Jasmila Žbanić über "Quo Vadis, Aida?"

Mahnmal für die Opfer von Srebrenica

11:43 Minuten
Filmszene aus "Quo Vadis, Aida", ein Film als Mahnmal für die Opfer von Srebrenica. Regie: Jasmila Žbanić
Der Film erzählt von der Übersetzerin Aida. Das Massaker von Srebrenica 1995 ist in Bosnien noch immer gegenwärtig, sagt die Regisseurin Jasmila Žbanić. © Christine A. Maier / Deblokada
Moderation: Patrick Wellinski · 31.07.2021
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"Quo Vadis, Aida?" der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić handelt von der Übersetzerin Aida, die während des Bosnienkrieges das Versagen der UN hautnah miterlebte. Die weibliche Perspektive sei auch für sie schmerzhaft gewesen, so die Regisseurin.
Jasmila Žbanić hat den Balkankrieg als junge Frau überlebt und beschäftigt sich seitdem in ihrem Werk mit dem Krieg. Schon für ihr Debüt "Grbavica" über die vergewaltigten Frauen des Krieges gab es einen Goldenen Bären.
Ihr neuester Film "Quo Vadis, Aida?" wurde für einen Oscar nominiert und erzählt von der Übersetzerin Aida, die bei der Belagerung von Srebrenica merkt, dass die UN die bosnische Zivilbevölkerung nicht schützen wird.
Das Leben in Bosnien sei geprägt von den Folgen des Krieges, sagt Jasmila Žbanić. Beispielsweise tobe momentan eine wütende politische Debatte über den Krieg, weil der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft für Bosnien und Herzegowina gerade erst gefordert habe, die Leugnung der Kriegsverbrechen unter Strafe zu stellen. "Das ist etwas, das ich als Friedensaktivistin seit Jahren versuche durchzusetzen. Aber Sie können sich nicht vorstellen, was für wütende Debatten diese Forderung hier ausgelöst hat!"
Das zeige ihr, so Žbanić, dass die Vergangenheit in Bosnien noch sehr gegenwärtig sei und viele Spannungen und Konflikte verursache. Deshalb sei es so: "Wenn ich Filme über diese harten Episoden unserer Geschichte drehe, dann mache ich im Grunde Filme über unseren Alltag."

Drastisches Versagen der UN in Bosnien

Inspiriert zu dem Film habe sie das Buch "Under the UN-Flag" von Hasan Nuhanović. "Er war ein Übersetzer, der unter anderem seiner Familie erklären musste, dass sie die UN-Basis in Srebrenica verlassen müssen." Die Rolle des Übersetzers habe sie immer sehr interessiert, sagt Jasmila Žbanić. Übersetzer müssten manchmal Dinge aussprechen, mit denen sie vielleicht gar nicht einverstanden seien. Auch Aida stehe zwischen den Welten: Sie kommt aus Bosnien, trägt das Schicksal ihres Volkes mit. Doch sie ist auch Teil der UN.
Filmszene aus "Quo Vadis, Aida", ein Film als Mahnmal für die Opfer von Srebrenica. Regie: Jasmila Žbanić
Filmszene aus "Quo Vadis, Aida"© Christine A. Maier / Deblokada
Die UN habe in Bosnien drastisch versagt, sagt Jasmila Žbanić. "Laut Resolution 819 des UN-Sicherheitsrats hatten sie die Aufgabe, die zivile Bevölkerung vor Ort zu schützen. Dafür hätten sie notfalls auch Waffen und militärische Gewalt nutzen können. Aus dem endgültigen UN-Bericht über den Krieg wird aber deutlich, dass die UN-Truppen in Srebrenica nicht eine einzige Kugel abgefeuert haben. Sie haben nicht mal versucht, die Zivilbevölkerung zu schützen."

Hoffnung in das Gute im Menschen

Das sei eine Tragödie, ein großes Versagen auf vielen Ebenen. Als die Nachricht kam, dass Srebrenica von der serbischen Armee eingenommen wurde, sei sie Anfang 20 gewesen und habe sich gefragt, woran sie noch glauben solle. "Ich sah, dass die Gewalt die Oberhand gewann und ich war ohnmächtig. Wenn selbst die hehren Absichten der UN keinen Effekt haben, woher soll bei mir eine Hoffnung in das Gute im Menschen entstehen?"
Diese Frage stellt sich auch Aida, die Protagonistin ihres Films.
Ihr Film übernehme ein Narrativ, das noch nicht so präsent sei in der Öffentlichkeit, erklärt Jasmina Žbanić. "Es gibt die Leugner-Perspektive, die bis heute behauptet, dass es kein Massaker in Srebrenica gegeben hat. Das ist die Haltung des Bürgermeisters von Srebrenica oder des Staatschefs von Serbien. Dagegen steht das Narrativ der Opfer, das auch zu perfekt und zu makellos daherkommt und ignoriert, dass auch sie Fehler gemacht haben. Es gibt auch das niederländische Narrativ, das immer noch sehr präsent ist."

Schmerzhaft von der eigenen Erfahrung lösen

Sie wollte keine der bestehenden Perspektiven kopieren. "Mir war nur wichtig, eine weibliche Perspektive einzunehmen, weil sie sich fundamental vom männlich dominierten politischen Narrativ abhebt." Das sei auch ein schmerzhafter Prozess gewesen, weil sie sich von ihrer eigenen Erfahrung lösen musste, erzählt Žbanić. "Aber nur so konnte ich eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema garantieren."
Sie habe gewusst, dass sie die Gemüter in Bosnien erhitzen werde und es zwecklos sei, sich dagegen zu engagieren. Ihre Strategie sei eine andere gewesen, so Žbanić: Zur Premiere des Films in Sarajewo habe sie nur Menschen eingeladen, die nach dem Krieg geboren wurden. Dieses Publikum habe sich offen für diese Geschichte gezeigt. Der Film sei auf Video-on-Demand-Plattformen bei jüngeren Zuschauern sehr erfolgreich gewesen.
(abr)
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