Jahres-Rückblick Bremen und Hamburg

Sorge vor Terroranschlägen und Abschied von Olympia

Das rote Licht einer Ampel neben den Olympischen Ringen
Das rote Licht einer Ampel neben den Olympischen Ringen © picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Von Cengiz Tarhan und Axel Schröder · 30.12.2015
Ob Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) oder DOSB, alle waren sich sicher, die Hamburger werden für Olympia 2024 in der Hansestadt stimmen. Am Ende feierten die Olympia-Gegner. Die Bremer beschäftigte hingegen ein missglückter Terroreinsatz der Polizei.
Das Jahr 2015 in Bremen - von Cengiz Tarhan
"In Bremen sind nach einer Warnung vor gewaltbereiter Islamisten, die Sicherheitsvorkehrungen erhöht worden. Wie die Polizei mitteilte, werden neben Dom und Rathaus auch jüdische Einrichtungen gesichert."
Terroralarm in Bremen. Im Februar sind in der Innenstadt Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag unterwegs. Ein ungewohntes Bild. Doch die Hanseaten nehmen es eher locker.
Passanten: "Ich fühl mich nicht bedroht. Wir sind eben beim Essen gewesen. Ich seh für mich persönlich keine Gefahr. / Also ich bin Moslem, wohne seit 25 Jahren in Bremen und ich trage einen Vollbart. Und komme aus dem Haus raus und mein Nachbar: Was hast Du gemacht?"
Mehrere ausländische Terrorverdächtige sollen sich Maschinenpistolen besorgt und auf den Weg nach Bremen gemacht haben, so die Behörden. Innensenator Mäurer
"Aufgrund dieser Erkenntnisse, sind bei den Sicherheitsorganen alle Lampen dann auf Rot gegangen. Diese Hinweise waren so konkret gewesen, dass wir auch einen Anschlag in Bremen nicht mehr ausschließen konnten."
Ein absolutes Novum in Bremen. Die Polizei durchsucht unter anderem ein salafistisches Kulturzentrum. Das hat der Verfassungsschutz schon länger im Auge. Waffen oder Terrorverdächtige werden aber nicht gefunden. Dieser Anti-Terroreinsatz wird Bremen trotzdem das ganze Jahr beschäftigen. Auch deshalb, weil es massive Pannen gegeben hat. Bremens Polizeipräsident Müller musste später einräumen, dass der Treffpunkt der Salafisten, in dem Terroristen und Waffen vermutet wurden, stundenlang nicht bewacht wurde.
"Seit gestern Abend weiß ich, dass wir eine mehrstündige Lücke in der Bewachung des IKZ hatten. So das objektiv da aus meiner Sicht natürlich auch eine Sicherheitslücke am Samstag auch entstanden ist."
Es ist nicht die einzige Panne. Außerdem bleiben viele Fragen offen. So viele, dass ein Untersuchungsausschuss Ende des Jahres den Einsatz nochmals durchgeht. Im Mai und somit wenige Wochen später steht Bremen erneut im Fokus der Berichterstattung. Landtagswahlen im kleinsten Bundesland – mit historischen Ergebnissen, wie die Tagesschau berichtet.
Ein Polizist hält ein Maschinengewehr.
Erhöhte Polizeipräsenz in Bremen nach einer Terrorwarnung.© imago/Stefan Schmidbauer
"Es ist ein bitterer Abend für die Sozialdemokraten. Nach 70 Jahren Regierungsführung in Bremen dürfte die SPD das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte bekommen. Für eine Schlagzeile wird auch die Wahlbeteiligung sorgen. Ziemlich sicher ist es die geringste, in einem westdeutschen Bundesland bisher."
Jeder zweite Wähler verzichtet auf seine Stimme. Politikverdrossenheit hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die rot-grüne Koalition kann ihre Regierungsarbeit fortsetzen. Allerdings ohne den bisherigen Bürgermeister Böhrnsen. Der wirft am Tag nach der Wahl das Handtuch:
"… und damit den Weg freimache, dass die SPD sich personell und auch inhaltlich neu aufstellen kann. Damit bei der nächsten Wahl wir ein besseres Ergebnis erzielen. Denn das ist natürlich auch ganz in meinem Sinne."
Böhrnsens Nachfolger Sieling verspricht zum Start einen Neuanfang, doch der große Wurf bleibt aus. Das klamme Bremen braucht Geld. Das holt es sich auf eine Art, die bundesweit einmalig ist und erneut für Schlagzeilen sorgt. Denn bei Fußballspielen der Bundesliga, bei denen aus Sicherheitsgründen besonders viel Polizei benötigt wird, soll die Deutsche Fußball Liga für den Einsatz zahlen. Beschlossen wurde das im Vorjahr – jetzt im August wird es ernst. Die erste Rechnung über knapp 425.000 Euro geht an die DFL. SPD-Fraktionschef Tschöpe begründet das so.
"Wir sorgen für die Sicherheit. Die DFL setzt die Ursache dafür, dass es zu diesem Polizeieinsatz kommen muss. Und das ist so wie wenn sie sich betrunken in eine Zelle einweisen lassen, müssen sie die Reinigung auch bezahlen."
Die DFL sieht das natürlich anders. Am Ende werden wohl Gerichte darüber entscheiden. Flüchtlinge – auch das war ein großes Thema in Bremen, mit den gleichen Problemen, wie auch in anderen Ländern. Allerdings gibt es ein Problem mit minderjährigen Flüchtlingen, die immer wieder mit Diebstählen, Drogendelikten und Gewalt auffallen. Eine beliebt Masche ist das sogenannte Antanzen. Die Diebe lenken ihre meist leicht angetrunkenen Opfer ab und greifen zu. Dieser Bremer wurde zum Beispiel plötzlich an der Haltestelle angesprochen.
"Spielst Du Fußball? Ich hab mich dann eben rumgedreht, weil er an mir vorbeigerannt ist. In dem Moment war der Zweite auch schon hinter mir, hat mir hinten gegens Schienbein getreten. Bisschen wie so Dribbeln beim Fußball. Während dessen stand der andere halt vor einem und steckte dann halt seine Hand bei mir in die Hosentasche und versuchte da das Handy rauszufummeln."
Rund 50 junge Flüchtlinge sind es, die zum Teil mehrfach am Tag mit der Polizei zu tun haben. Die Zahl der Anzeigen wegen Straßenraub oder Taschendiebstahl verdoppeln sich zum Teil. Die Hetze gegen Flüchtlinge in den Sozialen Netzwerken in Bremen nimmt zu. Auch weil die kleine Gruppe der 50 problematischen Flüchtlinge die restlichen tausenden in Verruf zieht. Aber: Trotz solcher Tendenzen bleiben die Hanseanten bei ihrer Willkommenskultur und unterschieden zwischen der kleinen Gruppe krimineller und den anderen Flüchtlingen.
Das Jahr 2015 in Hamburg - von Axel Schröder
Es hätte alles so schön sein können. Der Song für Hamburgs Olympia-Bewerbung war geschrieben. Der passende Werbefilm dazu gedreht. Segler pflügen mit ihren Booten über die Wellen, Rollstuhlfahrer spielen Basketball.
"Wer wir sind? Wir sind die schönste Stadt der Welt! Wir sind Feuer und Flamme!"
Die stolze Hansestadt war tatsächlich "Feuer und Flamme" für die Olympischen und Paralympischen Spiele im Sommer 2024 an der Elbe. Allen voran ein hochmotivierter, enthusiastischer Bürgermeister Olaf Scholz:
"Ich hoffe, dass die Emotionen, die Begeisterung und die Kraft, die wir bisher haben, uns so weit trägt, dass wir auch ein erfolgreiches Referendum haben werden Ende November. Und dass wir es hinkriegen, dass wir in Lima einen Zuschlag bekommen, um die Stadt zu sein, die diese Spiele 2024 ausrichtet."
Was die Hamburger davon gehabt hätten? Von dem 7,4 Milliarden-Euro-Projekt? Ganz klar: einen durch die Stadt wehenden Geist von Olympia – ein friedliches Kräftemessen der Nationen; dazu jede Menge neue Arbeitsplätze; eine neue U- und eine S-Bahn-Linie, mehr Fahrradstreifen, mehr Weltberühmtheit, mehr von allem. Aber vor allem – das gehörte zum Konzept – einen neuen Stadtteil mitten in der Elbe, auf der Halbinsel Kleiner Grasbrook. Und dieser Stadtteil, überschlug sich Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter, würde auch nach Olympia Großes bieten. Zum Beispiel: Wohnen in einem ausrangierten Olympiastadion:
"Und es wäre bei den vielen Sportbegeisterten unter Ihnen doch wohl überhaupt keine Frage, dass wir 400 Haushalte finden, die sich nicht nur über Lärm beschweren, sondern Lust haben, sportlich zu wohnen in so einem einzigartigen Objekt wie diesem Stadion. Stellen sie sich vor: in diesem vorderen Halbrund, wo wir den Sprungturm haben während der Spiele – den könnten wir, so die Idee der Fachleute, zu einem Rutschen-Dom, zu einer Saunalandschaft weiterentwickeln und so hätten wir nicht nur ein sportliches Erbe, sondern auch eine freizeitorientierte Zukunft an diesem Standort. Das ist es, was hier vorgesehen ist."
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) 
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am 29.11.2015 nach dem Ergebnis des Referendums über die Ablehnung der Olympia-Bewerbung für 2024.© picture alliance / dpa / Foto: Axel Heimken
Ein Rutschen-Dom, eine Saunalandschaft. Die Gegner hat all das nicht beeindruckt. Sie, die Bedenkenträger, die ewigen Nörgler monierten: Ein nie dagewesener Sicherheitsapparat würde installiert werden und am Ende würde vor allem das IOC davon profitieren und ein paar große Baufirmen. Die Mieten könnten steigen, die Kosten ebenfalls, genau so, wie das bisher in allen Olympia-Städten der Fall war, meckerte Florian Kasiske, Aktivist von (N-)Olympia:
"Wenn man sich mal anguckt, wie häufig in diesem Finanzreport das Wort ´grob geschätzt` vorkommt... Das lässt sich im Moment noch gar nicht kalkulieren. Und deshalb sollen wir da jetzt über etwas abstimmen, das wir gar nicht bemessen können. Und wie gesagt: es ist ein sehr enger Zeitplan zwischen 2017 und 2024, da auf dem Kleinen Grasbrook alles neu zu bauen. Das ist sehr eng. Und wenn da irgendwas dazwischen kommt, dann haben wir diese Explosion der Kosten, die wir von woanders kennen."
Zwei ungleiche Kampagnen warben um die Einsicht der Hamburger: Florian Kasiskes (N-)Olympia-Truppe, ehrenamtliche Polit-Aktivisten, gegen die Zwei-Millionen-Euro-Kampagne der Olympia-Fans mit ihren festangestellten Werbefachleuten. Der Senat, die Handelskammer, die sportbegeisterten gut bis sehr betuchten Unternehmer der Stadt waren siegessicher und – zumindest ein bisschen – besoffen von ihrer Idee, die Spiele in die Stadt zu holen gaben ihnen Recht: Über 60, mindestens aber über 50 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger seien ebenso begeistert von den Plänen – das behauptete noch am Abend des entscheidenden Referendums die Forschungsgruppe Wahlen des ZDF. Aber eine halbe Stunde nach Schließung der Wahllokale drehte sich die Stimmung:
"Die Zahlen haben sich ein bisschen wieder verändert. Wieder in Richtung Olympia-Gegner. 48 sind für die Teilnahme an den Olympischen Spielen, 52 Prozent jetzt dagegen."
Am Ende stimmten 51,6 Prozent der Hamburger gegen das Megaprojekt. Woran es gelegen hat? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Der Senat behauptet: es lag an der Flüchtlingskrise, an den Terroranschlägen in Paris oder am Kostendesaster der Elbphilharmonie. Die Gegner sehen das anders: beim Referendum über Olympische Spiele in der Freien- und Hansestadt Hamburg hätte sich die Vernunft durchgesetzt, glauben sie. Fakt ist: vor allem in ärmeren Stadtteilen haben die Bürger mit "Nein" gestimmt. Der Glaube daran, dass Olympische Spiele für die Hamburger ein erschwingliches Vergnügen werden würden, daran gab es bei vielen Hanseaten große Zweifel:
Passanten: "Weil die die ganze Stadt kaputtgemacht hätten! Die schaffen es nicht einmal, einen Fahrradweg an der Alster zu schaffen. / Das kostet doch alles nur unser Geld. Das sind doch Gangster sind doch das! Die sollen mal dafür aufkommen, wo es drauf ankommt! Und uns nicht kaputtmachen hier!"
Wie es nun weitergeht? Ohne Olympia? Ohne noch einen Rutschen-Dom und noch eine Saunalandschaft? - Es wird weitergehen wie bisher. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum der Stadt, mit dem lange vor den Olympia-Plänen beschlossenen Ausbau des Radwegenetzes und mit steigenden Mieten. Ganz ohne die Spiele.
Mehr zum Thema