Jansen: Bergman hat auch Hollywood beeinflusst

Moderation: Dieter Kassel · 30.07.2007
Nach Ansicht des Filmkritikers Peter W. Jansen war der verstorbene Regisseur Ingmar Bergman "führend in der Art, Filme zu drehen und mit Bildern umzugehen". Fast jeder Film des Schweden sei ein typischer Bergman-Film. Sein Einfluss reiche bis Hollywood, sagte Jansen. Bestimmte Filme Woody Allens seien ohne Bergman nicht denkbar.
Kassel: Am Telefon begrüße ich jetzt den Filmkritiker und Bergman-Kenner Peter W. Jansen, schönen guten Tag, Herr Jansen.

Peter W. Jansen: Ja, guten Tag.

Kassel: Wir haben es ja gerade gehört, wie überrascht Bergman selber einst gewesen ist, als er merkte, dass die Zuschauer im Kinosaal bei einem seiner Filme lachten. Ist das also tatsächlich nur ein Vorurteil, wenn es immer wieder heißt, das sind depressive Werke, da hat man schlechte Laune, wenn man sie gesehen hat?

Jansen: Nein, nein, also, dieser Film "Das Lächeln einer Sommernacht" enthält durchaus Passagen, die sehr lustig sind, obwohl es da also auch um Fragen nach Selbstmord und Beziehungskrisen und so weiter geht. Aber es ist durchaus möglich, dass man in diesem Film lacht, das ist nicht ungewöhnlich.

Kassel: Nun hört man natürlich jetzt nach dem Tod, morgen früh wird das in den Zeitungen stehen, vor allen Dingen zwei Filmtitel als die erfolgreichsten Werke von Ingmar Bergman, "Das Schweigen" und "Szenen einer Ehe". Das ist sicherlich - was die Zuschauerzahlen angeht - nicht ganz falsch, aber sind das auch die typischen Bergman-Filme?

Jansen: Also, ich würde sagen, ja. Es gibt kaum einen Film, den man nicht als typischen Bergman-Film bezeichnen kann. Er hat ja sehr eigenwillige und eigenständige Filme gemacht und hat damit also im Grunde genommen das Kino der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt. Und ich würde auch sagen, also, für mich ist einer seiner besten Filme in der Tat also "Das Schweigen", ein Film, der Mitte oder Anfang der 60er Jahre wie eine Bombe einschlug, weil es also ein Film der rücksichtslosen Darstellung auch von erotischen Zwängen und so weiter ging, aber es ging im Grunde genommen in "Das Schweigen", das sagt auch der Titel, geht es um die babylonische Sprachverwirrung, geht es über das Nicht-miteinander-kommunizieren-Können, die Schwierigkeit, miteinander umzugehen. Das ist also ein Hauptthema von Bergman und das kommt auch immer wieder in seinen anderen Filmen vor, also, in "Fanny und Alexander" oder "Szenen einer Ehe", in diesen großen Mehrteilern, die im Fernsehen einen großen Erfolg hatten in aller Welt.

Kassel: Wenn wir gerade "Das Schweigen" noch mal nehmen, was Sie gerade gesagt haben, die babylonische Sprachverwirrung, die wirklichen Themen des Films - hat man dann aber nicht ihm und seinen Filmen manchmal in der öffentlichen Diskussion, ich meine jetzt nicht von Kritikern, sondern der allgemeinen öffentlichen, auch Unrecht getan? Ich meine, "Das Schweigen" war damals ein Skandalfilm wegen der Nacktszenen und wegen des Hauptthemas, da geht es um eine Nymphomanin, und deshalb wurde natürlich der Film damals auch von vielen Leuten gesehen, die dann wahrscheinlich auch sehen wollten, wie schlimm es nun wirklich ist.

Jansen: Ja, natürlich gehörte das dazu, aber, wissen Sie, es war dann die katholische Kirche, die "Das Schweigen" gerettet hat, die haben sich also, katholische Kritiker haben sich für "Das Schweigen" anders eingesetzt als protestantische, und denen ist zu verdanken, dass dieser Film nicht verboten worden ist in Deutschland und auch nicht gekürzt werden musste. Also, das war eine Aufregung Mitte der 60er Jahre, man kann sich das gar nicht mehr vorstellen, wenn man an '67, '68, '69 denkt, oder an die 70er Jahre, was da wenige Jahre vorher noch möglich war an Zensurverlangen 1963 in Deutschland. Das war also wirklich eine Hetz.

Kassel: Gehen wir doch noch weiter zurück. Sie haben ja vorhin schon gesagt, "Das Schweigen" und auch "Szenen einer Ehe" sind für Sie durchaus typische Filme, das sind Filme aus den Jahren''62 respektive '73. Bergman hat angefangen Filme zu machen noch in den 40ern. Hatte er von Anfang an diese Wirkung, hat er von Anfang an seinen Stil gefunden?

Jansen: Nein, also er war schon mal in Cannes gewesen 1947 mit dem Film "Schiff nach Indialand" und wurde nicht beachtet. Dann hat er noch Filme gemacht "Gefängnis" und "Durst", und dann kam aber schon "Ein Sommer lang" und dann 1952 "Die Zeit mit Monika", der also schon hochinteressant war. Dann kam "Abend der Gaukler" 1953, der also auch Cineasten sehr interessierte, und dann "Das Lächeln einer Sommernacht" Mitte der 50er Jahre, und das war der endgültige Durchbruch, denn mit diesem Film, der einen weltweiten Erfolg hatte, konnte Bergman also sich absichern als Regisseur, er konnte von da an fast alles drehen, was er drehen wollte, weil er eben Kredit hatte als erfolgreicher Regisseur.

Kassel: Nun ist Bergman ein schwedischer, ein sehr europäischer Regisseur. Auf der anderen Seite war immer wieder zu hören, er habe auch großen Einfluss gehabt, zusammen mit wenigen anderen europäischen Regisseuren, auf Hollywood. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ist das auch nur ein Mythos oder war das mal wahr?

Jansen: Nein, nein, das ist kein Mythos. Es gibt bestimmte Filme von Woody Allen, die ohne Ingmar Bergman nicht denkbar sind, Woody Allen ist ein großer Bergman-Fan.

Kassel: Nun ist Woody Allen nicht unbedingt Hollywood, da denkt man sofort an New York.

Jansen: Ja, ja, natürlich, da denkt man an New York. Aber Hollywood hat also, na ja, sagen wir mal, also, Erzählweisen von Bergman… das ist immer sehr schwer nachzuweisen, was also von wem kommt, gerade in der Filmgeschichte, also, da geht alles so nebeneinander her und durcheinander. In den Formulierungen und in der Art, Filme zu drehen und mit Bildern zu erzählen, da ist also Bergmann also immer sehr führend gewesen, und es gibt bestimmt genügend Hollywoodregisseure, die Bergman-Filme gesehen haben. Ich weiß das also zum Beispiel von Spielberg, der sich alle Bergman-Filme anguckt.

Kassel: Reden wir über die letzten 25 Jahre bitte, Herr Jansen, Anfang der 80er Jahre mit "Fanny und Alexander" in der Kino- wie in der Fernsehversion noch ein Riesenerfolg, dann, das darf man nicht vergessen, das hat er auch immer gemacht, Bergman, sehr viel Theater, sehr viel kleinere Produktionen auch, aber trotzdem: Waren so die letzten 20 Jahre eine Zeit, wo die Welt, gerade die Kinowelt, nicht mehr ganz zu Bergman passte oder er nicht mehr ganz zu ihr?

Jansen: Na ja, er hat also nach "Fanny und Alexander" hat er ja noch drei Filme gemacht, 1983 "Nach der Probe", 1996 "Dabei: Ein Clown" und 2003 "Sarabande", das sind also Fernsehfilme, die wenig bekannt geworden sind, die eigentlich nur im Fernsehen gelaufen sind, aber die noch mal die typische Arbeit von Bergman zeigen, zum Beispiel, ich denke da besonders an den Film "Nach der Probe", der zeigt, wie Bergman mit Schauspielern arbeitet, das ist also sensationell, das einmal zu sehen, wie er mit Schauspielern umgeht. Da ist er ganz typisch und unverwechselbar. Das hat also auch sein Kameramann Sven Nykvist immer gesagt, also, mit Bergman zu arbeiten ist etwas ganz Besonderes, weil er einen besonderen Zugang zu den Schauspielern hat. Er geht zu ihnen hin, guckt sie an und sagt ihnen: "So, jetzt macht das." Und viel mehr macht der nicht. Und er hat also einen unglaublichen Einfluss auf seine Darsteller und wenn man an Darsteller und Darstellerinnen vor allem in Bergman-Filmen denkt, kann man das sehr gut verstehen.

Kassel: Aber haben Sie nicht auch den Eindruck, Sie haben sicherlich viel mehr Bergman-Filme gesehen als ich, dass er als Mann die Frauen besser verstanden zu haben scheint als die Männer?

Jansen: Aber natürlich. Er war schließlich fünfmal verheiratet.

Kassel: Und hat acht Kinder. Zum Schluss: Mit Bergman ist einer der größten wahrlich, in den letzten Jahren nicht der einzige wirklich große, europäische Filmregisseur des 20. Jahrhunderts gestorben. Fast alle sind tot, wenige leben noch. Gibt es eigentlich Nachfolger? Gibt es Männer und meinetwegen auch Frauen in Europa vom Kaliber eines Fellini oder eben auch eines Bergman, die Sie irgendwo sehen?

Jansen: Nein. Ehrlich gesagt kann ich das im Augenblick nicht sehen, nein. Es gibt also den einen oder anderen, es gibt auch den einen oder anderen Schweden oder Dänen, die also besonders interessant sind ...

Kassel: Höre ich da Lars von Trier, ein bisschen Schweden?

Jansen: Ja, Lars von Trier, ja.

Kassel: Auch, glaube ich, ein großer Fan von Bergman.

Jansen: Ja, ein großer Fan, der sich aber weitgehend zurückgezogen hat, also im Augenblick nicht besonders im Vordergrund steht. Aki Kaurismäki, der Finne, ja, der ist also eine Sondererscheinung, der ist interessant. Der ist aber total anders. Der ist nicht wie Bergman.

Kassel: Das ist, glaube ich, ein schönes Schlusswort, keiner ist wie Bergman. Ich danke Ihnen, Herr Jansen.