"Jede Nation hat das Recht, irgendwie verrückt dargestellt zu werden"

Bora Dagtekin im Gespräch mit Susanne Burg · 11.03.2012
Die Serie "Türkisch für Anfänger" kommt als Film ins Kino. Und weil Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin raus aus Berlin-Kreuzberg wollte, habe er seine bekannten Serienhelden einfach mit dem Flieger abstürzen und unter Palmen stranden lassen.
Susanne Burg: Bernd Sobolla hat den Film Türkisch für Anfänger"" vorgestellt, der in der kommenden Woche bei uns anläuft. Und bei uns im Studio ist jetzt der Drehbuchautor und Regisseur des Films, Bora Dagtekin. Ich grüße Sie!
Bora Dagtekin: Hallo!

Burg: Normalerweise sitzen Sie am Schreibtisch, denken sich Dialoge aus, jetzt also ein Regiedebüt. Es gab ein riesiges Team, gedreht wurde in Thailand, es gab Actionszenen, Stunts – warum wollten sie unbedingt selber Regie führen, und warum musste es gleich so groß sein?

Dagtekin: Ich wollte eigentlich seit der zweiten Staffel Regie machen, ich habe ja auch Film studiert an der Filmakademie, und habe mich dann nur auf Drehbuch spezialisiert erstmal und habe gesagt, immer wenn ich irgendwie mal die Regiearbeit ausprobiere, dann würde ich es wieder gerne mit "Türkisch für Anfänger" machen.

Und dass es dann so groß war, das ist nett, dass Sie das so sagen – es ist schon ein ganz großes Debüt –, ich wollte halt so ein paar Stunts und so ein paar Sachen auch ausprobieren, weil ich dachte, wenn man jetzt einen Kinofilm macht, dann sollte es vielleicht visuell ein bisschen mehr zu bieten haben, als das graue Studio, in dem wir davor jahrelang gewesen sind. Und deswegen musste das eigentlich sein, das ist ja auch so ein Jungstraum, dann irgendwie, dass ein bisschen was in die Luft fliegt, und wenn es nur die Schauspielerin ist.

Burg: Ja, man las ja auch von abenteuerlichen Drehbedingungen, von Hitze und Tieren und so weiter. Also insofern gab es ja auch vom Ablauf her eine ganze Menge Herausforderung.

Dagtekin: Ja, es war eigentlich immer ständig jemand im Krankenhaus oder irgendwer lag angeschwollen am Strand oder hatte einen Hitzschlag oder wurde von irgendwelchen Moskitoschwärmen zerfressen, aber die haben es alle echt ganz gut weggesteckt und supertapfer mitgemacht, also es war echt ein klasse Team. Auch die Thailänder sind super professionell, also da wird ja echt – wir hatten den Stuntman von "Hangover 2" und wir hatten die Casterin von "The Beach", und die sind echt hoch professionell.

Burg: Nun heißt der Film im Untertitel "Ganz neu erzählt fürs Kino". Abgesehen davon, dass Sie nicht in Folgen denken mussten, jetzt beim Schreiben, was musste anders sein für einen Kinofilm?

Dagtekin: Wir haben ziemlich lange nachgedacht und auch so ein bisschen Analysen gemacht von solchen Verfilmungen, von solchen Adaptionen, und das gab es in Deutschland noch nie, dass eine Serie fürs Kino verfilmt wurde, und wir haben uns dann entschieden, das so anzugehen, wie es wahrscheinlich die Amis auch gemacht hätten, nämlich mit einem Reboot.

Das heißt sozusagen, die Serie so zu betrachten, als ob es vielleicht eine Romanreihe wäre, und so zu tun, als ob wir gar nicht diejenigen sind, die es schon in der Serie gemacht haben, sondern es so zu betrachten, als ob wir jetzt neu draufkommen, und haben uns sozusagen die Prämisse, die Figuren in ihren interessantesten Konstellationen genommen und sie dann sozusagen noch mal neu erzählt auf eine Art und Weise, wie man das halt dann in einem langen Film wahrscheinlich gemacht hätte, auch international.

Burg: Die Geschichte spielt auf einer Insel, es geht um Gestrandete und einem fallen da natürlich sofort viele Bücher, Filme ein, die daraus eine Geschichte gemacht haben: von "Robinson Crusoe" über "Herr der Fliegen" und den Film, den Sie auch schon erwähnt haben, "The Beach – der Strand" von Danny Boyle, bis hin zur Fernsehserie "Lost". Warum haben auch Sie sich diese Ausgangslage – Flugzeug stürzt ab, vier Menschen stranden auf einer Insel – zugewandt?

Dagtekin: Ich bin auch eigentlich ein großer Fan von so "Robinson Crusoe" hier, "Blaue Lagune" – das ist was irgendwie, was wirklich alle Frauen und Mädchen irgendwie in ihrer Jugend geguckt haben –, und es hat auch so, eigentlich ist es auch so eine ironische zweite Ebene, da kommt man auch gar nicht so drauf, ist auch wurscht. Denn die Urmutter aller Serien ist ja eigentlich immer, irgendwie Leute werden gezwungen, auf engem Raum zusammenzuleben, und dann entsteht eigentlich erst eine Serie. Nur meistens muss es ein günstiger Ort sein.

Und so eine Insel ist natürlich das Teuerste, was passieren kann – deswegen wird es in Deutschland auch nicht gemacht –, und ich fand es irgendwie cool, dass wir jetzt eigentlich was sehr typisches für eine Serie, dann aber als Kinofilm, machen, und dadurch hat es so eine Logik gehabt. Und ich wollte so raus aus Kreuzberg, damit die Leute nicht das Gefühl haben, das habe ich alles schon mal im Fernsehen gesehen, sondern damit die auch merken, okay, das ist jetzt irgendwie ein USP, dafür würde ich vielleicht ins Kino gehen.

Burg: Der Nebeneffekt ist ja auch, dass die Figuren, die sie entwickelt haben, dass die noch mal auf einer anderen Ebene dann mit Klischees spielen können, also Lena, die ja sehr verkopft ist, der hilft plötzlich auf der Insel ihr Wissen überhaupt nicht weiter, und Cem, der Macho-Muskelprotz, ist plötzlich dann der Smarte, weil er besser im Überleben eben in der Natur ist. Insofern war dieses Setting vielleicht dafür ganz gut eine Steilvorlage.

Dagtekin: Also das war auf jeden Fall super, weil Cem war ja am Anfang sowieso eine Nebenfigur in der Serie, in Staffel eins, und alle haben immer gesagt: Ja, das ist doch eine krasse Figur und so, der Macho, und der ist so reaktionär. Und dann, als wir ihn dann gecastet hatten und die ersten Folgen liefen, kippten reihenweise die Redakteurinnen um, weil sie sich so verliebt haben in den, weil Elias das eben so wahnsinnig charmant spielt, und wir auch dann durch die Drehbucharbeit und die Zusammenarbeit mit der Regie da so eine charmante Rolle draus gemacht haben, und dann wurde er eigentlich zum geheimen Star so der Serie mit Lena zusammen.

Und auf dieser Insel kann er jetzt endlich mal auch der Held sein, der er in der Serie nie sein durfte. Er hat ja nie was hingekriegt, er war ja immer ein bisschen blöd und ist immer irgendwie gescheitert mit allem, und hat nicht mal geschafft, Filme richtig runterzuladen aus dem Internet. Und jetzt konnte er endlich mal irgendwie helfen, dass alle überleben und Lena das Leben retten. Und das war irgendwie so ein Traum auch von mir, dass der Ausländer-Sidekick sozusagen mal der Held sein darf.

Burg: Bora Dagtekin ist bei uns zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Wir sprechen über seinen Kinofilm "Türkisch für Anfänger". Wenn wir noch mal bei den Klischees bleiben: Das heißt immer wieder, wenn Kulturen zusammenleben, ist es wichtig, dass man nicht allzu sehr in Kategorien denkt, dass man eben oft Zuschreibungen wie türkisch verzichtet. Aber nun spielen Sie ja genau mit diesen Zuschreibungen, also Cem ist türkisch Macho, Lena deutsch und verklemmt – gewähren Sie uns mal einen Einblick: Wie gehen Sie vor, wenn Sie schreiben? Also Sie haben Klischees, und wie gehen Sie dann einen Schritt weiter, um die dann eigentlich auch wieder ad absurdum zu führen?

Dagtekin: Klischees, das ist immer so – in Deutschland ist das so ein Schimpfwort, ne? Man könnte auch Archetypen sagen, dann hört es sich schon viel dramaturgisch versierter an. Also so geht man es auch in der Tat an: Also gerade bei einer Komödie ist es wichtig, dass die Leute schnell die Figuren begreifen – also nicht jetzt wie bei einem Petzold-Drama irgendwie in eine sehr komplexe Figur eintauchen und dann mit ihr auf eine Reise gehen, wo man gar nicht ahnt, wo es hingeht –, bei einer Komödie ist es immer wichtig, dass die Leute antizipieren können, wo geht es hin, dass schon der Zuschauer denkt, ah, ich weiß, am Ende kommen sie zusammen, und denkt, ich habe es durchschaut, aber natürlich, er will halt auch einfach wissen, wie es am Ende wird, weil bei einer Komödie ist es, glaube ich, wichtig, dass man sich darauf verlassen kann, dass gewisse Dinge eintreten, sie sollten dann nur überraschend eintreten oder mit ein bisschen Witz.

Und so ein Klischee ist einfach perfekt, um den Zuschauer schnell irgendwo andocken zu lassen und dann ihn daran teilhaben zu lassen, wie man mal dahinter schaut und merkt, okay, er ist nicht nur der Proll, sondern heimlich schreibt er auch Gedichte, oder er wäre vielleicht eigentlich gerne viel klüger, aber der kann sich nicht ausdrücken, oder er hat auch eine sensible Seite – also so ein Klischee ist eigentlich super, um eine Geschichte zu starten und es dann langsam zu zerschlagen.

Burg: Culture-Clash-Komödien – so kann man es ja auch irgendwie nennen –, die haben im englischsprachigen Raum Tradition, in Deutschland, so ist mein Eindruck zumindest, nehmen sie in den letzten Jahren eigentlich immer mehr zu. Also wenn ich jetzt denke an "Almanya", "Soul Kitchen" – was hat sich verändert, dass es auch möglich wurde, auf Themen eben, die sonst so bierernst betrachtet werden, die unterschiedlichen Kulturen – ich will jetzt gar nicht das Wort Migration oder Integration in den Mund nehmen –, auch mal humorvoll zu gucken?

Dagtekin: Vielleicht sind das alles Macher, die diesen Integrationszustand sozusagen schon überwunden haben, also vielleicht liegt es daran. Fatih Akin oder auch jetzt die Yasemin Samdereli, die "Almanya" gemacht hat, und ich, ich glaube, wir sind alle – ich will jetzt nichts Falsches sagen –, aber ich glaube, wir sind alle nicht so richtig in der Türkei geboren, aber wer weiß, was ich jetzt sage. Also zumindest ich kann es von mir sagen, dass ich einfach integriert aufgewachsen bin. Ich hatte nie Migrationsschwierigkeiten oder Integrationsschwierigkeiten. Und dadurch nimmt man die Welt wahrscheinlich auch gar nicht mehr so schwer wahr, wie sie vielleicht für die Ausländer der Generation davor irgendwie war, und dadurch kann man vielleicht auch leichter an so ein Thema rangehen, wenn Ausländer mitspielen.

Mir war es immer wichtig, dass die Ausländer einfach Teil einer normalen Unterhaltungswelt werden – von mir aus kann man das auch trivial nennen, nur weil es nicht mehr um Ehrenmord geht oder um Unterdrückung der Frau, aber das Feedback ist eigentlich so, dass sich viele freuen, dass sie einfach behandelt werden wie Deutsche oder wie Figuren in amerikanischen Komödien, dass es eher darum geht, ist der Charakter interessant und lustig, und das versuche ich immer hinzukriegen. Die Türken sind einfach auch eine gestörte Familie, der die Mutter fehlt, und die Deutschen sind eine gestörte Familie, der der Vater fehlt, und das könnten jetzt aber auch irgendwie – weiß ich nicht – Russen und Norweger sein. Also ich finde, jede Nation hat das Recht, irgendwie verrückt dargestellt zu werden in der Komödie, und dann irgendwie zusammenzuwachsen.

Burg: Und was reizt Sie an dieser Art zu schreiben?

Dagtekin: Ja, ich glaube, ich versuche immer das zu machen, worüber ich dann selber lachen kann. Vielleicht auch nur in dem Moment, aber ... also es ist jetzt nicht so, dass ich mir irgendwas angucke und sage, das will ich auch so machen, ich bin vielleicht einfach so aufgewachsen. Also ich bin vielleicht mit kommerzielleren Büchern oder auch Filmen einfach groß geworden und das wollte ich auch immer machen.

Also ich finde, das Schönste ist, wenn die Leute lachen, und das ist irgendwie das angenehmste Feedback. Wenn man jetzt ein Drama macht, dann guckt man am Ende: Haben alle schön geweint, sind die Taschentücher nass, die unter den Sitzen liegen? Und bei einer Komödie kann man alle 20, 30 Sekunden gegenchecken: Aha, okay, sie lachen, cool, der Gag kam an! Und das finde ich spannend, das ist wie so ein Pingpong mit dem Zuschauer, wenn man eine Komödie machen kann.

Burg: Ich habe mich beim Gucken auch gefragt, für wen der Film eigentlich gemacht ist, also weil man – würde ich sagen – den Film auf verschiedene Arten sehen kann: also einmal als Unterhaltungskomödie, viele Pointen, schöne Bilder, romantische Szenen, aber man kann eben auch alle popkulturellen Anspielungen analysieren und geradezu Symposien darüber organisieren, wie Sie mit Klischees und Stereotypen, oder was Sie als Archetypen bezeichnen, spielen, aufgreifen, ad absurdum führen. Für wen ist es gemacht, und wie bekommen Sie beim Schreiben einen solchen Spagat hin?

Dagtekin: Ganz nett, dass Sie das sagen. Also in erster Linie haben wir den wirklich gemacht für Leute, die gerne Komödien gucken, und natürlich – "Türkisch für Anfänger" hat halt den Grimmepreis gewonnen und so was alles, also da guckt man schon, dass man vielleicht den einen oder anderen politisch unkorrekten in Anführungsstrichen etwas "smarteren" Gag mit einbaut, damit die Leute nicht das Gefühl haben: Oh Gott, wir müssen den Grimmepreis wieder aus seiner Wohnung klauen, wir müssen alle Preise zurückgeben, es ist ja nur noch triviale Unterhaltung. Und wobei ich damit gar kein Problem habe, aber ich mag es auch ganz gerne, wenn man eine Komödie macht, die breit ist für die Masse eigentlich.

Ich glaube, sie ist auch sehr jung, ich glaube, sie ist sehr, sehr teenageraffin, aber auch dann wieder für die Elterngeneration, für Leute, die vielleicht irgendwie wieder gerne so einen trockenen Blick auf das Erwachsenwerden werfen wollen. Und sozusagen, das heißt, in besten Fall schafft man es, Unterhaltung zu machen und vielleicht hier und da aber auch den Leuten zu zeigen: Okay, wir machen Unterhaltung, aber wir sind nicht komplett gehirnverbrannt, sondern wir wissen auch schon, dass da noch ein Thema mit schwebt. Es geht auch um Multikulti – vielleicht nicht ganz so intellektuell wie in anderen Filmen, aber wir haben schon nachgedacht, was wir machen.

Burg: Bora Dagtekin, Drehbuchautor und Regisseur von "Türkisch für Anfänger". Der Film kommt am Donnerstag in unsere Kinos. Herr Dagtekin, vielen Dank für den Besuch!

Dagtekin: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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