Japanische Popmusik

Mit Hologramm und Piepsstimme den Westen erobern

Popstar "Hatsune Miku"
Eine Performance des Hologramms Hatsune Miku während der MTV Video Music Awards 2014 in Tokio. © picture alliance / dpa / Foto: Kiyoshi Ota
Von Katja Engelhardt · 12.01.2016
Der japanische Popstar Hatsune Miku hat Millionen von Platten verkauft und war mit Lady Gaga auf Tour. Nur ist Hatsune Miku kein Mensch, sondern ein Hologramm, deren Songs von einem Programm geschrieben werden. Jetzt drängt die japanische Musikindustrie damit auf den europäischen Markt.
Sophie meidet die große Öffentlichkeit. Interviews gibt sie vor allem schriftlich. Und wenn man sie doch mal sprechen hört, ist die Stimme extrem gepitcht, wie hier im Interview mit BBC Radio 1. Sophie auf die Frage, in welches Musikgenre sie sich einordnet:
"Das ist Dance-Pop-Music. Andere Musik existiert gar nicht. Und wer was anderes behauptet, der lügt."
Sophie liebt das Verwirrspiel. So gibt es etwa das Gerücht: Sophie ist in Wahrheit ein erwachsener Mann, heißt Sam und lebt in Schottland. Dabei hat sie doch so eine hohe kindliche Stimme. Sophies Erklärung: Sie hat eine Erkältung.
Weil man Sophie nie richtig sieht, bricht sie eine Regel des Pop: Normalerweise ist der Popstar eine Marke, die sich stets selbst bewirbt – von Madonna bis Justin Bieber. Und mit dieser Marke wird auch Merchandise verkauft: T-Shirts, Bettwäsche, oder ein Vertrag mit Coca Cola. Sophie dagegen macht sich und alles um sie herum zum Produkt. Sogar ihr Album heißt "Product". Werbeprodukt und Musik sind austauschbar. Das ist in Europa recht neu, in Asien aber völlig normal – vor allem in Japan. Die dortige Popmusik heißt J-Pop. Und im J-Pop singen, spielen und produzieren nicht nur reguläre Musiker, sondern auch Musikprodukte.
Das ist der Popstar Hatsune Miku. Sie hat Millionen von Platten verkauft und war mit Lady Gaga auf Tour. Das Besondere: Sie ist kein Mensch. Hatsune Miku ist ein Hologramm. Ihre Songs werden mit einem Programm von Yamaha geschrieben. Regelmäßig singen echte Popstars aus Fleisch und Blut einige Phrasen ein, etwa "oisch" oder "hi". Und aus diesem Baukasten kann jeder Fan selbst neue Hits basteln. Und so bewirbt der Hologramm-Star nicht etwa die Marke Yamaha – der Star ist die Marke.
Über 100 Mädchen treten mehrmals am Abend auf
Ein anderes erfolgreiches Konzept sind Idol-Groups wie AKB48. Diese Band besteht aus realen Menschen. Über 100 Mädchen treten mehrmals am Abend auf, in verschiedenen Formationen und im eigenen Theater. AKB48 haben einen TV-Serie, Merchandise, und die Fans stimmen online darüber ab, welches Bandmitglied besonders toll ist. Einzeln funktionieren die Mitglieder gar nicht. Sie existieren nur im Verbund. Und sie werden aussortiert, wenn sie ein bestimmtes Alter überschreiten. Jennifer Leitz war Teil der deutschen J-Pop-Szene und hat in Japan gelebt. Sie ahnt, weshalb Boy- und Girlgroups in Europa nie mehr als fünf Mitglieder haben:
"In der japanischen Gesellschaft ist es so, dass in dem sozialen Verhalten weniger auf die individuelle Persönlichkeit Wert gelegt wird als bei uns beispielsweise. Dadurch, dass dieses gruppenbetonte Leben so ein japanisches Ideal ist, erscheint es natürlich durchaus auch logisch, dass das auch in diesen Idol-Groups als etwas sehr Positives aufgenommen wird."
In Japan kann alles ein Star sein: Gruppen, fiktive Figuren oder einfach nur das Produkt. Während man sich in Amerika noch damit abmüht, das Product-Placement in Musikvideos noch halbwegs natürlich aussehen zu lassen, ist die Popmusik im Japan offen produktorientiert. Wir Europäer werden uns an dieses Prinzip wahrscheinlich bald gewöhnen. Sophie und ihr Label PC Music arbeiten daran. Dort heißt es schon längst: "Alles ist ein Produkt. Meine Musik genauso wie mein Merchandise. Greif ruhig zu!"
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