J. B. Del Amo: "Tierreich"

Unheimliche Symbiose von Mensch und Vieh

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Buchcover Jean-Baptiste Del Amo, "Tierreich". Das Hintergrundbild zeigt zwei Schweine im Gehege.
Jean-Baptiste Del Amo beschreibt in seinem Roman "Tierreich" die deprimierende Geschichte einer Schweinezüchterfamilie. © Matthes&Seitz/picture alliance/dpa/chromorange/Deutschlandradio
Von Dirk Fuhrig · 21.03.2019
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Der französische Autor Jean-Baptiste Del Amo erzählt in "Tierreich" die deprimierende Geschichte einer vom Schicksal gebeutelten Bauernfamilie. Sein Roman ist beklemmend - ein finsterer Abgesang auf eine gnadenlose Welt.
Wieviel Tier steckt im Menschen – und welches Recht hat der Mensch, Tiere für seine Zwecke auszubeuten? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Jean-Baptiste Del Amo in seinem Roman, in dem er die tragische Geschichte einer südfranzösischen Bauernfamilie über mehrere Generationen hinweg erzählt. Es ist das erste Buch des 1981 in Toulouse geboren Autors, das ins Deutsche übersetzt wurde.
Del Amo entwirft ein Panorama über mehr als 100 Jahre hinweg. Die Handlung setzt ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Éléonore auf einem abgeschiedenen Hof am Fuße der Pyrenäen geboren wird. Es herrscht unvorstellbares Elend. Das Haus ist zugig und primitiv. Die Arbeit ist hart, der Ton auch gegenüber der kleinen Tochter rau. Ein Leben in bitterster Armut. Die Dorfgemeinschaft ist bigott und feindselig.

Leiden bis an den Rand des Erträglichen

Éléonore heiratet ihren Cousin, der mit zerfetztem Gesicht und verrohter Seele aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zurückkehrt. Dort hat er gelernt, dass der Gegner "nichts anders als ein Tier" sei.
Ein wenig Hoffnung keimt auf, denn den beiden gelingt es, einige Nutztiere anzuschaffen, vor allem Schweine. 60 Jahre später, 1981, haben Éléonores Kinder und Enkel daraus einen fast industriellen Zuchtbetrieb gemacht, der durch eine Epidemie jedoch auf einen Schlag vernichtet wird.
Die Figuren in diesem Roman leiden bis an den Rand des Erträglichen. Die Männer schuften bis zum Umfallen, beseitigen den nie versiegenden Strom der Ausscheidungen der Schweine, der aus den engen Koben rinnt. Sie kontrollieren die Fortpflanzung und töten die schwachen Ferkel sofort nach der Geburt. Ihren Ekel vor den Tieren und vor sich selbst bekämpfen sie mit Alkohol.

Die Menschen: instinktgetrieben, ohne Bildung

Del Amo führt den Leser in eine Welt, in der die Menschen fast nur ihren Instinkten, auch denen durch die Tradition überlieferten, folgen. Schule, Bildung allgemein, wird abgelehnt. Sie handeln nach atavistischen Mustern. Die romantische Vorstellung eines Lebens "im Einklang mit der Natur" bekommt in diesem schonungslosen Roman eine bittere Note.
Jean-Baptiste Del Amo (ein Pseudonym, sein eigentlicher Nachname lautet Garcia) ist Veganer und setzt sich gegen grausame Tierschlachtungen ein. Aber sein Buch ist nicht einfach ein Plädoyer für artgerechte Landwirtschaft. In seiner expliziten, kalten Sprache entwirft Del Amo ein Universum, in dem die Menschen mit den Tieren, die sie ausbeuten, eine unheimliche Symbiose bilden.

Wuchtige, expressionistische Sprache

"Tierreich" ist kein leicht zu lesendes Buch. Die seelischen Verwüstungen dieser Bauern-Familie, die nach 100 Jahren noch nicht in der modernen Zivilisation angekommen ist, sind an vielen Stellen ebenso schwer erträglich wie die Einzelheiten der Tierhaltung, die Gerüche und Laute. Karin Uttendörfer hat diese wuchtige, expressionistische Sprache in all ihrer schillernden Drastik hervorragend ins Deutsche übersetzt.
Der Roman ist ein finsterer Abgesang auf eine Welt, in der Tiere, aber auch Menschen, nur als Ware gesehen werden. Es gibt keine Lösung, keine Hoffnung – ein fatalistisches, ein beklemmendes und beeindruckendes Buch.

Jean-Baptiste Del Amo: "Tierreich"
Aus dem Französischen von Karin Uttendörfer
Matthes & Seitz, Berlin 2019
440 Seiten, 26 Euro

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