"Ja, das wollte Brüssel aber ..."

Moderation: Frank Meyer · 25.01.2013
Die EU erlasse überhaupt nur Vorschriften, bei denen die Mitgliedsstaaten mitwirkten, sagt der liberale Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. So habe auch er sich "wahnsinnig" über das Glühbirnenverbot geärgert, der Vorstoß dazu sei allerdings vom damaligen deutschen Umweltminister Sigmar Gabriel gekommen.
Frank Meyer: Wofür ist die Europäische Kommission eigentlich zuständig? Ein Beispiel: Der EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat eine neue Regelung der Trinkwasserversorgung in der EU vorgeschlagen. Der Deutsche Städtetag meint dazu heute, damit wird die Privatisierung der Trinkwasserversorgung vorangetrieben.

Warum wird überhaupt in Brüssel in der Europäischen Kommission entschieden, wie die Wasserversorgung in deutschen Kommunen organisiert ist? Wofür ist die EU überhaupt zuständig? Das wollen wir besprechen mit Alexander Graf Lambsdorff, er ist für die FDP Mitglied in Europäischen Parlament. Seien Sie herzlich willkommen!

Alexander Graf Lambsdorff: Ja, schönen guten Tag!

Meyer: Herr Lambsdorff, fühlen Sie sich auch von der EU gegängelt, bevormundet auf bestimmten Bereichen?

Lambsdorff: Man kann das für den einen oder anderen Bereich sicher sagen. Ich habe mich wahnsinnig geärgert über das Verbot der Glühbirnen, das war komplett überflüssig in meinen Augen, die neuen Birnen bringen wirklich nicht viel. Das ist eine Detailregelung, die sicher zu weit gegangen ist. Aber der aktuelle Aufhänger, da sehe ich es dann doch etwas anders.

Meyer: Wieso sehen Sie es da anders?

Lambsdorff: Nun, was hier passiert ist, ist etwas – ich würde das mit dem Wort Empörungsmaschine beschreiben –, hier hat der Deutsche Städtetag, der Verband der kommunalen Unternehmen, also mit anderen Worten die Lobby der kommunal betriebenen Unternehmen, so getan, als ob es Michel Barnier, dem Binnenmarktkommissar, darum gegangen wäre, die Wasserversorgung zu privatisieren.

Tatsache ist, das war überhaupt nie der Fall. Was Barnier getan hat, ist, er hat dafür gesorgt, dass, wenn Kommunen Konzessionen vergeben – das kann Abfallentsorgung sein, das kann der Betrieb einer Straße sein, einer Brücke, eines Kanals, auch die Trinkwasserversorgung – wenn Sie diese Konzessionen vergeben, das heißt, wenn sie privatisieren wollen, dass dann das Verfahren dafür transparent sein muss und nach einem einheitlichen Standard durchgeführt werden muss, damit wir einen fairen Wettbewerb im ganzen Binnenmarkt in der Europäischen Union haben. Jede Kommune kann auch nach dem Entwurf von Michel Barnier selber entscheiden, ob sie nun privatisieren möchte oder nicht.

Meyer: Aber warum muss er sich darum kümmern, wie in einer deutschen Kommune die Ausschreibungsbedingungen sind?

Lambsdorff: Nun, das ist ganz einfach: Die Aufträge der öffentlichen Hand sind ungefähr 20 Prozent der Wirtschaftsleistung in der ganzen Europäischen Union, das sind 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger, das wissen wir, 27 Mitgliedsstaaten – wenn Sie da 20 Prozent von nehmen, das ist ein gigantischer Markt, und dieser Markt wird selbstverständlich auch geregelt von der Europäischen Union, denn die Binnenmarkt-Zuständigkeit ist etwas, das hat bisher auch der größte Euroskeptiker noch nie in Frage gestellt, dass es Sinn macht, für fairen Wettbewerb über Grenzen hinweg zu sorgen in Europa.

Meyer: Dann lassen Sie uns ein anderes Beispiel anschauen: Wir haben vor einigen Wochen hier ein Interview mit Klaus von Dohnanyi geführt, dem SPD-Politiker, der sich lange Zeit sehr europapolitisch engagiert hat. Und er hat uns zu dieser Frage, Kompetenzen der EU-Kommission, Folgendes gesagt.

Klaus von Dohnanyi: Wir sind sehr unterschiedlich, wir haben sehr unterschiedlich gewachsene Strukturen, man kann sie schrittweise koordinieren, aber man kann sie nicht über einen Leisten schlagen. Wenn man das macht, dann wird man Europa beschädigen. Und die Kommission ist auf bestem Wege, das in einer Reihe von Dingen zu tun. Was geht die Kommission an, wie wir unsere Krankenschwestern ausbilden? Die sagen, wir müssten sie akademisch ausbilden – das ist absurd. Wir haben ein duales System, das mag falsch oder richtig sein, aber das ist eine deutsche Tradition, die sich bisher bewährt hat, und wir bilden unsere Krankenschwestern aus, wie wir das für richtig halten, und nicht, wie die Kommission uns vorschreiben will, wie wir Krankenschwestern ausbilden.

Meyer: Also der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi sagt, die EU-Kommission mischt sich in zu viele Dinge ein, die sie eigentlich nichts angehen. Was sagen Sie dazu?

Lambsdorff: Ja, aber da zitiert er natürlich ein ganz besonders schlechtes Beispiel. Also bei den Krankenschwestern ist es tatsächlich eine ein bisschen unglückliche Situation. Wir haben folgende Lage: Die Kommission legt eine Richtlinie vor, wie man die Berufsqualifikationen, die Menschen erwerben in ihren jeweiligen Heimatländern, in den anderen Ländern Europas anerkennen soll. Das heißt, wenn ich eine Ausbildung in Deutschland mache, aber ich möchte in England oder in Polen arbeiten gehen, dann sorgt die Kommission dafür, dass meine Berufsqualifikation dort auch anerkannt wird.

In 26 von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist es üblich, dass Krankenschwestern 12 Jahre zur Schule gehen, bevor sie in die Ausbildung gehen. Wir haben da das duale System, das ist in der Tat ein Problem, das müssen wir lösen. Da ist Daniel Bahr, der Gesundheitsminister, auch unterwegs, an dieser Frage, dass wir das ändern, dass wir das deutsche System dort anerkennen an der Stelle. Ich hoffe, das gelingt noch.

Aber das ist ein Detailproblem in einem viel größeren Rahmen, der absolut Sinn macht, denn wenn Menschen in Europa hin- und herziehen können, arbeiten können, wo sie wollen, leben können, wo sie wollen, studieren können, wo sie wollen, dann ist das das gelebte, das praktische und das gute Europa, das wir uns eigentlich wünschen.

Meyer: Jetzt sagen Sie zu den Beispielen immer, im Prinzip ist alles super, aber das Beispiel passt gerade nicht so richtig. Ich will noch jemand anderes zitieren, der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat vor einiger Zeit in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben: "Die EU verliert an Akzeptanz, weil sie über die Köpfe der Bürger hinweg immer mehr zentrale Regulierung erlässt." Würden Sie dem widersprechen? Erlässt die EU zu viel zentrale Regulierung? Sind Sie da anderer Meinung?

Lambsdorff: Die EU erlässt überhaupt keine Regulierung, bei der die Mitgliedsstaaten nicht mitwirken. Das Gesetzgebungsverfahren in Europa läuft so, dass wir hier im Europäischen Parlament gemeinsam mit dem Rat – und das ist die Vertretung der Mitgliedsstaaten, da sitzen jeweils die Bundesministerien in Berlin mit drin –, dass wir gemeinsam einen Kompromiss finden, wie wir Dinge regeln wollen.

Es ist richtig, und dabei stimme ich Roman Herzog zu, da stimme ich auch Klaus von Dohnanyi zu, da bin ich selber der Auffassung, dass es bestimmte Sachen gibt, bei denen es unklar ist, bei denen man vielleicht tatsächlich die Sache lieber national entscheiden lassen sollte. Aber es ist nicht so, dass Europa quasi ohne Beteiligung der Mitgliedsstaaten über die Köpfe der Bürger hinweg Bestimmungen erlässt.

Hier haben wir ein Grundproblem: Dinge, die die Menschen erfreuen, werden gerne der nationalen Hauptstadt zugeordnet, das heißt, das hat die Bundesregierung fabelhaft gemacht, das hat die Landesregierung fabelhaft gemacht – Dinge, bei denen es ein bisschen schwieriger ist oder wo es einen politischen Streit auch drum gibt, da heißt es dann, ja, das wollte Brüssel aber.

Ich erinnere nur da dran, das Glühbirnenverbot, das ist gekommen, weil Sigmar Gabriel, damals Bundesminister für Umwelt, hier in Brüssel verlangt hat, dass es ein solches Verbot geben möge. Und insofern ist das eine nationale Initiative geworden, die dann europäisiert worden ist. Ich habe mich darüber sehr geärgert, weil mir war klar, dass das Glühbirnenverbot für viele Menschen viel Ärger verursachen würde und das Image der Europäischen Union belasten würde.

Meyer: Ja, die Frage ist ja auch, was wird heute eigentlich wo über uns entschieden? Roman Herzog, um noch mal auf seinen Artikel zurückzukommen, hat dazu geschrieben: "Mehr als 80 Prozent der in Deutschland geltenden Rechtsakte werden heute in Brüssel beschlossen." Das haben ihm der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages so gesagt. Kann man daraus ableiten, dass der allergrößte Teil – er spricht hier von 80 Prozent der bei uns geltenden Regelungen – tatsächlich auf EU-Ebene beschlossen werden?

Lambsdorff: Ich widerspreche dem ehemaligen Bundespräsidenten ausgesprochen ungern, aber was er da sagt, ist absoluter Unsinn. Die 80 Prozent der Gesetze gelten nur in den Bereichen, für die die Europäische Union eine ausschließliche Zuständigkeit hat. Kein einziges Gesetz der Europäischen Union betrifft zum Beispiel unsere Steuergesetzgebung, kein einziges Gesetz betrifft unsere Sozialgesetzgebung, kein einziges Gesetz der Europäischen Union betrifft die Bildungspolitik unserer Bundesländer – also da bleiben überhaupt keine 80 Prozent übrig. Diese 80 Prozent sind ein Mythos, der irgendwann mal entstanden ist und sich dann verselbstständigt hat.

Es ist schade eigentlich, dass ein ehemaliger Verfassungsrichter wie Roman Herzog da der Meinung ist, diese Zahl zitieren zu müssen. Ich kenne den Artikel, es ist ein Artikel, der nicht von ihm stammt, sondern von Lüder Gerken aus Freiburg, auf den der Bundespräsident, der ehemalige, seinen Namen mit draufgesetzt hat – ausgesprochen bedauerlich, einfach falsch.

Meyer: Das Thema ist ja in dieser Woche auch so interessant, weil der britische Regierungschef ja seine vielbeachtete Europarede in dieser Woche gehalten hat und da auch deutlich gemacht hat, dass er eine andere EU will, und mit ihm viele Briten, Parteigenossen vor allem von ihm, eine EU mit weniger Regulierung durch die Zentrale in Brüssel. Sehen Sie das nicht auch in anderen Ländern, dass es diese Unzufriedenheit mit Brüssel gibt mit einer empfundenen Überregulierung durch diese Zentrale, wie in Großbritannien?

Lambsdorff: Also natürlich gibt es das – und Sie sprechen mit einem Liberalen. Ich bin auch gegen zentrale Regulierung, ich bin auch gegen Überregulierung. Ich möchte Wettbewerb, ich möchte freie Märkte, ich möchte die freie Entfaltung der Kräfte, die im Wettbewerb das Beste für ihr Unternehmen, für die Menschen, die dort arbeiten und insgesamt für die Gesellschaft erreichen. Was Cameron aber vorgeschlagen hat, David Cameron in seiner Rede, ist eine völlig andere EU – es ist im Grunde die Rückabwicklung der Europäischen Union. Denn was er sagt, ist, dass wir in jedem Land tun sollen, was wir wollen, und dann uns lose koordinieren, das heißt, ein Europa der 27 Geschwindigkeiten, dann verschwindet Europa in der Mitte.

Wenn man Camerons Rede allerdings durchliest, stellt man fest, dass er selber an seinen eigenen Vorschlag gar nicht glaubt, sondern er sagt, es gibt eine Eurozone, in dieser Eurozone gibt es eine sich vertiefende Integration, eine bessere Abstimmung der Wirtschafts-, der Finanz-, der Fiskalpolitik. Diese Eurozonenabstimmung, die kann Großbritannien nicht mitmachen, es schlägt deswegen vor, dass man ein Netzwerk bildet. Da habe ich überhaupt kein Problem mit, das macht Sinn, dass wir in der Eurozone mit den Ländern weiter voranschreiten, wo das richtig und nötig ist für die Stabilisierung unserer Währung, und darum herum ein Netzwerk von Ländern haben, die vielleicht das alles nicht mitmachen wollen, das wäre das Europa der zwei Geschwindigkeiten, das ja schon Wolfgang Schäuble 1994 vorgeschlagen hat. Und Schäuble hat Recht, das ist eine gute Idee.

Meyer: Wie weit reichen die Kompetenzen der Europäischen Union? Darüber haben wir mit Alexander Graf Lambsdorff gesprochen, Mitglied im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch!

Lambsdorff: Ich danke Ihnen!


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Vom 1. September an dürfen die stromfressenden Glühbirnen nicht mehr in den Handel kommen.
Seit 1.9.2012 dürfen herkömmliche Glühbirmen nicht mehr in den Handel kommen.© picture alliance / dpa / Jens Büttner