Jan Haft: "Heimat Natur"

Die Geheimnisse des Engelsrotz

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Cover des Buches "Heimat Natur: Eine Entdeckungsreise durch unsere schönsten Lebensräume von den Alpen bis zur See" von Jan Haft.
Jan Hafts neues Buch zeigt, welche Wunder der Natur es zu bewahren gilt. © Deutschlandradio / Penguin Verlag
Von Johannes Kaiser · 16.06.2021
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Jan Haft gehört zu Deutschlands besten Naturdokumentaristen. Mehrfach hat der Biologe bereits die Natur in faszinierenden Nahaufnahmen auf die Leinwand gebracht. Sein Buch „Heimat Natur“ zum gleichnamigen Film ist ein Plädoyer für den genauen Blick.
Von den Alpen bis ans Meer lassen sich in Deutschland unglaublich abwechslungsreiche Lebensräume in der Natur entdecken. Überall hat der Naturdokumentarist Jan Haft staunenswerte Geschöpfe, skurrile Arten und verblüffende Überlebenskünstler gefunden. In seinem Buch "Heimat Natur" zeigt er viele von ihnen auf vierzig Fotoseiten.
Es hätten gerne noch mehr sein können. Oft sind es versteckte, kleine Schönheiten, die nicht gleich ins Auge fallen und denen man ihre besonderen Fähigkeiten nicht ansieht. Dazu gehört zum Beispiel die winzige Gletscherbachzuckmücke, die bittere Kälte liebt und sich bei ein Grad über Null am wohlsten fühlt.

Kaum regnet es, quellen die Bakterien auf

Sogar schlichte Feldwege können Geheimnisse bergen, wie der Engelsrotz. Als schwarz-braune, papierdünne Schicht bedeckt diese Bakterienart ein kleines Stück des trockenen Bodens, scheinbar tot. Doch kaum regnet es, erwachen die Bakterien zum Leben, quellen auf und bilden eine grüne fingerdicke Schicht.
Die Bakterien betreiben Photosynthese, schlucken Kohlendioxid, spucken Sauerstoff aus und produzieren ihren eigenen Stickstoff. Ein Wunder an Überlebensfähigkeit und Anpassungsvermögen.
Ausführlich beschreibt der Biologe in zwölf Kapiteln - von den Alpen über Wald, Fluss, Heide und Moor bis zur Küste - die Entstehungsgeschichte der Lebensräume. Doch vollkommen ursprüngliche Natur gibt es schon seit langem nicht mehr. Sie trägt überall die Spuren des Menschen.
Dramatische Veränderungen hat die intensive Landwirtschaft mit Kunstdünger und massivem Pestizideinsatz bewirkt. Jan Haft plädiert hier für eine extensive Viehhaltung, denn sie schaffe die größte Artenvielfalt. Im Unterschied zur Mahd, die auch auf einer naturbelassenen Wiese binnen kürzester Zeit alles absäbelt, würden Kühe nur fleckenweise einzelne Gräser und Blumen fressen. So können viele Pflanzen, die sonst der Sense zum Opfer fallen, reifen und sich vermehren.
Es ist diese stete Mischung aus persönlicher Beobachtung und wissenschaftlicher Erkenntnis, die Jan Hafts Buch so faszinierend und leicht lesbar macht. Immer wieder erzählt er, wie er als Kind auf Entdeckungsreise ging. Seine kindliche Neugier und Begeisterung hat sich der Naturfilmer erhalten, und sie ist ansteckend.

Kritik an der industriellen Landwirtschaft

Haft beklagt die Zerstörung der Natur, vermeldet aber auch Erfolge, wie die Wiederansiedlung von Lachs und Luchs, Wolf und Seeadler. Doch seine Kritik überwiegt. Insbesondere die deutsche Landwirtschaftspolitik hält er für völlig verfehlt. Hier werde Masse statt Naturqualität gefördert und der Artenschwund dadurch forciert statt gestoppt.
Zu hohe Einträge von Stickstoff in die Luft durch Landwirtschaft, Verkehr und Industrie führen Haft zufolge dazu, dass auf jeden Hektar in Deutschland jährlich 30 Kilogramm des Stoffes niederrieseln. Das führt zu einem Nährstoffüberangebot und damit zum Schwund vieler seltener Pflanzen, die auf mageren Böden wachsen.
Jan Hafts Buch zeigt, welche Wunder der Natur es zu bewahren gilt. Der Biologe öffnet uns die Augen für viele verborgene Schönheiten der Tier- und Pflanzenwelt. Ein Genuss für Sinne und Verstand.

Jan Haft: "Heimat Natur: Eine Entdeckungsreise durch unsere schönsten Lebensräume von den Alpen bis zur See"
Penguin Verlag / München 2021
286 Seiten, 20 Euro

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