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Baden-Württemberg
Neue Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs?

Junge Wissenschaftler haben oft aufgrund von Zeitverträgen keine Chance ihre Karriere zu planen. Das will die Bundesregierung mit dem Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz ändern. An der Universität Ulm trafen sich Doktoranden, Post-Docs und Juniorprofessoren mit der baden-württembergischen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, um sich über neue Perspektiven für Nachwuchsforscher auszutauschen.

Von Thomas Wagner | 29.10.2015
    Bücherstapel
    Nachwuchswissenschaftler sehen sich mit einer Fülle von Hindernissen konfrontiert - wird sich das durch das Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz ändern? (imago stock&people)
    "Mehrfach betroffen: Innerhalb von sechs Jahren sechs Arbeitsverträge. Das ist das Schlimmste, was einem passieren kann, gerade wenn man in der wissenschaftlichen Forschung ist: Wenn man keine Planungssicherheit hat, fängt man keine Langzeitprojekte mehr an, jeder nicht als hoch motivierter Doktorand oder Wissenschaftler. Das bremst aus."
    Carmen Dorneburg arbeitet als sogenannte Post-Doc an der Uni-Klinik Ulm, hat promoviert, möchte gerne ihre Karriere an der Uni fortsetzen, vielleicht irgendwann einmal Professorin werden. Mit ihrem Schicksal ist sie kein Einzelfall: Ein befristeter Arbeitsvertrag folgt auf den nächsten; die Aussichten auf eine feste Stelle sind vage. Ein neues Gesetz, gerade vom Bundeskabinett verabschiedet, soll dem in Zukunft einen Riegel vorschieben:
    "Das heißt Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz. Und deshalb sind wir hier."
    Paul Meier ist Mitglied im Studierendenparlament der Universität Ulm und einer von vielen Hundert Zuhörern gestern Abend in einem großen, voll besetzten Hörsaal. Der Anlass: Eine Aussprache über, wie es hieß, "neue Perspektiven für Nachwuchsforscher". Ob sich aus dem neuen Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz möglicherweise neue, bessere Perspektiven für die Nachwuchsforscher ergeben? Studierendenvertreter Paul Meier ist hin- und hergerissen.
    "Besser ist geworden: Die Befristung der Arbeitsverträge wurde angeglichen an die Qualifikation, die man erreichen will. Und was schlechter geworden ist: Die Beschäftigung von studentischen Hilfskräften ist jetzt auf vier Jahre festgelegt."
    Kritik an Details
    Noch ist das neue Gesetz nicht beschlossen, sondern erst als Entwurf vom Bundeskabinett verabschiedet - seit gestern. Nun steht die parlamentarische Beratung an. Doch so sehr die Zielsetzung unstrittig ist, Jung-Wissenschaftlern verlässlichere Perspektiven zu bieten, umso heftiger entzündet sich die Kritik an Details. Der baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer von den Grünen stieß dabei gestern abend in Ulm ein Punkt besonders auf:
    "Es wird der gesamte nicht-wissenschaftliche Dienst aus diesem Wissenschafts-Zeitvertragsgesetz herausgenommen. Das wieder bedeutet: Nach zwei Jahren folgt eine Dauerstelle. Wenn aber keine Dauerstelle vorhanden ist, bedeutet das schlicht und ergreifend: Die Leute sind nach zwei Jahren draußen - oder auf einer Dauerstelle. Die gibt es aber ganz selten."
    Situation von Post-Docs
    Doch neben dem Gesetzesentwurf gibt es, das wurde gestern abend in Ulm während der Diskussion deutlich, noch eine Fülle weiterer Hindernisse, mit denen sich Nachwuchswissenschaftler konfrontiert sehen. Beispiel. Die Situation von Post-Docs, die häufig nur für eine Projektdauer von drei Jahren beschäftigt werden. Birte Climm arbeitet als Junior-Professorin am Institut für künstliche Intelligenz in Ulm und hat ihre Post-Doc-Zeit gerade hinter sich gebracht:
    "Ein Jahr braucht man, um da richtig reinzukommen. Ein Jahr arbeitet man. Und ein Jahr muss man sich nur noch Projektanträge schreiben, sich bewerben, um die eigene Zukunft ein bisschen zu sichern. Das ist eigentlich keine effektive Nutzung der Zeit."
    Daneben taucht, wenn es um die Finanzierung eines Nachwuchswissenschaftlers geht, ein Problem immer wieder auf:
    "Ich bin Doktorand in der Mathematik. Ein Großteil meines Geldes kommt über Stipendien. Und da bin ich nicht rentenversichert, da bin ich nicht krankenversichert. Und das müsste ich alles daraus zahlen."
    Mehr noch: Wer als Nachwuchs-Wissenschaftler über ein Stipendium finanziert wird, hat noch weitere Nachteile in Kauf zu nehmen:
    "Ich bekomme kein Elterngeld. Und ich bekomme kein Mutterschaftsgeld. Das finde ich auch ziemlich problematisch. Und das ist ein ziemlicher Grund, keine Familie zu gründen, wenn ich auf einem Stipendium sitze."
    Bezahlung der Junior-Professoren verbessert
    Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin hört aufmerksam zu, macht sich Notizen, verspricht, nach Lösungswegen zu suchen. Im Übrigen aber, sagt Theresia Beur, lege gerade die Bildungspolitik in Baden-Württemberg stärker denn je Wert auf die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern. So sei das neue Hochschulfinanzierungsabkommen, das den baden-württembergischen Universitäten jährlich eine Steigerung ihrer Landeszuschüsse um drei Prozent zusichert, mit der Verpflichtung für die Hochschulen verbunden, befristete Stellen in unbefristete umzuwandeln. Außerdem wurde per Gesetz das Mindestgehalt für Junior-Professoren deutlich angehoben und die Aussichten auf eine reguläre Anschluss-Professur deutlich verbessert. Darüber will sich Baden-Württemberg schon ab morgen, bei der gemeinsamen Konferenz aller Wissenschaftsminister aus Bund und Ländern, für eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative des Bundes über das Jahr 2017 hinaus einsetzen. Theresia Bauer:
    "Es ist wichtig, dass in der Exzellenzinitiative viel, viel, viel Ressourcen zur Verstärkung der Forschungstätigkeit der Universitäten gekommen sind. Und in diesem Zusammenhang wurden viele Stipendien und Stellen ausgebracht für Leute, die promovieren; auch für die Post-Docs."
    Und noch ein Projekt ist der baden-württembergische Ministerin beim Treffen mit ihren Amtskollegen in Berlin sehr wichtig: ein Pakt zur Nachwuchsförderung in der Wissenschaft - so schnell wie möglich.
    "Ich will vor allem, dass dieses Programm sehr schnell aufgelegt wird. Am besten nächstes Jahr. Denn wir haben viele Leute im System, die nicht wissen, wie ihre Perspektive aussieht. Das ist das Allerwichtigste: Das Programm muss nächstes Jahr beginnen, eine Gesamtperspektive, wie man den jungen Menschen eine Arbeitsperspektive geben kann."