Japanische Handwerkskunst

Erstaunliches Spiel der Gegensätze

Die Ausstellung "Die Logik des Regens - Logical Rain" im Japanischen Palais in Dresden.
Die Ausstellung "Die Logik des Regens - Logical Rain" im Japanischen Palais in Dresden. © picture alliance / dpa / Arno Burgi
Von Simone Reber · 30.11.2014
Das Kunstgewerbemuseum Dresden zeigt die weltgrößte Sammlung japanischer Färbe-Schablonen für Kimonos. Kurator Wolfgang Scheppe hat die Herkunft und Herstellung der Katagami akribisch erforscht.
Sprühregen, Nieselregen, Landregen, Eisregen, Schneekristalle - in geduldiger Filigranarbeit verfeinerten die japanischen Katagamischneider ihr Gespür für Wasser. In den Mustern der Kimonos ließen sie Bindfäden regnen oder dicke Tropfen platzen. Während draußen grauer Winternebel auf der Elbe liegt, begleiten drinnen Regenklänge des italienischen Komponisten Renato Rinaldi die erhellende Schau.
Von hinten durchleuchtet hängen die transparenten Schablonen als zartes Band mitten im langen Saal des japanischen Palais. In den exquisiten Stichmustern bildet sich das Gesellschaftsgefüge der Edo-Zeit ab. Die Katagami entstanden im 17. und 18. Jahrhundert, als Japan sich von allen äußeren Einflüssen abzuschotten versuchte. Den Dresdner Generaldirektor Hartwig Fischer faszinieren die subtilen Unterscheidungsmerkmale in den Stoffdrucken.
"Die feinsten, die raffiniertesten, die am aufwendigsten herzustellenden Muster waren den Ranghöchsten vorbehalten. Und das führt zu einem erstaunlichen Spiel der Gegensätze zwischen höchst raffiniert und höchst aufwendig auf der einen Seite und höchst einfach auf der anderen. Denn ein Kimono, der mit Mustern bedruckt ist, wo die Einheiten kleiner sind als ein Millimeter, der sieht schon im Abstand von weniger als zwei Metern aus wie ein einheitlich gefärbter Stoff."
Minimalistisches Muster, aufwendige Fertigung
Samurai, Bauern, Handwerker und Kaufleute signalisierten mit den Mustern ihrer Kimonos ihren gesellschaftlichen Rang. Zur Logik des Regens gehört: Je minimalistischer das Muster des Gewandes, desto aufwendiger die Fertigung. Der Kurator Wolfgang Scheppe hat akribisch Herkunft und Herstellung der Katagami erforscht.
"Die feinsten Objekte, die wir hier in der Ausstellung haben, die haben etwa 600 Schnitte auf zwei Quadratzentimeter. Das Interessante ist, dass diese meditative Technik des Schneidens es nicht erlaubt hat, dass man länger als eine viertel Stunde an einem Muster schneidet."
Die Katagami-Meister stellten zunächst das Papier aus der inneren Rinde des Maulbeerbaums her, verleimten mehrere Blätter mit Persimonensaft, ließen dann die Schichten manchmal acht Jahre lang an der Luft trocknen. Dabei entstanden gehärtete Tafeln aus Papier, vom Klebstoff der Kakifrüchte gebräunt.
In diese etwa DIN A2 großen Bögen schnitten die Handwerker ihre Muster. Um die perforierten Schablonen zu stabilisieren, zogen Frauen zwischen den Papierschichten ein fast unsichtbares Gitter aus einzelnen Fäden einer Seidenraupe ein.
"Der Anblick dieser Seidenstrukturen, der gehört zum Verblüffendsten überhaupt in der Ausstellung. Weil man nicht mehr nachvollziehen kann, wie es geschehen ist und die letzte Dame, die zu dieser Technik imstande war, ist in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts gestorben. Seitdem weiß man auch nicht mehr, wie das überhaupt funktioniert hat."
Faszination für japanische Ästhetik
Nach 1853, nachdem die Amerikaner die Öffnung Japans erzwungen hatten und die Männer begannen, Anzüge zu tragen, verloren die Kimonomuster ihre Bedeutung. Zugleich wuchs in Europa und den Vereinigten Staaten die Faszination für japanische Ästhetik. Künstler wie Henri Matisse, Vincent van Gogh oder Claude Monet ließen sich von den abstrakten Formen inspirieren, der Jugendstil übernahm Katagami-Muster.
Das Dresdner Kunstgewerbemuseum erwarb seine Sammlung 1889 von dem Berliner Kunsthändler Hermann Pächter, bei dem auch Max Liebermann schon ein Bild gegen sechs Katagami eingetauscht hatte. Mit dem ungewöhnlich umfangreichen Ankauf sollte die sächsische Textilindustrie für den internationalen Wettbewerb gerüstet werden, meint Generaldirektor Hartwig Fischer:
"1889 kamen 16.000 Färbeschablonen, die in Japan keinen Zweck mehr hatten, durch diese Verbindung nach Dresden, wurden für einen sehr hohen Betrag erworben, 2400 Mark. Die höchste Summe, die innerhalb eines Jahrzehntes für irgendein Werk für das Kunstgewerbemuseum ausgegeben wurde."
Doch mit dem Ersten Weltkrieg erlosch das deutsche Interesse an Japan. 125 Jahre blieben die Katagami in ihren Kartons. "Regen" steht handschriftlich auf einem der historischen Archivkästen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Reisanbau und Insellage erklären die existentielle Bedeutung von Monsun und Taifun.
So wird die Sensibilität für Tropfen und Schlieren verständlich und auch für die Pflaumenblüte. In Japan beginnt sie mit der Regenzeit. Das Katagami verflüssigt die blütenschweren Zweige zu perlenden Schnüren. Selten war Regen so schön wie in Dresden.