Jace Clayton über Kulturelle Aneignung

Der Soundsammler

Jace Clayton alias DJ Rupture
Jace Clayton alias DJ Rupture © Deutschlandradio - Andreas Buron
Jace Clayton im Gespräch mit Dirk Schneider · 28.12.2017
Als privilegierter westlicher Musiker reist der US-Amerikaner Jace Clayton alias DJ /rupture durch die Welt und spürt Klänge auf, die er zu einem neuen Mix verarbeitet. Aber er macht noch mehr: Vor Ort spricht er mit den Musikern und hat darüber das Buch "Uproot" geschrieben.
Dirk Schneider: Jace, Sie reisen selbst als privilegierter Westler durch die Welt und sammeln die Musik von Menschen, die nicht viel haben, die Opfer der ungerechten Verteilung des Wohlstands auf dieser Welt sind. Ist das ein Problem für Sie, oder wie gehen Sie damit um?
Jace Clayton: Auf jeden Fall hat es schon etwas von Ausbeutung oder Kultureller Aneignung, wenn wir mit unseren westlichen Reisedokumenten an Orte reisen, deren Bewohner diese Freiheit nicht haben. Dazu kommt noch die wirtschaftliche Ungleichheit. Aber es gehört zum Wesen der Musik, dass sie getauscht wird, dass sie Grenzen überwindet und sich dabei verändert. Es gibt also eine Art Ausbeutung, aber man kann auch einen Dialog führen, indem man an zuhört, Fragen stellt, um in einen Austausch zu kommen. Und das habe ich mit meinem Buch "Uproot" gemacht, denn ich habe mir gesagt: Okay, als DJ nehme ich diese Sounds aus aller Welt und mische sie für die Tanzfläche. Aber mit diesem Buch konnte ich mich den Geschichten hinter diesen Sounds widmen, indem ich nach Kairo reise oder nach Mexiko, und mich mit den Urhebern dieser Musik zu treffen und von ihnen zu erfahren, was ihnen wichtig ist. Und mein Privileg nutze ich dazu, diese Dinge einem westlichen Publikum zu erklären.

"Musik tendiert zur Zusammenarbeit"

Schneider: Könnte man also sagen, dass der Vorwurf der "Cultural Appropriation" für die Musik gar kein Thema ist, weil Musik schon immer ausgetauscht wurde und sich vermischt hat?

Clayton: Ja, das ist eine grundlegende Voraussetzung von Musik. Musik tendiert zur Zusammenarbeit, sie tendiert dazu, Folk zu werden, also Gemeingut. Der Superstar, der seine eigenen Songs hat, ist eher eine Ausnahme in der Musik. Natürlich gibt es aber auch in diesem Bereich das Problem der Aneignung, darum ist es sehr wichtig immer ganz deutlich zu machen, wer den wirtschaftlichen Gewinn einstreicht. Aber es gibt einen großen musikalischen Reichtum auf der Welt, und die Musik ist auch neugierig, sie möchte reisen und sich verändern, und das müssen wir auch respektieren.

Schneider: Viele Menschen reisen ja auch durch die Welt auf der Suche nach authentischer Musik. Ihr Ansatz ist das aber nicht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie, dass die Musik sich an unterschiedlichen Orten auf unterschiedliche Weise mischt, und dass dieser Mix wieder an jedem Ort einzigartig ist, Sie nennen das "local".
Clayton: Ja, davon bin ich überzeugt. Es geht nicht um einen authentischen Sound, oder so etwas wie die Essenz eines Sounds. Es gibt an jedem Ort der Welt ganz bestimmte Kräfte, die an genau diesem Ort den meisten Sinn ergeben. Und unter "local" verstehen wir nicht nur die Sprache, die an einem Ort gesprochen wird, sondern auch zum Beispiel, dass die Menschen dort mit der Musik von U2 und Beyoncé aufgewachsen sind, und das sind sie ja inzwischen an vielen Orten der Welt. Aber diese Musik funktioniert an jedem Ort der Welt etwas anders.
Schneider: Aber wird das so bleiben, oder glauben Sie nicht, dass durch die andauernde Vermischung Musik sich weltweit immer mehr angleicht?
Clayton: Das ist ja das Interessante. Musik, Klänge, Musikstile reisen um die Welt. Ihre Bedeutung bekommen sie in dem Moment, in dem sie aufgegriffen und zu etwas Neuem gemacht werden. Nehmen Sie Hip-Hop: Entstanden ist diese Musik in New York City, aber inzwischen gibt es sie auf der ganzen Welt. Ich verstehe kein Deutsch, darum habe ich keine Ahnung von deutschem Hip-Hop, aber im Hip-Hop wird ganz stark regionaler Slang benutzt, es werden Anspielungen auf die Gegebenheiten vor Ort gemacht. Allen ist klar, dass Hip-Hop ein globales Genre ist, aber es wird mit sehr lokalen Inhalten und Stilen gefüllt. Und das passiert mit sehr vielen Musikstilen.
Schneider: Und müssen wir nicht ohnehin davon ausgehen, dass kulturelles Schaffen eigentlich unendlich ist, dass es nie an seine Grenzen gelangt?
Clayton: Ja, natürlich, Kultur lässt sich unendlich formen. Aber die Gatekeeper, die Leute, die Radio machen, die Magazine machen, die sind nicht unendlich in ihrem Denken. Hier entstehen die kulturellen Hierarchien. Aber Kultur ist im ständigen Wandel, und darum gibt es so etwas wie die Essenz einer Kultur nicht.

Die richtige Vermittlung der Geschichte

Schneider: Sie sind auch ein Gatekeeper, als DJ /rupture, und noch mehr seit Ihrem Buch "Uproot: Travels in 21st-Century Music and Digital Culture". Als Gatekeeper: Wie sehen Sie Ihre Rolle, und auch Ihre Verantwortung? Fühlen Sie sich den Sounds, mit denen Sie arbeiten, verpflichtet, oder fühlen Sie sich vollkommen frei?
Clayton: Ich fühle mich sehr verantwortlich. Als Autor fühle ich mich dafür verantwortlich, die Geschichten richtig zu vermitteln. Ich muss verstehen, was den Musikern an ihrer Musik wichtig ist. Und ich muss meine eigenen Beobachtungen und Ideen vermitteln. Und ich muss die Energie, die von der Musik ausgeht, respektieren, wenn ich über sie schreibe. Und da ich oft über unbekannte Musik schreibe, ist meine Geschichte darüber manchmal die erste, die erscheint, damit präge ich das Bild dieser Musik sehr stark. Und aufgrund dieser Machtposition muss ich mir wirklich viel Zeit nehmen, viele Fragen stellen und sehr aufmerksam zuhören. Denn wirklich neue Musik bewirkt Dinge, die wir meistens zuerst gar nicht wahrnehmen, nicht verstehen, die wir vielleicht einfach als Geräusche abtun. Ich muss also vor allem ein sehr guter Zuhörer sein.
Schneider: Wie wichtig ist es für Sie, tatsächlich zu reisen, und nicht nur im Internet unterwegs zu sein?
Clayton: Das ist sehr wichtig. Ich bekomme zum Beispiel Musik aus Kairo geschickt, recherchiere dann im Netz, benutze den Google Translator, bis mir klar wird: Ich muss da hin, muss die Leute sprechen, die diese Musik machen, die Orte sehen, an denen die Musik aufgenommen und gespielt wird, muss sehen, wie die Leute dazu tanzen – diese ganze Kultur, die zur Musik gehört, zu der wir im Internet aber keinen Zugang haben.
Schneider: Sie haben auch viele Migranten getroffen auf Ihren Reisen, also Menschen, die, wie die Musik, unterwegs sind, vielleicht auch heimatlos sind. Welche Rolle spielen diese Menschen in der globalen Verteilung von Musik, die Sie beschreiben?
Clayton: Nachdem ich das Buch fertiggestellt hatte, habe ich einen Freund angeschrieben, der auf den griechischen Inseln arbeitet und dort für Geflüchtete dolmetscht. Ich bat ihn, mir Aufnahmen von der Musik zu schicken, die diese Leute machen. Das war eine sehr beeindruckende Erfahrung. Die meisten Leute haben ihre Instrumente auf der Flucht verloren, darum wird sehr viel a cappella gesungen. Und wir leben ja in einer sehr interessanten Zeit, in der man ein Mobiltelefon haben kann, aber kein Heimatland. Und auf diesen Telefonen gibt es ja auch Musik, und die wird oft wichtiger, je mobiler und prekärer das eigene Leben ist. Es ist eine sehr interessante Zeit, um sich anzuschauen, wo Musik im Wandel ist, zum Beispiel in bedrohten Gemeinschaften wie diesen.
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