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Angola
Chaos und Kreativität in Luanda

Nach 500 Jahren portugiesischer Fremdherrschaft und Jahrzehnten des Bürgerkriegs herrscht in Angola seit 2002 endlich Frieden. Das einst verschlafene Kolonialstädtchen Luanda, die Hauptstadt, ist inzwischen eine der Boomstädte Afrikas.

Von Vanja Budde | 24.08.2014
    Uferstraße mit Skyline, aufgenommen am 26.03.2014 in Luanda in Angola. Zahlreiche Hochhäuser wachsen hinter der neugebauten Uferpromenade, der Bahia de Luanda in die Höhe.
    Uferstraße von Luanda (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Flughafen Schiphol in Amsterdam: Am Gate E 7 haben sich zum Nachtflug nach Luanda sinistere Gestalten versammelt: Fast alles Männer, tätowierte, finster blickende, muskulöse Typen. Der Spontaneindruck: Blutdiamentenschmuggler oder als Söldner in deren Auftrag unterwegs. Einige wenige Frauen, sehr blond, vollbusig und aufgedonnert, einzelne NGO-Mitarbeiterinnen im praktischen, schmucklosen Entwicklungshilfelook.
    Der Airbus nach Luanda ist mal wieder rappelvoll: Angola baut seine Infrastruktur und seine Hauptstadt neu, exportiert Öl und Diamanten, viele europäische Firmen wollen ein Stück vom Kuchen abhaben.
    Beim Landeanflug bietet der Hafen von Luanda ein verblüffendes Bild: Dutzende Containerschiffe liegen vor Anker - und warten. Angola ist eines der korruptesten Länder der Welt. Es kann Wochen dauern, bis der Hafenmeister ausreichend bestochen ist, um die Ladung löschen zu lassen. Viele europäische Reeder laufen Luanda darum nicht mehr an: zu teuer.
    Nach der Passkontrolle einer jungen Beamtin mit glatt gezogenem Haar und feschem Käppi versammeln sich die tätowierten Muskelmänner aus dem Flieger um Angestellte von Ölfirmen, die sie zu den Plattformen fliegen werden: Angola hat mit zwei Millionen Barrel täglich Nigeria als größten Ölförderer Afrikas abgelöst. Die kapitalintensive Offshore-Förderung besorgen die üblichen großen Konzerne aus Europa und den USA.
    Draußen empfängt Luanda die Reisenden mit tropisch-warmer Luft, feucht, aber nicht unerträglich schwül. Es ist sechs Uhr morgens und 26 Grad warm. Luandas berüchtigter verrückter Verkehr kommt langsam ins Rollen.
    Chaos auf Luandas Straßen
    Auf dem Weg zur "Pension Soleme", ein blütenumrankter Altbau mit Innenhof im Stadtzentrum, geht es nur langsam voran. Rechts sieht man teils ganz schicke, teils bereits etwas schäbige neue Wolkenkratzer, links Wellblechhütten. Willkommen in Luanda, der Stadt der Kontraste und dem Traum eines jeden Bauunternehmers.
    Hunderte Hochhäuser sind in den zwölf Jahren hochgezogen worden, die seit dem Friedensschluss 2002 vergangenen sind. Die meisten von Baufirmen aus China. Peking erhält dafür im Austausch Rohöl. Fünf bis acht Millionen Menschen leben in Luanda. Wie viele genau, das weiß niemand. Alles ist total überlastet: Straßen, Wasserleitungen, das Stromnetz.
    "Lua, Mond, nennen wir unsere Stadt manchmal zärtlich. Ich finde, das passt. Luanda und der Mond sind gleich trocken, gleich dürr, gleich trostlos und ersticken in Staub. Und doch erscheint uns Luanda genau wie der Mond aus der Ferne schön, strahlend und anziehend. Und ihr Licht besitzt dieselbe, rätselhafte Macht, Menschen zu Wölfen zu machen."
    Schreibt José Eduardo Agualusa in seinem jüngsten auf Deutsch erschienenen Roman "Barroco Tropical". Angolas bekanntester Schriftsteller kommt von seiner Heimatstadt nicht los, obwohl er seit Jahren in Lissabon lebt.
    "Luanda hat eine ganz besondere Energie, eine Kraft, eine Stärke. Das ist vor allem für Schriftsteller interessant, weil Luanda auch eine Stadt voller Geschichten ist. Hier kommen Abenteurer aus der ganzen Welt her, aber auch Leute vom Land mit ihrer eigenen Mythologie. Es reicht, auf die Straße zu gehen und mit den Leuten zu sprechen, um unglaubliche Geschichten zu finden. Das ist für einen Schriftsteller interessant. Gleichzeitig ist es eine sehr, sehr, sehr aggressive Stadt. Eine Stadt mit viel Lärm. Zu viel Lärm, zu viele Menschen, das alles macht einen fertig."
    Dem Moloch nähert man sich am besten schrittweise. Also erst einmal auf zum Embarcadero, die Schiffsanlegestelle im Süden Luandas. Durch Verkehr, der sich mittlerweile auf drei Spuren verteilt, obwohl eigentlich nur zwei vorhanden sind. Überall junge Leute, hoch schwangere Frauen tragen Plastikwannen voller Mangos und Ananas auf dem Kopf, hoffen auf hungrige Autofahrer, die sich die 500 Kwanzas, umgerechnet vier Euro, für eine Ananas leisten können. Fliegende Händler preisen auf der Mittelspur Telefonkarten, Oberhemden, Sonnenbrillen und CDs an. Am Straßenrand viel Müll, aber auch Straßenkehrer in neongelben Sicherheitswesten.
    Am Embarcadero herrscht nur scheinbar Chaos: Teenager winken die Autos auf ein staubiges Schlaglochfeld, das als Parkplatz fungiert. Schreiende Bootsführer bieten ihren Service feil: die Überfahrt zur Insel Mussulo. Am Boden sitzen Händler vor Pyramiden aus zerbeulten Getränkedosen und Stapeln von Obst. Es ist Mittag und über 30 Grad heiß.
    Per Motorboot geht es in rasender Fahrt auf die Luanda vorgelagerte Halbinsel Mussulo. Vom Wasser aus wird deutlich, wie malerisch Angolas Hauptstadt gelegen ist, an einer sanft geschwungenen Bucht des Südatlantik. Eine halbe Stunde dauert die Überfahrt, vorbei an einer Insel, die Isabel gehört, der Tochter des seit 35 Jahren dauerregierenden Präsidenten dos Santos, die erste Milliardärin Afrikas.
    Teure Häuser am Strand von Mussulo
    Mussulo ist ein einziger Strand, 30 Kilometer lang und nur ein paar hundert Meter breit. Früher gab es nur blendend weißen Sand auf Mussulo, heute reiht sich Strandhaus an Strandhaus, darunter die prächtigen Villen der Nomenklatura, die der herrschenden Partei MPLA nahe steht. Dutzende Jachten dümpeln an Anlegern. Weil die Überfahrt mit dem Motorboot umgerechnet 60 Euro kostet, bleiben die Wohlhabenden auf der Insel unter sich – weit weg vom ewigen Lärm in Luanda, dem Verkehrschaos und der Luftverschmutzung.
    Der Atlantik plätschert in sanften Wellen ans Ufer, Palmwedel rascheln im samtweichen Wind, Ausflügler fahren mit ihren Jetskis herum oder sitzen mit einem Gintonic in der Hand bis zum Hals im badewannenwarmen Wasser der Lagune. Am Horizont flimmert die neue Skyline von Luanda in der heißen Luft, überragt von Dutzenden Baukränen.
    Vor den Terrassen der Strandhäuser stehen riesige Boxen, denn Angolaner lieben laute Musikbeschallung in allen Lebenslagen. Davon kann der junge Schriftsteller und Filmemacher Ondjaki ein Lied singen.
    "Das Interessante an Luanda sind die Menschen. Sie sind immer gut gelaunt. Sie haben ein Bedürfnis, zu tanzen und zu singen. Sie brauchen Lärm. Die Leute von Luanda mögen, brauchen und fördern den Lärm. In jeder Hinsicht: Lautes Reden, Musik, Autos, laute Mopeds. Sie brauchen Krach, keine Stille. Du kannst Stille in Luanda haben von drei Uhr bis halb sechs morgens. Danach: Vergiss es. Das ist Luanda."
    Vor allem die Jugend feiert den Frieden, sagt Ondjaki. Das Ende des letzten Bürgerkrieges ist erst zwölf Jahre her, betont der 34-Jährige. Seit der Unabhängigkeit von 1975 hat es nie Frieden gegeben in Angola. Bis jetzt.
    "Ich denke, die Leute feiern immer noch den Frieden. Es ist eine neue Erfahrung. Die Menschen feiern den Aufbruch. Sie bauen das Land wieder auf, neue Brücken, neue Straßen. Alles neu. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es sehr einfach ist, eine Straße zu bauen. Schwieriger ist es, moralische Werte wieder aufzurichten, Bildung und Toleranz, soziale, gesellschaftliche und politische Toleranz."
    Rapper aus den Armenvierteln
    Wenn die Reichen auf Mussulo abends Strand-Partys feiern, heuern sie dafür Kuduro-Rapper wie Sacerdot als MCs an. Der Musiker wohnt im Musseque Sambizenga am Westrand Luandas. Musseques heißen hier die Armenviertel, die die Innenstadt umwuchern. Sacerdot teilt sich ein kleines, mit Wellblech gedecktes Haus mit seiner Mutter, vier Schwestern, zwei Brüdern und vielen Kleinkindern. Allein im Musseque Sambizenga leben 250.000 Menschen.
    Die Straßen in Sambizenga sind von Schlaglöchern übersäte Schlammpisten, doch die Menschen machen freundlich Platz. Stromleitungen baumeln abenteuerlich an Holzpfählen, aber immerhin gibt es Elektrizität. So kann Sacerdot in einem improvisierten kleinen Tonstudio seinen kämpferischen Kuduro aufnehmen: Angolas Techno, der zur Zeit die Welt erobert.
    "Ich glaube, Kuduro ist in einem sehr wichtigen Moment für das angolanische Volk und vor allem für die Leute aus den Armenvierteln aufgetaucht. Viele, die heute von Kuduro leben, kennen ihre Herkunft nicht, sie könnten nicht vom Öl leben, aber mit Kuduro erreichen sie etwas, haben Erfolg, können reisen, sich ein gutes Auto kaufen, können sich ein Haus leisten und viele Dinge erreichen, von denen sie früher nicht geträumt hätten. Das sind Leute, die nichts wissen vom Staatshaushalt oder vom Gewinn aus der Ölförderung, deswegen ist für viele der Kuduro das Öl der Slums."
    Sacerdot will nicht mit den großen Labels zusammen arbeiten und als Rapper berühmt werden, weil die dann seine kritischen Texte zensieren würden, sagt er. Sacerdot thematisiert in seinen Kuduro-Songs die sozialen Missstände im Land, die extreme Ungleichheit zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen, die mit ein paar Dollar am Tag auskommen müssen und sich keine Bildung für ihre Kinder leisten können. Das ist mutig, denn Meinungsfreiheit wird in Angola nicht gerade großgeschrieben.
    "Viele junge Leute sind arbeitslos, viele Kinder gehen nicht zur Schule.
    Das ist ein schwer zu lösendes Problem. Wir brauchen wie jede Gesellschaft Kulturräume, in denen die Jungen ihre Kreativität ausleben können, Ausbildungszentren, wo sie etwas lernen und morgen davon leben können. Es gibt Probleme, aber die sind auch in vielen anderen Ländern verbreitet. Wir dürfen nicht immer nur auf die Schwierigkeiten starren, sondern sollten lieber nach Alternativen suchen, um Lösungen zu finden. Klar kann man kritisieren, aber wir sollten auch nicht immer nur meckern und meckern, sondern lieber handeln und etwas aufbauen."
    Im Hof von Sacerdots Nachbarn steht ein blau-weißes Candonguero, ein klappriger alter Kleinbus, aus den zerschlissenen Sitzen quillt Füllung: Mit Zehntausenden dieser dieselstinkenden Sammeltaxis fahren die Bewohner der Musseques jeden Morgen in die Stadt, um ein paar Kwanzas zu verdienen, die angolanische Währung, die an den US-Dollar gekoppelt ist. Öffentlichen Nahverkehr gibt es nicht. Wegen der vielen Candongueros, die die Straßen verstopfen, ist der Verkehr in Luanda solch eine Katastrophe: Wenn man Pech hat, braucht man für fünf Kilometer zwei Stunden.
    Also lieber zu Fuß nach Downtown, zum Atelier des weltberühmten angolanischen Künstlers Antonio Ole. In der ehemaligen kolonialen Altstadt, der Baixa, ziehen Trupps chinesischer Bauarbeiter an allen Ecken und Enden neue Bürotürme hoch. Deren Glasfassaden glitzern in der Tropensonne. Doch wenn der Strom mal wieder ausfällt, müssen die Bewohner der sündhaft teuren Appartements die Treppen hochlaufen. Beladen mit Wasserkanistern, denn die Leitungen versiegen ebenso oft, wie das Internet streikt.
    Vor dem Hochhaus von Sonangol, der staatlichen Erdölgesellschaft, die unablässig Millionen Petrodollar ins Land pumpt, ist der Bürgersteig schmal und zugeparkt. Man muss gut aufpassen, denn viele Gullideckel fehlen. Ein Gewitter braut sich über dem Meer zusammen. Kichernde Kinder in den weißen Kitteln der staatlichen Schulen sind auf dem Weg zum Unterricht.
    Hochhäuser verdrängen die alten Kolonialbauten
    Hier und da ducken sich die letzten Altbauten aus der Kolonialzeit schüchtern in den Schatten der Skyscraper. 1576 haben portugiesische Seefahrer Luanda gegründet, sie ist eine der ältesten Städte an Afrikas Westküste. Lange war Luanda ein verschlafenes Kolonialstädtchen. Als Angola 1975 unabhängig wurde, lebten hier etwa eine halbe Million Einwohner. Doch der Jahrzehnte währende Bürgerkrieg - zwischen der Unita und der linken Volksbewegung zur Befreiung Angolas, MPLA - trieb Millionen Menschen auf der Flucht vor Massakern und Landminen in die relative Sicherheit der Hauptstadt.
    "Es ist eine Zeit des Übergangs."
    Sagt der 62 Jahre alte Maler, Fotograf und Filmemacher Antonio Ole.
    "Die Regierung bemüht sich, aber es geht sehr langsam voran, es wird Zeit brauchen. Aber ich blicke optimistisch in die Zukunft. Ich glaube nicht, dass die Probleme nächste Woche gelöst sind, wir müssen Geduld haben Aber es passiert etwas. Also lass' uns schauen, wie weit wir damit kommen, ein neues Angola aufzubauen. Dafür arbeite ich."
    Das Gewitter ist da, wie so oft fällt der Strom aus, Tausende Dieselgeneratoren springen an und erhöhen den Lärmpegel noch. Der Regen rauscht - mit einer Gewalt, dass man den Einsturz des altehrwürdigen "Teatro Elinga" fürchtet, in dem Antonio Ole sein Atelier hat. Es herrscht gemütliches Chaos: Bilder lehnen an der Wand, Skizzen stapeln sich auf einem alten Küchentisch, überall Gefäße mit Pinseln. Ein ganz schönes Durcheinander, meint der Künstler leicht verlegen. Antonio Ole ärgert sich, dass der Rest der Welt ein so einseitiges Bild von Afrika malt.
    "Die europäischen Medien berichten lieben über das Elend, als über die positive Dinge, die hier passieren. Und so ist die westliche Öffentlichkeit nicht besonders gut informiert. Wenn es hoch kommt, wissen sie, dass in Angola Krieg war und dass es hier Öl gibt und Diamanten. Wir brauchen unbedingt gegenseitigen Austausch, um uns besser zu verstehen."
    Das Kulturzentrum Elinga ist so ein Ort des Austausches: Es beherbergt in einem Altbau mit bröckelnder Fassade auch einen Musikclub, eine Theaterbühne und Ausstellungsräume. An die 200 Theatergruppen soll es in Luanda geben. Eine Gesellschaft im Umbruch fördert die Kreativität. Dementsprechend viel zu tun hat die Leiterin des 2009 gegründeten Goethe-Institutes in Luanda, Christiane Schulte.
    "Gerade in dieser Aufbauphase ist es absolut notwendig, dass die Kultur mitwächst. Es kann keinen politischen, sozialen Aufbau eines Landes geben, ohne gleichzeitig auch kulturell zu arbeiten. Da würde irgendetwas fehlen. Es würde auch nicht funktionieren, eine Zivilgesellschaft aufzubauen ohne Kultur. Das ist ein absolut integraler Bestandteil dessen und die Kulturszene hier vor Ort ist auch dementsprechend aktiv."
    Zwar fehlt es noch an kultureller Infrastruktur, an Galerien und Museen.
    "Aber sie haben sehr viele junge Künstler, die versuchen, Kultur in das Leben, in die Stadt zu bringen, obwohl es extrem schwierig ist hier, weil es kaum öffentlichen Raum, kaum Ausstellungsräume gibt. Weil die Stadt eben extrem teuer ist. Aber die Kulturszene beteiligt sich meiner Ansicht nach absolut aktiv am Wiederaufbau des Landes."
    Weil es in der Boomtown Luanda kein Kino gibt, nur eines in einem Einkaufszentrum außerhalb, zeigt das Goethe-Institut regelmäßig Arthouse- und Dokumentarfilme: "Cinema no Telhado" genannt - Kino auf dem Dach. Denn die Filme laufen unter freiem Himmel, auf dem Dach eines Universitätsgebäudes unweit des "Teatro Elinga".
    Die Aussicht auf die glitzernde Scyline Luandas macht dem Film Konkurrenz. Die ewigen Staus haben sich aufgelöst, die samtige Dunkelheit der afrikanischen Nacht verbirgt gnädig alle Schlaglöcher. In den schicken Strandbars auf der Ilha, dem Stadtstrand Luandas, wird gefeiert.
    Arm und reich klaffen weit auseinander
    Die schöne Aussicht hat ihren Preis: Die Kolonialbauten der Altstadt fallen dem hemmungslosen Bauboom zum Opfer. Die ausländischen Ölfirmen haben den Wohnungsmarkt überschwemmt und die Mieten in schwindelerregende Höhen getrieben. Auch in Hotels und Restaurants explodierten die Preise. Angolas Hauptstadt ist mittlerweile eine der teuersten Städte der Welt.
    Gleichzeitig leben in den Musseques Millionen Menschen ohne Elektrizität, ohne Kanalisation, ohne sauberes Wasser, mit einer Lebenserwartung von durchschnittlich rund 40 Jahren. Es herrscht nackte Armut, während sich in Luandas Hafen die Container mit Importgütern für diejenigen stapeln, die sie sich leisten können. Eine Ungerechtigkeit, die wütend macht. José Eduardo Agualusa erhebt in seinem Roman "Barroco Tropical" eine zornige Anklage:
    "Wir sind unvorstellbar reich, produzieren die Hälfte aller weltweit verkauften Diamanten. Wir haben Gold, Kupfer, seltene Mineralien, Wälder und unendlich viel Wasser. Und wir sterben an Hunger, Malaria, Cholera, Diarrhö, Schlafkrankheit, die einen an aus der Zukunft stammenden Viren und die anderen an einer Vergangenheit, die keinen Namen kennt.
    Auf eine Mauer am Flughafen von Luanda hat einmal einer gepinselt: Willkommen auf dem Mond. Treten Sie ein und vergessen Sie Ihren gesunden Menschenverstand."
    In "Barroco Tropical" schildert Agualusa ein Luanda der Zukunft. Sein schillerndes Personal haust im höchsten Wohnturm Afrikas: Einem gigantischen Termitenbau, in dessen Treppenhäusern nachts der mächtige Rhythmus des Kuduro dröhnt.
    "Das ganze Buch ist eine Satire. Die Idee dieses Gebäudes ist eine Satire auf die verrückte Bauwut in Luanda. Gleichzeitig ist es eine Parabel für die angolanische Stadt, wo die niedrigen Gebäude von den ärmeren Menschen bewohnt werden und die höheren von den Reicheren. Ich denke, ich liebe und hasse Luanda gleichzeitig – und das geht den meisten Leuten so. Alle, die ich kenne, haben diese Reaktion. Die Leute lieben die Stadt, weil es eine faszinierende Stadt ist, aber es ist unmöglich, sie nicht gleichzeitig zu hassen."