Jan Feddersen und Philipp Gessler: "Phrase unser"

Die weichen Floskeln von den Kirchenhierarchen

15:19 Minuten
Ein Geistlicher sprich zu anderen Personen. Der Bischof ist wesentlich größer als die ihm Zuhörenden. (Illustration)
Dialog "auf Augenhöhe" sieht anders aus: Geistliche sprechen oft von oben herab zu ihren Schäfchen. © imago images / Ikon Images / Montage: Deutschlandradio
Philipp Gessler im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 15.03.2020
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Kirchliche Kreise pflegen eine Sprache, die Menschen direkt ansprechen soll. Doch oft sind es hohle Floskeln, die für Außenstehende befremdlich wirken. Jan Feddersen und Philipp Gessler haben diese Sprache untersucht.
"Leben in Fülle haben", "gemeinsam auf die Reise gehen", "heilende Aufmerksamkeit" sind Formulierungen, die man in Gottesdiensten oder anderen kirchlichen Veranstaltungen häufiger hört. Vielen erscheinen sie als sinnentleerte Phrasen. Der Journalist Philipp Gessler führt die Weichheit dieser kirchlichen Sprache auf die Sozialpädagogik zurück. Durch die Ausweitung der karitativen Arbeit habe deren Jargon auch in den Kirchen Einzug gehalten.

Hierarchien und Konflikte werden in Watte gepackt

Zusammen mit seinem Kollegen Jan Feddersen hat Gessler für das Buch "Phrase unser" zahlreiche typische Ausdrücke untersucht:
"Kaum ein Wort ist so beliebt bei Kirchens wie ‚auf Augenhöhe‘. Und das ist besonders bei der katholischen Kirche etwas absurd, wenn ein Bischof, der ganz klar über einen gesetzt wird, auf einmal von Augenhöhe redet", so Gessler. Hierarchien würden so vertuscht, auch Konflikte kämen oft nicht deutlich zur Sprache.
Philipp Gessler
Bitte nicht flauschig: Philipp Gessler.© Deutschlandradio - Julia Riedhammer
Im Gespräch mit Fachleuten haben die Buchautoren festgestellt, dass auch innerhalb der Kirche viele unter dieser steifen, blutleeren Sprache leiden, aber kaum einen Ausweg sehen. Es gebe zwar beispielsweise im Hinblick auf die evangelische Predigt Versuche, die Sprache zu ändern, räumt Gessler ein: "Aber das ist sehr schwer, denn es ist ja auch eine Sprache, die eine Innengruppe und eine Außengruppe schafft."

Poetische Sprache kann kraftvoller sein

Ein allzu gewolltes Imitieren von Jugendsprache liege oft daneben. Dagegen sei die Poesie jahrhundertealter Texte, etwa der biblischen Psalmen, durchaus bis heute wirksam, sagt Philipp Gessler. "Ähnlich ist das mit dem Propheten Jesaja – das ist so eine kraftvolle Sprache, dass das Altertümliche, was da drin steckt, kaum stört." Er beobachte, dass auch junge Menschen im Gottesdienst mucksmäuschenstill würden, wenn sie solche Verse hörten, die historisch und spirituell sehr tief gingen.
Möglicherweise komme die weiche, "flauschige" Sprache der Kirche in den sozialen Medien aber doch gut an, weil sie ein Gegengewicht zu der dort herrschenden, oft harten Kommunikation bilde. Die Weichheit und das Bemühen, niemandem weh zu tun, führt Gessler, Redakteur der evangelischen Zeitschrift Zeitzeichen, weniger auf das Gebot der Nächstenliebe zurück als auf die Angst vor weiterem Mitgliederschwund: "Es ist wie in der normalen Kommunikation, wenn ich Angst habe, wähle ich entweder die falschen oder zu viele Worte."

Schweigen kann helfen, aber nicht bei Skandalen

Helfen könne eine Rückbesinnung auf die Botschaft Jesu, mehr zu schweigen und stärker auf die Kraft der Rituale zu vertrauen. Anders sei das natürlich beim Umgang mit Skandalen wie dem sexuellem Missbrauch, wo eine klare Kommunikation nötig sei, so Gessler. Grundsätzlich gelte:
"Wenn Hierarchien oder Konflikte vertuscht werden, das ist auf jeden Fall etwas, was der Sprache schadet, der Kommunikation schadet und am Ende auch den Kirchen schadet."

Jan Feddersen, Philipp Gessler: "Phrase unser. Die blutleere Sprache der Kirche"
Claudius Verlag, München 2020
184 Seiten, 20 Euro

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