gibt so was wie Dinge-Verlebendigen, umgekehrt, das Lebendige wird plötzlich tot oder starr, oder Selbstauflösung, Ich-Zerfall. Und wie gesagt, ob das dann positiv erlebt wird oder negativ, das ist dann wiederum eben sehr individuell.

Karkowsky: Es wird im Film immer mal wieder versucht, so einen LSD-Trip auch optisch darzustellen. Ich erinnere mich da "Fear and Loathing in Las Vegas" zum Beispiel. Haben Sie da jemals etwas Überzeugendes gesehen?

Moser: Na ja, das ist natürlich alles letztlich überzeugend, also weil es sind unterschiedliche Formen dann eben genau dieser Art und Weise. Also bei "Fear and Loathing" geht es ja ganz viel darum, dass eben die Gegenstände sich überhaupt nicht mehr begrenzen lassen. Also das ist ja auch ein optisches Phänomen, was tatsächlich durch LSD getriggert wird, dass die Dinge oder die Wahrnehmungen ineinander übergehen und nicht mehr abgrenzbar sind. Insofern ja. Oder Synästhesien sind eben auch was, was immer wieder beschrieben wird, also dass plötzlich dann eben Klang als Farbe gesehen wird und so weiter.

Karkowsky: Auch die Art, wie über LSD gesprochen und geschrieben wurde, hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Heute hat man den Eindruck, dass die frühen Horrorberichte einer so eher nüchternen Faszination gewichen sind. Gibt es denn heute weniger Gründe, die Jugend vor LSD zu warnen, oder hat sich nur die Kultur geändert?

Moser: Sie würden sagen, jetzt ist es nüchterner?

Karkowsky: Würde ich sagen, ja. Also wenn man das vergleicht mit der Boulevardpresse, die zur Hippiezeit noch davor gewarnt hat, vor Horrortrips und so weiter.

Moser: Ja, natürlich, also das ist natürlich Teil dann auch bestimmter Kampagnen oder eben auch einer Propaganda. Es war ja dann irgendwann mal so, dass LSD mit sozialpolitischer Bedeutung aufgeladen worden ist und man den Eindruck hatte, man kann diese Jugendbewegung oder diese Bewegung überhaupt nicht mehr in den Griff kriegen, sondern nur darüber, dass man ihnen diese Droge madig macht oder diese Erfahrung, auf die sie jetzt eigentlich bestehen und die sie für sich jetzt eben beanspruchen. Und das haben wir dann eben gesagt, das ist ganz gefährlich und wahnsinnig gefährlich. Und letztlich ist es ja so, dass LSD im Vergleich zu anderen Drogen ganz, ganz wenige Nebenwirkungen tatsächlich hat und relativ gut zu kontrollieren ist. Und da ist es auf jeden Fall Teil davon gewesen, dass man sagte, ja, die Leute springen aus dem Fenster – das hat es tatsächlich dann auch gegeben, aber es ist natürlich auch sehr aufgebauscht worden, um diese Droge auch dann zu dämonisieren.

Karkowsky: In den USA kamen Studenten schon in den 50er-Jahren mit LSD in Kontakt. Der Autor von "Einer flog übers Kuckucksnest" etwa hatte LSD als Freiwilliger bei klinischen Tests verabreicht bekommen. Durch die Unis soll dann das LSD auch in die Hippieszene gelangt sein. Gab es Ihrer Ansicht nach für das LSD so etwas wie eine Hochzeit, in der es besonders gut zur jeweiligen Subkultur passte?

Moser: Ich glaube, es hat überhaupt zur Kultur gepasst, und die Subkultur ist sozusagen ein Teil dieser Kultur. Und diese Kultur ist eine, die sich sehr damit beschäftigt, wie man das selbst steuern kann, wie man Verhalten steuern kann. Das ist die Hochzeit von Behaviorismus, von Individual- und Sozialpsychologie. Und das wird verkoppelt dann eben mit chemischen Substanzen. Es ist nämlich auch eine Kultur, die gerade dabei ist, sich enorm zu medikalisieren. Und das ist dann eben … Also Ken Kesey, der ja mit den Merry Pranksters dann einen Bus gestartet hat und wilde Acid-Tests-Happenings veranstaltet hat …

Karkowsky: Nachzulesen bei Tom Wolfe im wunderbaren Roman "Unter Strom".

Moser: Genau, genau. Und also der war zum Beispiel Aushilfe im Menlo Park, also in der Psychiatrie, und hat eben auch da schon gesehen, wie eben sozusagen ständig Medikamente verabreicht werden. Und das, was die Hippies da machen, ist nur, sozusagen das Potenzial dieser Droge, ja, umzulenken oder anders zu deuten und eben zu sagen, also es gibt erst mal Substanzen, mit denen kann man Verhalten, kann man das Bewusstsein verändern, und dann ist die Frage, zu welchem Ziel. Und da kann man dann sagen, natürlich hat die CIA oder das Militär in der Zeit ein anderes Interesse, also da sollen dann eben die Subjekte eher normiert oder kontrolliert werden, und das, was die Hippies machen, ist eben, sie lenken das Ziel um und sagen, ja, mit diesen Substanzen kann man auch das Bewusstsein verbessern, erweitern, aber eben befreien, und kann dann eben im Positiven eine andere Gesellschaft entwerfen, oder das ist eben eine, die vielleicht nicht so militarisiert ist, die nicht so bürokratisiert ist. Aber wie gesagt, es ist gar nicht so was, was jetzt so völlig isoliert voneinander stattfindet.

Karkowsky: Zum 70. Geburtstag des LSD hören Sie die Berliner Literaturwissenschaftlerin Jeannie Moser. Frau Moser, 67/68, da nahm scheinbar jeder in einer gewissen Subkultur LSD, so wird es uns heute dargestellt. Die Beatles veränderten sogar ihre Musik danach, die Hippies feierten den Summer of Love. Dann gab's – zumindest hat man das so wahrgenommen – offenbar eine lange Pause, irgendwas anderes passierte dann, und Ende der 80er-Jahre wurde dann LSD als Partydroge für Acid-House-Partys, also die Vorläufer der Technopartys, wiederentdeckt. Wie kann man das erklären?

Moser: Ja, wie kann man das erklären? Also ich weiß nicht, ob ich eine endgültige Erklärung dafür habe. Zum einen würde ich dann sagen, die Hippies sind nicht ganz verschwunden, haben vielleicht alles nur anders, also es ist anders kanalisiert worden, aber es sind ja auch viele nach Goa gegangen oder … also bis heute gibt es ja Hippiekommunen, die es schon seit dem gibt. Aber trotzdem, es hat sich die Musik verändert, und damit haben sich dann eben auch die Substanzen, die dazu passen, verändert.

Und ja, die Hippiebewegung wird ja abgelöst vom Punk, und das ist eben zum Beispiel erst mal eine Bewegung, die mit Alkohol operiert, und da passt natürlich auch diese ganze Selbstbezüglichkeit der Hippies, also überhaupt diese innere Reise, die Selbsterfahrung, die Spiritualität, das passt dazu überhaupt nicht. Insofern braucht es auch eine andere Substanz, und das ist wie gesagt im Punk dann erst mal der Alkohol, dann in den coolen 80er-Jahren ist es dann das Kokain. Also sozusagen jede Subkultur sucht sich natürlich dann eben auch die passende Droge. Und dann taucht dann eben wieder diese Musik auf, und ja, Acid House, das hat ja so was sehr Tranceartiges, also ich glaube, da gibt es dann wieder so Verlinkungsmöglichkeiten, also dass das zum Zustand passt. Und es gibt ja dann eben auch Goa-Trance, was ja auch …

Karkowsky: Man muss halt nur fragen, was war zuerst da, die Droge oder die Musik. Im Jahresbericht der Hauptstelle für Suchtfragen, da spielt das LSD nur noch eine Nebenrolle. Ich hab da mal reingeguckt, es taucht noch auf, aber es sind irgendwie 0,1 Prozent, irgend so was. Das ist dann offenbar ein Exot geworden unter den illegalen Drogen. Was meinen Sie, warum? Weil es zur Partygeneration 2013 nicht mehr passt?

Moser: Wahrscheinlich passt das nicht mehr zur Partygeneration 2013, es gibt eben andere Substanzen. Inzwischen ist es ja so, dass es so viele Substanzen gibt, dass die ja teilweise überhaupt nur, weiß nicht, zwei, drei Monate auf dem Markt sind und wieder verschwinden. Also es hat sich dann auf eine Art auch ausdifferenziert, was wirklich … wer braucht jetzt genau was, um in den Zustand irgendwie zu kommen, in den er gerne kommen möchte. Ich hab irgendwo mal gelesen, da ging es um den durchschnittlichen LSD-User, und der ist männlich, weiß, gebildet, der muss natürlich eben auch Zeit haben für diese Entdeckungsreisen in das innere Ich. Und da, glaube ich, da gibt's dann vielleicht einfach andere Substanzen, die mit anderen Interessen besser übereinstimmen.

Karkowsky: Jeannie Moser, Ihnen herzlichen Dank für das Gespräch! Die Berliner Literaturwissenschaftlerin ist Autorin des Buches "Psychotropen. Eine LSD-Biographie", erschienen im Verlag Kostanz University Press. Heute Abend beschäftigen wir uns im Deutschlandradio Kultur noch einmal mit dem Thema: Um 19:30 Uhr hören Sie "Breit auf dem Rad – halluzinogene Substanzen in der Literatur" von Gerd Brendel.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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