Jan Bachmann: "Der Berg der nackten Wahrheit"

Als sich Nudisten über Käserinde zofften

06:13 Minuten
Cover des Comics "Der Berg der nackten Wahrheiten" mit einem gezeichneten nackten Mann und seiner nur am Hinterteil kahl geschorenen Ziege in der Natur.
Die Protagonistin in Jan Bachmanns neuem Comic "Der Berg der nackten Wahrheiten" ist eine Ziege. © Edition Moderne / Jan Bachmann
Jule Hoffmann im Gespräch mit Shanli Anwar  · 16.10.2019
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Führen freie Liebe, unbekleidete Körper und Rohkost zur Erlösung? Die Gründer der Aussteigerkolonie Monte Verità hofften darauf. In dem Comic "Der Berg der nackten Wahrheit" erzählt Jan Bachmann ihre Geschichte – mit Spott und satten Farben.
Der Monte Verità liegt im Kanton Tessin in der Schweiz, über dem Örtchen Ascona am Lago Maggiore. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde er zum Treffpunkt der Lebensreformbewegung, die heute als eine der Wiegen der Alternativbewegung gilt. Schriftsteller, Anarchisten und Maler wollten dort damals ihren Traum von einem naturnahen Leben verwirklichen, weit weg vom Materialismus und Kapitalismus, die das Leben in den Großstädten prägten.
Die Gründungsmitglieder der Kolonie errichteten auf dem Monte Verità ein alternatives Sanatorium auf der Basis von Naturheilverfahren. Die Gäste zelebrierten freie Liebe, freies Denken und die Freikörperkultur. Auch zahlreiche Künstler lockte es auf den Berg; darunter – neben Hans Arp, Ernst Bloch und Paul Klee – auch den Anarchisten und Schriftsteller Erich Mühsam.

Ein spöttischer Blick auf die Aussteigerkolonie

Der Schweizer Comiczeichner Jan Bachmann, der vergangenes Jahr einen Graphic Novel über Erich Mühsam veröffentlicht hat, widmet sich in seinem neuen Comic "Der Berg der nackten Wahrheiten" nun dem Monte Verità. Erich Mühsam taucht dort nicht mehr auf. Aber der Comic wird gerahmt von Zitaten aus seinem Buch "Ascona", einer Art Spottschrift, die die Aussteigerkolonie 1905 schlagartig bekannt machte.
Das einstige zentrale Gebäude der Aussteiger-Kolonie auf dem Monte Verità am Lago Maggiore (undatiert).
Das einstige zentrale Gebäude der Aussteiger-Kolonie auf dem Monte Verità am Lago Maggiore (undatiert). © picture alliance / dpa / Ticino Turismo
"Vegetarier mit teils ernsten Lebensauffassungen, teils höchst spleenigen Erlösungsideen hatten sich an den Abhängen des Lago angesiedelt, bauten Obst an, lebten von Rohkost, lobten den Herrn und sich selbst", beschreibt Mühsam die Aussteiger zum Beispiel. Diese spöttische Haltung gegenüber dem Lebenskonzept der Aussteiger macht sich auch der neue Comic von Jan Bachmann zu Eigen.

Konflikt um eine Käserinde

Die Handlung setzt 1900 ein, als die Pianistin und Feministin Ida Hofmann und der Industriellensohn Henri Oedenkoven den Berg kauften, umbenannten und ihre "vegetabilische Cooperative" gründeten. Der Comic beschreibt die Kluft zwischen der dort ansässigen Landbevölkerung und den zugezogenen Vegetariern und Nudisten – und schöpft aus dem gegenseitigen Unverständnis eine große Komik.
Eine gezeichnete Ziege mit Glubschaugen und langem Gesicht schaut hinter Bäumen und Unterholz hervor.
Auf dem Monte Verità leben die Vegetabilisten - und eine Ziegel.© Edition Moderne / Jan Bachmann
Auch die Konflikt innerhalb der neu gegründeten Gemeinschaft sorgt für reichlich lustigen Erzählstoff: So schildert der Comic ein Plenum, das abgehalten wurde, weil eine Käserinde auf dem Gelände gefunden wurde – ein Ereignis, das auf wahren Begebenheiten basiert.
Zentrale Person des Comics ist Gustav Arthur Gräser, der die Reformsiedlung 1900 mitbegründete. Dieser freundet sich im Comic mit einer Ziege an – und beschließt, diese vorm Schlachter zu bewahren. Ein krakelig-schrulliger, launiger und bunter Comic.
(lkn)

Jan Bachmann: "Der Berg der nackten Wahrheit"
Edition Moderne, Zürich 2019
112 Seite, 24 Euro

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