Italiens Musiktheater

Klagen-Tsunami bedroht Opernhäuser

Zu sehen ist die große Freiluftbühne der Arena di Verona in der gleichnamigen italienischen Stadt. Auf der Bühne findet eine Opernaufführung statt: der Maskenball von Guiseppe Verdi.
2014 wurde Guiseppe Verdis "Maskenball" in der Arena di Verona aufgeführt - nun ist ein Bankrott des Hauses nicht ausgeschlossen. © Barbara Roth (Deutschlandfunk)
Von Thomas Migge · 06.06.2016
Viele italienische Musiktheater haben mit hohen Schulden zu kämpfen. Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs in Rom könnte sie nun an den Rande des Ruins treiben. Dies entschied: Die Entlassung Hunderter Mitarbeiter sei rechtswidrig. Nun drohen Schadensersatzklagen.
"Die Hochzeit des Figaro" von Mozart. Die Saison des Teatro Petruzzelli im süditalienischen Bari, begann Anfang dieses Jahres sehr positiv: Endlich schreibt man wieder schwarze Zahlen und die Zahl der Abonnenten steigt. Apuliens wichtigstes Opernhaus scheint sich von den chronischen Negativschlagzeilen der Vergangenheit befreit zu haben. Jahrelang nach einem Brand geschlossen, dann eine feierliche Wiedereröffnung, erneut hohe Schulden, eine weitere Schließung und ein hoffnungsvoller Neubeginn unter dem energischen Intendanten Massimo Biscardi:
"Wir arbeiten hart daran, alle dunklen Wolken zu vertreiben und alle Problem zu lösen, um endlich nur unsere Arbeit zu machen, um uns also um Musikkultur zu kümmern."

Teatro Petruzzelli befürchtet Klage-Welle

Doch nun machen wieder dunkle, sehr dunkle Wolken dem Teatro Petruzzelli finanziell schwer zu schaffen. Intendant Biscardi ist besorgt. Im vertrauten Kreis sagte er, dass er nicht wisse, wie er dieses Problem lösen solle, ohne im schlimmsten Fall sein Haus dichtmachen zu müssen.
Es geht um 233 Klagen - Klagen von ehemaligen Musiker, Tänzern, Bühnenarbeitern, Angestellten, Malern et cetera, von Personen, die allesamt irgendwann einmal einen Arbeitsplatz beim Petruzzelli hatten.
Dazu der römische Musikkritiker Franco Soda:
"Nachdem 1998 Italiens 14 Opernhäuser in halbstaatliche Stiftungen umgewandelt worden waren, sah die neue Gesetzgebung für diese Stiftungen vor, dass Arbeitnehmer an ebendiesen Theatern, die ihre Arbeitsplätze nicht durch öffentliche Stellenausschreibungen erhalten hatten, problemlos entlassen werden können."
Betroffen waren also Arbeitnehmer, die zeitbedingte Arbeitsverträge hatten, und die somit leicht kündbar waren; so leicht kündbar, dass sich viele Opernhäuser, nachdem sie Stiftungen geworden waren, im Zuge radikaler Sparmaßnahmen genau dieser Arbeitnehmer schnell entledigten.

"Mehr als 20 Millionen Euro an Kosten"

Doch Anfang dieses Jahres entschied der Verfassungsgerichtshof in Rom, dass solche Entlassungen unrecht seien. Eine Entscheidung mit gravierenden Folgen. Jetzt können die Betroffenen klagen: auf Wiedereinstellung oder Schadensersatz. Und das tun sie auch. Und nicht nur im Fall des Teatro Petruzzelli.
Eine Flut von Klagen wurde nach dem Urteilsspruch der Verfassungsrichter losgetreten: 122 ehemalige Mitarbeiter klagen gegen die Staatsoper in Rom, 26 gegen das Stadttheater in Florenz, 42 gegen die Arena von Verona und so weiter. Insgesamt müssen sich Italiens 14 Opernhäuser mit bis jetzt 507 Klagen auseinandersetzen. Franco Soda:
"Sollten die Gerichte in den entsprechenden Städten den Klagen nachkommen, würde das bedeuten, dass die Theater zahlen müssen. Vorsichtigen Schätzungen zufolge kommen so auf die Häuser mehr als 20 Millionen Euro an Kosten zu."
Das ist viel Geld für Opernhäuser, die entweder, wie im Fall der Staatsoper in Rom, gerade aus den roten Zahlen herausgekommen sind, oder aber bereits so tief in der Kreide stecken, wie im Fall der Arena von Verona, dass der finanzielle Bankrott nicht ausgeschlossen ist. Die drohenden Mehrausgaben könnten so manchem Musiktheater den Garaus machen.

Hoffen auf Hilfe des Kulturministers

Um den, so die Tageszeitung "La Repubblica", "Klagen-Tsunami der Ex-Mitarbeiter" in den Griff zu bekommen, versuchen viele Intendanten jetzt die Quadratur des Kreises.
Die Scala zum Beispiel: Das finanziell gut gehende Haus entschied die Anstellung von 90 Klagenden – auf diese Weise umgeht man nicht nur die Prozesse, sondern auch die teuren Entschädigungszahlungen, die nach der Anzahl der Jahre nach der Entlassung berechnet werden. Der Staatsoper Rom könnten die bis jetzt 122 Klagen mindestens elf Millionen Euro an nicht gezahlten Gehältern und Entschädigungszahlungen kosten – eindeutig zu viel für ein Haus, das nur mit Hilfe einer Geldspritze des Kulturministeriums endlich finanziell wieder über die Runden kommt.
Jetzt hoffen Rom, Venedig, Florenz und die anderen Opernhäuser auf ein Verdikt von Kulturminister Dario Franceschini. Doch bis der eine rechtliche Lösung finden wird, die den Urteilspruch des Verfassungsgerichtshofs aushebeln könnte, wird viel Zeit vergehen.