Jana Revedin: "Margherita"

Ein Zeitungsmädchen erfand die Filmfestspiele von Venedig

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Das Cover zeigt eine nostalgisch anmutende Schwarzweißfotografie Venedigs
Nostalgisches Venedig: Wenn man derzeit schon kaum dorthin reisen kann, so bringt einem dieser Roman die Lagunenstadt doch nahe. © Cover: Aufbau Verlag
Von Edelgard Abenstein · 30.09.2020
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Es klingt wie ein Märchen: In Venedig verliebt sich ein armes Zeitungsmädchen in einen Conte, führt fortan ein glamouröses Leben und erfindet das älteste Filmfestival der Welt. Jana Revedin erzählt die Geschichte der Großmutter ihres Mannes.
Als hätten sie die Gebrüder Grimm erfunden: die Geschichte um Aschenputtel, neu erzählt. Armes Mädchen aus dem Volk trifft reichen Prinzen, der hält um ihre Hand an. Frisch verheiratet ziehen sie in einen Palazzo in Venedig und bringen frischen Wind in den nach Krieg, Hungerjahren und von der Spanischen Grippe gelähmten Ort.

Venedig-Saga um eine Aufsteigerin

Wirklich passiert ist dieses Märchen der klugen und schönen Verkäuferin Margherita, nachdem sie dem träumerischen Conte Antonio Revedin tagtäglich die Zeitungen samt ihrer eigenen munteren Kommentare ins Haus getragen hat. Bis sie sich an dessen Seite vom Zeitungsmädchen zur First Lady Venedigs durchboxen wird.
Was als große Liebe beginnt, endet freilich nicht durchweg glücklich. Dazwischen liegt eine weitgehend unbekannte Venedig-Saga. In deren Zentrum steht eine Aufsteigerin, die dank ihres Blicks von außen der Stadt neue Impulse zu geben vermag, andererseits den Makel, nicht dazuzugehören, niemals los wird. Ob sie deshalb nahezu vergessen ist?

Die Ehrfurcht des Romans ist ein Problem

Die Architekturhistorikerin Jana Revedin hat mit Ise Frank schon einmal eine aus der Geschichte gestrichene Frauenfigur neu und überaus plastisch zum Leben erweckt: Frank hatte neben ihrem Ehemann Walter Gropius den Kurs des Bauhauses entscheidend mitgeprägt. Mit "Margherita" breitet die Autorin jetzt eine Familienbiografie vor uns aus, die von der Großmutter ihres Mannes handelt, dem heutigen Hafenmeister von Venedig. Das berührt ein Problem des Romans.
Bei aller Einfühlung in die Figur der Heldin: Ehrfurcht scheint nicht der beste Ratgeber bei der Wahl stilistischer Mittel. Statt Personen Kontur zu geben kursieren blanke Namen aus Kunst- und Stadtgeschichte über die Seiten. Hauptfiguren wie der Conte selbst geraten völlig aus dem Blick. Dialoge sind oft allzu hölzern.

Internationaler Glamour

Doch unterm Strich überwiegen die stimmungsvollen Szenen: wenn Margherita statt ausladend-bunter Roben die schmale Silhouette Coco Chanels in Venedig hoffähig macht, Gold und Lüster im Familienpalazzo am Canal Grande durch die minimalistischen Spielarten der Neuen Sachlichkeit ersetzt, den Kur- und Naturtourismus am Lido einführt, indem sie höchstpersönlich neue Sportarten wie Golfen und Rudern praktiziert.
So holt sie eine ganz neue Klientel in die Lagunenstadt, wie überhaupt sie mit dem Festival am Lido die heute ältesten Filmfestspiele der Welt erfindet. Greta Garbo, Clark Gable, Charlie Chaplin sind ihre Gäste, ihre Salons steigen zum glamourösen Treffpunkt der internationalen Kulturwelt auf. Peggy Guggenheim wird ihre lebenslange Freundin - in direkter Nachbarschaft am Canal Grande.

Venedig rückt einem nahe

Natürlich bietet auch von der ersten Stunde an Harry's Bar eine Bühne. Auch Hemingway kommt vor, gegen den sie - ganz offensichtlich wie ihre Biografin - eine satte Antipathie hegt. Selbstredend noch mehr gegen Mussolini und Hitler. Die geben sich inmitten ihrer Entourage ein verbrieftes, grandios boshaft geschildertes allererstes Inkognito-Treffen am Lidostrand.
So ist 'Margherita' dann doch eine Romanbiografie, die heute, da nur wenige eine Reise riskieren, Venedig aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nahe bringt. Eine Stadt noch ohne Kreuzfahrtschiffe, ohne Massentourismus, beinahe wie in diesen Tagen.

Jana Revedin: "Margherita"
Aufbau Verlag, Berlin 2020
304 Seiten, 22 Euro

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