Jammernde Unternehmenserben

99 Prozent steuerfrei? Ist uns zu wenig!

Demo in Berlin
Demonstration für die höhere Besteuerung von Reich des Bündnis "Umfairteilen" im September 2012 in Berlin. © Copyright: imago/epd
Von Julia Friedrichs · 02.07.2015
Letztes Jahr machte das Bundesverfassungsgericht deutlich – die Besteuerung von Erben verstößt gegen das Grundgesetz. Das Finanzministerium plant nun ein Gesetz, mit dem 99 Prozent der Firmenerben verschont bleiben. Ein Skandal, sagt die Journalistin Julia Friedrichs.
Es wirkt wie Stück absurden Theaters. Titel: "Das Ringen um eine Besteuerung von Erben großer Unternehmen."
Erster Akt: Karlsruhe. Bundesverfassungsgericht. Ende vergangenen Jahres.
Die Richter lassen keine Zweifel: So, wie die Bundesregierung seit 2009 das Erben besteuert, geht es nicht. Seitdem zahlen nämlich die Erben von Unternehmen in der Regel keine Steuern mehr. So grob gestrickt ist das Gesetz.
So groß sind die Löcher, durch die man schlüpfen kann. Und zwar nicht nur die Erben von kleinen Familienunternehmen. Sondern auch die von Konzernen. Nicht nur die Erben, die den Betrieb selber managen, sondern auch die, die ihn nur besitzen, weil sie Mehrheitseigner sind. Und verschont werden auch nicht nur Maschinen und Werkshallen, sondern auch das sogenannte "Verwaltungsvermögen": eine graue Masse – in die man wunderbar einen nicht unwesentlichen Teil des Privatbesitzes mischen kann – Grundstücke, Gebäude, Kunstsammlungen.
Damit, so urteilten die Richter, sei der Gesetzgeber weit über das behauptete Ziel, Arbeitsplätze im Erbfall nicht zu gefährden, hinausgeschossen. Das Gesetz unscharf, handwerklich schlecht, eine Einladung zur "Steuervermeidung". Der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt. So weit. So deutlich.
Zweiter Akt: Berlin.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verspricht, das Gesetz "minimalinvasiv" anzupassen. Damit es den Ansprüchen der Verfassung genügt. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Steuerfreiheit für 99 Prozent der Unternehmen
Schäubles Vorschlag: Erben, die mehr als 20 Millionen erhalten, sollen in Zukunft beweisen müssen, dass sie eine Steuer nicht aus dem Privatvermögen bezahlen können. Sie also den Betrieb anpumpen müssten. Nur dann sollen sie weiterhin verschont werden. Auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag sagte das Ministerium: Nur ein bis zwei Prozent der Erben wären davon betroffen. Bis zu 99 Prozent der Unternehmen könnten weiterhin steuerfrei vererbt werden. Das klingt großzügig.
Dritter Akt: Es treten auf: Wirtschaftsverbände. Unternehmer. Die CSU. Und ein Landesminister der SPD.
Sie alle toben. Sie sprechen von einer drohenden Kernschmelze in der deutschen Wirtschaft. Von einem Ausverkauf des "German Mittelstand". Von einem Vorschlag, der an "Sozialismus" grenze. Welch Drohkulisse. Welch gewaltige Kaliber. Meinen sie wirklich denselben Gesetzesentwurf? Der 99 Prozent der Firmenerben weiterhin verschont?
Der Vorhang fällt. Und man könnte die Geschichte auch andersrum erzählen: Drei der Richter des Bundesverfassungsgerichts ergänzten die Entscheidung durch ein Sondervotum. Sie sagten: Die Erbschaftsteuer sei auch ein Instrument des Sozialstaats, sie könne verhindern, dass sich Reichtum über Generationen in den Händen weniger konzentriert und allein aufgrund von Herkunft erworben werde. Sie warnten damit vor der Ungleichheit einer Erbengesellschaft.
Schon jetzt sind Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt wie in kaum einem anderen Industrieland. Die Erbschaften, geschätzte 250 Milliarden Euro pro Jahr, werden diesen Zustand auf Generationen zementieren. Reich wird man in Deutschland in Zukunft eher durch Erbe als durch eigene Arbeit.
Dass Schäubles minimalinvasive Reform das Sondervotum der drei Richter ignoriert und die Politik diesen Zustand hinnimmt – das ist der eigentliche Skandal. Nicht, dass ein Prozent der Unternehmenserben in Zukunft ihren Reichtum werden teilen müssen.
Es ist ein Stück absurden Theaters, das gerade aufgeführt wird.

Julia Friedrichs, Jahrgang 1979, ist Journalistin und schreibt Bücher zu gesellschaftspolitischen Themen. Bisherige Veröffentlichungen: „Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht“ (2015), „Ideale. Auf der Suche nach dem, was zählt“ (2011), „Deutschland dritter Klasse. Leben in der Unterschicht“ (mit Eva Müller und Boris Baumholt, 2009) sowie „Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen“ (2008). Seit ihrem Journalistik-Studium arbeitet sie als freie Autorin von Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen. Im Jahr 2007 wurde sie für eine Sozialreportage mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten und dem Ludwig-Erhard-Förderpreis ausgezeichnet.

Die Journalistin und Autorin Julia Friedrichs
© dpa / picture alliance / Uwe Zucchi
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