Jakob Augstein und Martin Walser

"Mein Gott, Indiskretion!"

Von Verena Neuhausen · 27.11.2017
Auf dem Podium ein Publizist, der seinen Vater verstehen möchte. Und ein Schriftsteller, der die großen Schatten in seiner Biografie thematisiert. Jakob Augstein und Martin Walser stellten in Stuttgart ihr Buch "Das Leben wortwörtlich" vor, doch private Aussagen gab es nur indirekt.
Seit vor etwa acht Jahren bekannt wurde, dass der Schriftsteller Martin Walser der leibliche Vater von Jakob Augstein ist, ist die Neugier groß. Wie mag das sein für den Sohn, der nun zwei mächtige Vaterfiguren hat, den Schriftsteller Martin Walser und den "Spiegel"-Verleger Rudolf Augstein? Das fragen sich seither nicht nur Literaturkritiker. Nun haben Jakob Augstein und Martin Walser zusammen ein Buch geschrieben. "Das Leben wortwörtlich" heißt es und ab heute kann man es kaufen.
Zum ersten und einzigen Mal haben sich der 50-jährige Augstein und der 90-jährige Walser gestern im Stuttgarter Literaturhaus auf ein Podium begeben, um ihr Buch vorzustellen. Sie haben sich damit auch erstmals gemeinsam als Vater und Sohn präsentiert.

Wer gekommen war, um mehr über das Seelenleben des Sohnes zweier Väter zu erfahren, der wurde zunächst enttäuscht. Denn statt über Gefühle zu reden, sprachen Jakob Augstein und Martin Walser über das, was sie verbindet. Beide mischen sich mit Worten in Politik und Gesellschaft ein, Augstein als Kolumnist und Walser als Schriftsteller. Das Engagement verbindet sie − und trennt sie doch.
Denn auf seine alten Tage baut Martin Walser eine große Distanz auf zu sich und seinen politischen Aussagen von früher. Vater und Sohn schreiben und erzählen das in klarer Rollenverteilung. Augstein fragt wohlwollend neugierig, Walser antwortet mit weit ausholender Geste, erklärt, was er sich damals dachte und warum heute nicht mehr.
Wir sehen auf dem Podium also einen Sohn, der seinen Vater kennen lernen und verstehen will. Keinen, der gegen den Vater rebelliert − etwa wenn es ums politische Selbstverständnis geht.
Walser: "Ich habe erlebt, auch an mir, wie der Linke sich für den besseren Menschen hält. Aber es gibt keine besseren Menschen."
Augstein: "Ist das so? Ich halte mich für links, aber nicht für den besseren Menschen."
Walser: "Na, das glaube ich dir nicht."
Beide sitzen im Literaturhaus Stuttgart in verblüffend ähnlicher Körperhaltung vor dem Publikum, wirken miteinander vertraut und dass sie sich mögen, scheint nicht gespielt. Und der Junge fragt den Alten nach seinen wunden Punkten, aber nicht um ihn zu verletzen, sondern um ihn zu verstehen. Die Sprache kommt auf den vernichtenden Verriss aus der Feder des übergroßen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, der Walsers Buch "Jenseits der Liebe" damals schlicht einen belanglosen, einen schlechten, einen miserablen Roman genannt hatte.
Augstein: "Das würde heute vermutlich so gar nicht mehr gedruckt werden. Das ist schon ganz schön hart. Und deshalb glaube ich, dass die Vernichtungsangst real war. Ich fand es spannend für mich, mich mit seinen Ohnmachtserfahrungen zu beschäftigen."

"Das war großer historischer Unfug"

Auch der andere große Schatten auf Martin Walsers Biografie wird thematisiert: Seine Rede 1998 in der Paulskirche, die ihm den Vorwurf einbrachte, antisemitisch zu sein, auch weil er zuvor gegen den Juden Marcel Reich-Ranicki anschrieb. In Stuttgart reden Sohn und Vater über Deutschland, die Teilung in zwei Staaten. Und der Sohn hakt verständnisvoll nach, wie das gemeint war damals: Walsers Warnung vor der Instrumentalisierung von Auschwitz.
Augstein: "Das ist doch kein Zufall, dass so viele Linke die Teilung als Sühne für Auschwitz betrachteten und dass du das so abgelehnt hast."
Walser: "Naja, weil diese Sicht großer historischer Unfug war. Auschwitz war die Tat der ganzen Nation, die Teilung war die Folge des Kalten Krieges. Die beiden Phänomene in einen höheren Sinnzusammenhang zu bringen, das war die eigentliche Instrumentalisierung von Auschwitz und dagegen habe ich mich in meiner Rede in der Paulskirche gewendet."
Das Publikum lauert auf private Aussagen über das Verhältnis von Augstein und Walser, auf mehr Informationen über die verworrenen Familienkonstellationen, über die Zeit, in der Jakob gezeugt wurde. Dazu nur Schweigen, aber über andere offenkundig wenig monogame Erlebnisse spricht Walser dann doch. Er erzählt − wenn auch nur angedeutet − von Verliebtheit und Sex mit mehreren Frauen bei einer Reise nach Edinburgh 1963. Und wie er hier schließlich reagiert, erklärt, warum das Gespräch über die Intimitäten des Familienlebens von Walser und Augstein am Ende so zurückhaltend bleibt:
"Mein Gott, Indiskretion! Was für ein bürgerlicher Schleier über eine Wirklichkeit, die nichts anderes ist als eine Hinrichtungsstätte von allem, was gefühlt wird."
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